Sonntag, 28. November 2010

Tag 582 - Sympathy for the Devil

Ich arbeite. Nach zwei Jahren Freiheit und Zeit mich selbst zu finden bin ich wieder zurück in der 40 Stunden Woche.
Jetzt, nach vier Wochen und kurz vor dem ersten Zahltag kann ich endlich mal über meine Eindrücke schreiben.

Die erste Woche war die Hölle.
Zum ersten Mal seit ich in England bin, stand ich wirklich unter Kulturschock. Mein Chef (Mister B) und seine Familie ist wie schon erwähnt aus Kenia, sind aber indischer Abstammung… also sehen auch indisch aus, mal ganz einfach gesagt. Sie sind Muslime, was mich immer wieder verwirrt, dachte ich doch immer alle Inder seien Hindus. Aber eigentlich sind sie ja Afrikaner. Ach, wie auch immer. Sie beten jedenfalls fünfmal am Tag. Jeden Tag zur Gebetszeit öffnet sich an meinem Computer plötzlich ein Pop-Up-Fenster und der Muezzin ruft in durchdringender Lautstärke zum Gebet auf. „Hol dir Allahs Segen mit nur einem Mausklick“, steht da doch tatsächlich in einer kleinen Werbeanzeige.

Das ist jetzt aber nicht gerade das, was mir den Kulturschock gegeben hat. Auch nicht, dass im Laden jeder mindestens fünf verschiedene Sprachen spricht. Hindi, Swaheli, verschiedene indische Dialekte, Arabisch… Da kommt es in der Hektik schon mal vor, dass mir jemand was in Südasiatisch zuruft. Habe aber gelernt darauf zu achten, ob das Wort „Chai“ darin vorkommt. Dann muss ich nur „Ha“ sagen und kriege kurze Zeit später eine Tasse Tee serviert. Klappt jedes Mal!

Es ist vielmehr die Arbeitsmoral von Mister und Mistress B. Am ersten Tag wurde ich auf meinen Bürostuhl irgendwo in der hintersten Ecke unter einen Regalbrett, eingekeilt zwischen Medizinschachteln und einem Aktenschrank abgesetzt und erwartungsvoll angeschaut. Fang an zu arbeiten. So nach dem Motto. Nachfragen nicht erwünscht, Erklärungen verschwenden zu viel Zeit. Hier, zwei Kilo Papier. Buchhalte das mal irgendwie, damit das am Ende passt. Ach ja, wir haben noch zwei andere Filialen, die Läden müssen alle für die Wirtschaftsprüfung fertig gemacht werden… die Unterlagen sind… irgendwo. Such mal. Mach mal. Zack zack. Vergiss nicht die monatlichen Berichte an den Gesundheitsdienst zu schicken. Wie, du weißt nicht was für Berichte das sind? Schau halt was letzten Monat gemacht wurde. Fang doch endlich mal an.

Sie sind Sklaventreiber, die Bs. Ernsthaft. Lucky Luke hat seine Ganoven immer zum Tanzen gebracht, indem er Kugeln direkt zwischen ihren Füßen abgefeuert hat. So fühlt man sich in diesem Betrieb während der Arbeit. Die Angestellten trauen sich nicht eine Sekunde still zu stehen, sondern flitzen unter den kritischen Augen von Mister B durch die Gänge, rücken Medikamentenschachteln zurecht, fassen ständig irgendwas an um ja nicht unbeschäftigt auszusehen. Dann kommt Mrs B und gibt eine Million Aufgaben, die alle mit „Put it“ anfangen.
Manchmal sagt sie auch nur „Put it.“
Wie put? Was put? Put put? Was soll ich wohin putten?
„Put it!“ wiederholt sie dann schwer genervt und fuchtelt mit den Händen. „Put it! Put it!”
Ich weiß immer noch nicht was sie will.
„You have to put it, you know?“ brüllt sie schließlich und beschwert sich arabisch wehklagend beim Lieferanten, wie nutzlos ihre Mitarbeiter doch sind.

