Sonntag, 17. Mai 2009

Tag 27 - It's a kind of magic

"I love kids. I was a kid myself, once"
(Tom Cruise)

Die Routine! Ich hab die Routine! Morgens kann ich Porridge kochen ohne richtig wach zu sein. Und trotzdem sehe ich aus dem Augenwinkel, ob der Kleine auch seine Schuhe richtigherum an hat.
Ich trage ständig Pflaster in den Hosentaschen und bin jeden Tag in jeder Sekunde auf jedwedige Eventualität vorbereitet.
Nie würde ich mit den Kids das Haus verlassen ohne einen Vorrat Taschentücher, Jacken, Unterhosen, Trinkflaschen, Äpfel, Bestechungsspielzeug und Mr. Mouse.