Ich meine, auch wenn sie sagt, was genau ich wohin setzen/stellen/legen soll, macht es ihr Akzent manchmal doch nicht einfach.
„Blätz“ hat sie kürzlich verlangt. Blätz. Was sind Blätz? Blätz? Nie gehört. Sie war schwer entnervt, als sie selbst gehen musste. Zurück kam sie mit „Blades“ (Rasierklingen)
„Switz“ konnte ich ihr auch nicht erfüllen. Ich konnte einfach keine Ähnlichkeit zu „Sweets“ (Süßigkeiten) hören.

Die erste Woche war nervenaufreibend. Nichts konnte ich richtig machen. Immer nur Missbilligung und Kritik, den ganzen Tag lang. Gleich sofort Überstunden (unbezahlt natürlich), und Mittagspause erst ab 15.00 Uhr. Niemand konnte mir was erklären, alles musste ich irgendwie selbst erarbeiten oder den Kollegen aus der Nase ziehen. Ich war hoffnungslos frustriert und hätte am Liebsten hingeschmissen. Abends war ich klinisch tot und wenn ich die Augen zumachte, sah ich stapelweise Medizinschachteln.

Ich arbeitete sogar am ersten Samstag, obwohl meine Arbeitszeit eigentlich Montag-Freitag ist. Aber an diesem Tag hab ich den ersten normalen Menschen in diesem Betrieb getroffen. Es war meine Vorgängerin für den Papierkram. Sonia. Mein Stern am Horizont. Mit ihr klickte ich sofort. Ich konnte ihr tausend Fragen stellen, und sie hat sich sehr viel Zeit genommen, um mir die wichtigsten Vorgänge zu erklären. Das ganze Bürosystem hat sie eingeführt, weil den Bs Aktenführung wohl seit zwanzig Jahren sonstwo vorbeigeht. Ich schrieb seitenweise Notizen und saugte alles auf, was sie mir erzählte. Buchführung. Rechnungen und Kontoauszüge. Was musste für die Betriebsprüfung vorbereitet werden? Wir gingen durch die Emails. Sie erklärte mir Sachverhalte und Zusammenhänge. Was für ein Engel! Und plötzlich waren die Aufgaben zu bewältigen und ich war hochmotiviert.

Die zweite Woche fing an, und ich hatte ernsthaft mit Mister B über meine Überstunden zu reden. Nie wieder möchte ich zu den Arbeitnehmern gehören, die zusammenzucken, wenn der Chef vorbeiläuft. Die sich nicht trauen den Mund aufzumachen, wenn sie ungerecht behandelt werden. Niemals wieder.
Es ergab sich eine sehr gute Gelegenheit, denn Mister B kam montags um die Ecke geschossen, As-Salamu-Alaykum, und hat mir vorgeschlagen… nein, befehligt, in meiner Mittagspause für seine Frau einkaufen zu gehen.
„Ja sicher doch!“ hab ich gelacht. Gelungener Witz.
„Schreib“, meinte er nur, „Apfelsaft, Orangensaft, Brot, Kartoffeln, Milch…“
„Warte“ unterbrach ich. „Sie verlangen ernsthaft, dass ICH in MEINER Mittagspause IHRE Privateinkäufe erledige??“
Er schaute mich an „Ja.“
Gefährliche Stille.
Und irgendwie musste er geahnt haben, dass ich gerade gedanklich meine Kündigung unterschrieb.
Er hat sich tausend Mal entschuldigt. Er dachte ja nur, weil Sonia immer für ihn eingekauft hatte. Entschuldigung vielmals. Natürlich soll ich nicht in meiner Mittagspause… er meinte ja nur, weil ich ja vielleicht sowieso in die Richtung gehen würde. Aber natürlich nur wenn ich wollte…

Es war wirklich genau so abgelaufen. Ich glaube das war so ein wenig ein Austesten, für welchen Scheiß er mich benutzen kann. Gefragt hat er jedenfalls seither nicht mehr. Einkaufen ging dann die schüchterne Rumänin aus der Parfümabteilung.
Ich hab dann gleich noch unterbreitet, dass ich abends gerne weiterhin die zusätzliche Stunde bis Ladenschluss arbeite, aber dann eben morgens eine Stunde später erscheinen werde. Wieder hat er mich lange angesehen, dann aber zugestimmt. Geht doch. Überstundenproblem auch gelöst.

Nächstes Opfer im Rundumschlag war Kollege Aglupsch (Name ähnlich) aus Sri Lanka, der mich vom ersten Tag an mit seinen schleimigen Anmachen genervt hat. Nachdem er irgendwann anfing, diese Luftkissen direkt an meinem Ohr platzen zu lassen, die in Paketen als Polsterung mitgeschickt werden, da ist mir der Kragen geplatzt. Ich hab ihn kurz mal angefaucht, wie ich es bei den Sargnägeln gelernt hatte, und verboten mich jemals wieder anzusprechen, wenn es nicht unmittelbar mit dem Job zu tun hat. Seither herrscht Ruhe.

In der dritten Woche lief zumindest meine Arbeit im Büro… äh… unter dem Medikamentenregal besser. Ich bekam nach und nach eine Idee von den Abläufen und konnte schon die ersten Berichte fertig stellen und ein paar vereinzelte Emails beantworten.
Nur am Verkaufstresen war ich immer noch ein wenig überfordert. Hey, in Deutschland braucht man eine dreijährige Ausbildung zur Apothekenhelferin, und hier soll ich von heute auf morgen tausend verschiedene Medikamente kennen. Tixylix, Salbutamol, Panadol. Oder der Kunde reißt sich den Socken vom Leib, um seinen Fuß mit dem riesigen eitrigen Zehennagel auf den Tresen zu knallen. Her mit der Diagnose, her mit der Behandlung. Toll war auch der Typ, der unter dem Solarium eingeschlafen war. Und ich durfte nicht lachen.
Auch machte ich gemäß Mrs. B nichts, aber auch gar nichts richtig. Damit machte sie mich so nervös, dass die Fehler vorprogrammiert waren. „Du musst lernen!“ schnauzte sie und ließ mich allein am Verkaufstresen. Was ich persönlich super fand, denn so lernt man es ja wirklich am Besten. Außerdem war ich sie los. Aber jedes Mal, wenn der Kunde gerade noch Luft holte um sein Anliegen loszuwerden, kam sie auf ihren Shape-Ups angewippt und brüllte „Die weiß nichts! Die muss noch lernen!“ und übernahm das Ruder. Erklärte extra laut und genau unter den belustigten Augen des Kunden, wie man die Ware in eine Plastiktüte packt. „You have to put it, you know?”
Ich kann nur die Augen verdrehen.
Eine Pechsträhne habe ich auch mit Kleinigkeiten. Immer wenn ich mal was alleine mache, geht irgendwas schief… Kassenrolle leer, kein Wechselgeld in der Kasse, Preis im System stimmt nicht mit Preisschild überein, Medikament nicht im Regal, alles fällt runter, beim Versuch es aufzuheben werfe ich noch mehr runter, ständig störe ich Kollegen beim Beten, weil ich die Gebetszeiten nicht auf die Reihe kriege, aber auch nie weiß, hinter welcher Ecke sie sich jetzt schon wieder in Richtung Mekka auf den Boden schmeißen…

Woche vier, kleine Erfolge auch im Verkaufsraum. Mir fallen nicht mehr so viele Medikamentenschachteln runter, wenn ich sie stapelweise aus dem Lager balanciere. Ich schieße tolle Passfotos. Und ich verteile Methadon an die Junkies. Wenn mir Mrs. B was in die Hand drückt frage ich nur freundlich „Shall I put it?“ und sie lächelt erfreut. Am letzten Ramadan hat sie selbstgemachte, indische Onion Bhajees mitgebracht und mir auch welche angeboten. Sehr lecker. Und winzige karamellisierte Nudeln. Und irgendeine afrikanische Süßigkeit, die wie ein Stück Salami aussieht und nach exotischer Topfpflanze schmeckt.


Ich habe schon die ersten Kunden und Patienten beraten können, auch wenn es nur um Halschmerztabletten ging. Ein paar Stammkunden kennen jetzt auch meinen Namen und sind immer so freundlich, dass die Sonne aufgeht. Ich weiß so ziemlich wo im Laden welche Produkte stehen, und nehme auch die rüpelhaftesten Kunden total gelassen hin. Die zwei Tussen, die sich hier im Laden prügeln wollten, hab ich rausgeschickt.

Nächste Woche ist Zahltag. Und dann wird der Stress des vergangenen Monats bestimmt gleich vergessen sein, und ich kann mal wieder zum Frisör gehen. Und ein, zwei warme Pullover kaufen. Und Weihnachtsgeschenke.

Ich gebe mir nicht länger als ein Jahr in diesem Job. Sehr viele Sachen sprechen dafür, dass ich mir eigentlich gleich was anderes suchen sollte… aber das was ich gerade mache, wird in meinem Lebenslauf verdammt gut aussehen. Und ich lerne eine Menge. Außerdem bin ich mir sicher, diese Erfahrung wird mir dann die Tür für den nächsten Job öffnen. Vielleicht bleibe ich ja in der Gesundheitsbranche?

Sonntag, 14. November 2010

Island - Tag 2

Ich schlief nicht ganz so gut in der ersten Nacht. Es war zu heiß im Zimmer. Nick hatte jede Heizung in der Wohnung voll aufgedreht. „Kostet hier doch nichts!“ meinte er fröhlich, und drehte sogar noch eine Stufe höher, als er gleichzeitig die Fenster zum Lüften öffnete. In Island wird so viel Energie produziert, die wissen gar nicht wohin damit. Sogar die Straßen und Gehwege in Reykjavik sind durch unterirdisch verlegte Leitungen beheizt.


Schließlich konnte ich vom Fenster aus den Sonnenaufgang beobachten. Der klare Himmel färbte sich immer blauer und ließ schon bald keinen Zweifel mehr daran, dass dieser Tag wolkenlos und sonnig sein würde.
Kurz darauf gingen wir auch schon wild drauflos, in Richtung Hafen.




Ich hatte im Reiseführer von einem Flohmarkt gelesen, der dort jedes Wochenende in einem Fabrikgebäude stattfindet. Isländische Secondhand Sachen. Auf was für Schätze ich dort wohl treffen würde? Dem Gawjus schwebte ja ein antikes Wikinger-Schild vor… und mir ein typisch isländischer Schafwollpullover. Aber so ganz authentisch war der Flohmarkt dann doch nicht. Sehr auf Touristen abgezielt. Die Kratzpullover kosteten dort gebraucht schon um die 100 Euro, so fing ich gleich an, diesen Wunsch abzuschreiben. Auch etwas Wikingerisches ließ sich nicht auftreiben. Dafür sehr viel Oma-Schrankwand-Nippes, Vasen, Buddha Statuen, Merchandise und so weiter. Einen tollen Stand mit alten Büchern hab ich entdeckt, aber alle in Isländisch.




Wir gingen zum Fischmarkt im hinteren Teil des Flohmarktes, in der Aussicht auf fangfrischen Fisch. Aber auch hier sollten wir enttäuscht werden. Island lebt zwar vom Fischfang… aber alles wird sofort exportiert. Manche Fänge finden nicht einmal den Weg nach Reykjavik, sondern werden gleich auf See umgeladen und weggeschippert.

Natürlich war der Markt und alles Drumherum trotzdem sehr sehenswert! Es waren einige traditionell isländische Snacks zu finden. Harðfiskur zum Beispiel. Getrockneter Fisch, den die Isländer wie Kartoffelchips so nebenher knuspern. Und an einem Stand wurde doch tatsächlich auch Hákarl angeboten. Davon hatte ich schon im Reiseführer gelesen: Verfaulter Haifisch. Sieht furchtbar aus und riecht noch viel ekliger. Das finden sogar die Isländer, die das fermentierte Fleisch mit Schnaps runterspülen. Warum zum Teufel sollte man so etwas essen? Das musste ich herausfinden und kaufte kurzerhand eine kleine Dose. Aus Ermangelung von Schnaps musste es Cola zum Runterspülen tun.


Den Riechtest hätte ich überspringen sollen. Es stank zum Himmel! Aber nicht nach Verwesung, wie ich es erwartet hätte, sondern nach einer Mischung aus Katzenpisse und Haarblondierung. Ammoniak. Aber ich wollte keinen Rückzieher machen. Jetzt oder nie. Todesmutig spießte ich das würfelförmige Stück Abartigkeit auf einen Zahnstocher und versenkte es im Mund. Meine Geschmacksnerven nahmen sich sofort kollektiv das Leben, als ich den Hai nach ein paar hastigen Kauern die Speiseröhre runter presste. War. Das. Eklig. Würg!


Nur wenig später gingen wir an Bord der „Andrea“. Nick hatte uns ein Freiticket für eine Whale-Watching-Tour geschenkt. Trotz des wunderschönen Wetters war es kalt, und ich war froh um den Ganzkörper-Thermoanzug, der auf dem Boot zur Verfügung gestellt wurde.


So standen wir an der Reling und versuchten den einen oder anderen Wal zu entdecken. Die eiskalte Luft nahm einem fast den Atem, aber war so herrlich frisch, dass ich um nichts in der Welt unter Deck gegangen wäre.



Nach einer Stunde zeigten sich ein paar (unfotografierbare) Delfine, die neugierig neben dem Boot auftauchten und uns ein Stück verfolgten. Weit und breit aber kein Wal in Sicht.
Nach einer weiteren halben Stunde fühlte ich mich ein wenig seltsam. Der Wellengang ging mir auf die Nerven und ich hatte auf einmal seltsames Heimweh nach dem Festland. Und nur wenig später war mir klar, dass ich tatsächlich unter Seekrankheit litt. Der verfaulte Hai in meinem Magen machte sich plötzlich bemerkbar und ließ mich nicht wirklich besser fühlen. Ich ging unter Deck und versuchte mich bei einer Tasse Tee zu entspannen.


Es gelang nur mäßig, denn die Asiatin neben mir übergab sich plötzlich lautstark in einen Mülleimer. Die anderen Passagiere sahen auch nicht mehr ganz taufrisch aus. Ich musste hier weg. Scheiß auf die Wale, nichts wie zurück nach Reykjavik! Nur noch kurz durchhalten. Ich ging wieder auf das oberste Deck und stellte mich ganz nach vorne auf die Reling. Es war doch gar nicht mehr so weit, ich konnte sogar schon den Kirchturm sehen. Und so stand ich wie eine Bugstatue und starrte konzentriert auf die Kirchturmspitze, die so gar nicht näher kommen zu schien. Aber auf wundersame Weise ging es mir nach einer Weile besser.


Trotzdem war ich heilfroh, als wir wieder an Land gingen, wo wir von Nick erwartet wurden. Ich konnte die Kälte in jedem Knochen spüren, trotz Thermoanzug. Durchgefroren ließen wir uns in ein kleines Lokal am Hafen fallen. Eine urige kleine Spelunke, die außer ein paar Fischkebabs noch eine Spezialität anboten: Hummersuppe. Und verdammt, das ist die beste Suppe, die ich jemals hatte. Wärmte bis in die Zehenspitzen.



Mit Nick unternahmen wir noch einen Spaziergang durch die Laugavegur. Das ist die Haupt-Einkaufsstraße in Reykjavik, wo sich ein Geschäft an das Nächste reiht. Boutiquen, Souvenirläden, Kunstläden… die Preise! Wahnsinn.

Makaber, so etwas nach der (erfolglosen) Whale-Watch-Tour zu tun, aber etwas später im Apartment hauten wir die Wal-Steaks in die Pfanne.
Schmeckte gar nicht so schlecht. Saftig und nahrhaft. Ein wenig wie Leber im Geschmack. Aber ein schlechtes Gewissen hatte ich trotzdem.



Das Haus verließen wir an dem Tag nicht mehr. So toll die frische Luft auch ist, sie macht verdammt müde. Noch ein kurzes Bad im heißen Schwefelwasser, und ab ins Bett.

Mittwoch, 10. November 2010

Island - Tag 1

Nichts mehr konnte mich bei der Landung in Keflavik auf dem Sitz halten. Umständlich versuchte ich an dem mit weit offenem Mund schnarchenden Fensterplatzschläfer vorbei einen ersten Blick auf die Insel zu erhaschen. Verdammt, warum durfte der Typ ans Fenster? Der war noch vor dem Abflug eingeschlafen und hatte den ganzen dreistündigen Flug durchgepennt. Und mir die Sicht versperrt. Dem hätte auch ein Gangplatz genügt.
Ich musste mich jedenfalls mit dem ersten Blick noch gedulden. Durch die geschlossene Gangway wurden wir ins Gebäude gelotst, das wie jeder gewöhnliche Flughafen aussah. Aber da, der Blick aus dem Fenster… waren das Berge? Oh, die Farben! Grüntöne, Brauntöne, Gelbtöne, Gras und Moos, Felsen und Steine… nur ein kurzer Blick, dann schob sich die Herde schon weiter durch den Gang in Richtung Gepäckausgabe.

Der erste Eindruck

Zwanzig Minuten später war es soweit. Wir traten durch den Ausgang ins Freie und taten den ersten Atemzug isländischer Luft. Oh, wie tat das gut! Es war, als hätte ich mein Leben lang verbrauchten, schmutzigen und ungesunden Second-Hand-Mief geatmet und wäre zum ersten Mal mit richtiger Luft in Kontakt gekommen. Kristallklar! Ich atmete so tief ein, dass mir fast schwindelig wurde. Alles fühlte sich so frisch an. Strahlend blauer Himmel, Temperatur gerade um den Gefrierpunkt. Sonnenschein. Aber war für einer. Es war 14:30 Uhr am Mittag, aber die Sonne befand sich schon so in Tieflage, als würde sie jeden Moment vom Himmel fallen.
Das ist wohl der Preis, den man in Island zahlt. Im Sommer Tag und Nacht Helligkeit, im Winter nur ein paar wenige Stunden Tageslicht, bevor die Sonne auch schon wieder die Biege macht.

„Jaggaögurthougtherthagethageröthü“, sagte die Frau am Ticketschalter freundlich. Oh Gott, isländisch hört sich ja so was von ungewohnt an. „Takk“ sage ich brav, was hoffentlich so was wie Danke bedeutet, und nehme die Bustickets für den Transfer nach Reykjavik entgegen. 3900 Isländische Kronen kostet das für den Gawjus und mich. Der Preis im Tausenderbereich lässt mich erst kurz zusammenzucken, aber dann erinnere ich mich wieder an die Umrechnung. 175 Kronen sind 1 Pfund.

„Hier stinkt es ja schon wieder nach Klo!“ sage ich im Bus. Wir hatten nicht nur keine Fensterplätze im Flieger bekommen, sondern auch noch die Sitzreihe neben der Toilette. Prima.
Dass es nicht im Bus nach Klo roch, sondern auf der ganzen Insel, realisierte ich erst später. Natürlich war es der Geruch nach Schwefel. Island ist eine Vulkaninsel, in deren Inneren es brodelt und siedet. Die dabei freigesetzten Gase riechen recht aufdringlich nach verfaulten Eiern.

Am Busbahnhof in Reykjavik erwartete uns Nick. Er würde uns für diese Woche gegen eine kleine Summe sein Apartment zur Verfügung stellen. Wir hatten echt Glück, dass dieser Kontakt zustande kam. Nick – gebürtiger Neuseeländer – hatte einige Zeit in England gelebt, und war froh, sich mal wieder austauschen zu können. Er sieht schon von weitem wie ein Abenteurer aus. Blonde Dreadlocks, wettergegerbte Haut. Er hat schon jedes Land der Erde bereist und fotografiert. Davon erzählten die zahlreichen Souvenirs und Fotos in seiner kleinen Dachwohnung.

Nick ging mit uns noch auf eine Blitz-Sightseeing-Tour in seinem 25 Jahre alten Jeep. Reykjavik ist aber mit 120.000 Einwohnern recht überschaubar, vor allem das Zentrum in dem wir uns vorwiegend aufhalten würden. Seine Wohnung lag direkt zwischen Haupteinkaufsstraße und Hafen.
Wir besuchten kurz Perlan, den städtischen Warmwasserspeicher, um von dort aus den ersten isländischen Sonnenuntergang zu genießen. Wasserspeicher klingt
unromantisch, aber das Gebäude ist ziemlich eindrucksvoll und super modern, mit einem sich drehenden Restaurant und künstlichem Geysir.

Seht ihr den Vulkan links im Bild?

Mount Esja

Wasser ist hier ja eine geniale Sache… es kostet fast nichts, weil alles Leitungswasser entweder direkt aus den Bergen (Kaltwasser) oder aus der Erde (Heißwasser) kommt. Das kalte Wasser ist köstlich! Das Heiße dagegen riecht sehr schweflig, und schießt mit einer Temperatur von 70-80 Grad aus der Leitung. Äußerste Vorsicht beim Duschen! Aber meine Haare seufzten vor Erleichterung, als sie zum ersten Mal mit dem wunderbaren Wasser in Berührung kamen. Kein Vergleich zum Londoner Leitungswasser, das mehr Chlor als Wasser beinhaltet.

Nick brachte uns noch zu einem Supermarkt, in dem wir uns mit den nötigsten Lebensmitteln für die Woche eindecken konnten.
Das dauerte ewig, war es doch viel interessanter, sich erst einmal ausgiebig durch das Sortiment zu stöbern. Es war auf den ersten Blick nicht so sehr spektakulär. Island importiert fast alles. Sehr viele deutsche Marken konnte ich entdecken. Aber dann fanden wir doch die kleinen kulturellen Unterschiede. Eine Gefriertruhe, randvoll gefüllt mit abgepackten Schafsköpfen. Komplett, mit Augen und Gehirn. „Delikatesse“, schmatzte Nick. „Vor allem die Augen.“ Würg.
Daneben Flaschen mit abgefülltem Schafsblut. Für Suppe.

Schafsköpfe, na lecker

„Lass was typisch isländisches mitnehmen“, sagte der Gawjus und beäugte neugierig Blut und Kadaver. Ich schob ihn gleich mal weiter zum nächsten Tiefkühler. Dort waren die Köpfe gleich vergessen, beim Anblick von Wal-Steaks. Also gut, warum nicht. Nur schauen, dass Greenpeace mich niemals findet.
Die Preise haben mich jetzt nicht ganz so vom Hocker gehauen, wie im Reiseführer angedroht. Wahrscheinlich hat mich das Leben in London da schon ein wenig abgehärtet. Oder ich habe Fehler im Umrechnen gemacht, das würde sich am Ende der Woche, und vor allem am Ende des Geldes dann herausstellen.

„Ach ja, übrigens“, sagte Nick, als er uns wieder bei der Wohnung absetzte und den Schlüssel aushändigte. „heute stehen die Chancen gut, die Aurora Borealis zu sehen!“

4 Stunden später stiegen wir wieder in einen Bus am Hauptterminal. Nicks Prognose hatte uns dazu bewegt, spontan eine kleine Polarlicht-Tour zu buchen. Wäre das nicht der Hammer, gleich am ersten Abend dieses unglaubliche Naturschauspiel zu sehen? Die Tour hatten wir deswegen gebucht, weil wir uns aus der Stadt entfernen wollten, wo die Lichtverschmutzung einfach ein wenig die Chance auf eine gute Sichtung nahm.
Tourleiterin Ragna war nicht ganz so zuversichtlich. „Es ist Vollmond!“ sagte sie sorgenvoll und wiegte ihren Kopf hin und her. Der helle Mondschein könnte uns echt einen Strich durch die Rechnung machen.
Aber schon ein paar Kilometer südlich von Reykjavik stoppte der Bus am Straßenrand. „Da ist ein Band!“ rief Ragna entzückt, und löste ein riesiges Chaos aus, bei dem sich bestimmt dreißig Personen gleichzeitig durch die schmale Tür des Busses pressen wollten. „Ein Band!“ wiederholte Ragna, und ihre Stimme überschlug sich. Blindlings rannte sie in ein Lavafeld. Ein Rudel Touristen folgten ihr auf der Ferse, mit gezückten Kameras, wild in den Himmel blitzend.
Und dann sahen wir es.
Wie ein hellgrünes Nebelband erschien ein Polarlicht genau über unseren Köpfen. Es war unbeschreiblich. Immer wieder wechselte es die Form, wurde schwächer und stärker und teilte sich schließlich in mehrere Lichtpunkte, die im Sekundentakt verschwanden und an anderen Orten wieder auftauchten.
„Sie tanzen für uns.“ hauchte Ragna.



Wir standen noch zwei Stunden mit in den Nacken zurückgelegten Köpfen und beobachteten die Lichter am Himmel. Kaum jemand redete, wirklich jeder war vom Anblick gefesselt. Und trotz der Kälte konnten wir uns fast nicht mehr davon trennen.

Als wir durchgefroren wieder beim Apartment ankamen, konnten wir sogar vom Balkon aus noch vereinzelte Grünschimmer am Himmel sehen, was wie eine Bestätigung für das war, was wir eben in diesem Lavafeld gesehen hatten.
Was für ein gelungener Abschluss des ersten Tages in Island.

Tag 564 - Ende und Anfang

Der Abschied von den Sargnägeln war nicht so dramatisch wie erwartet. Groß Sargnagel hat zwar ein paar Tränen vergossen, aber nach ein paar Minuten war alles wieder gut. Die beiden wissen ja, dass ich nur eine Busfahrt entfernt wohne „in der Stadt mit dem tollen Spielplatz!“
Das neue Aupair war ein paar Tage vorher angekommen und hatte sich gleich als super nett herausgestellt. Klein Sargnagel hatte zwar am ersten Morgen einen Trotzanfall, aber das war eigentlich ganz gut, so konnte die Neue schon mal den Extremfall kennen lernen. Und sie hat sich wirklich sehr gut geschlagen.

Dann jedenfalls kam der Moment, an dem ich zum ersten Mal die Haustür hinter mir zu zog, ohne Schlüssel in der Tasche. Das war dann schon ein wenig komisch. Wieder verließ ich meine vertraute Umgebung für etwas total Neues. Aber auch dieses Mal gewann die Vorfreude, und das komische Gefühl erstickte schon bald vollständig.

Zwei Tage später ging mein Flugzeug nach Island…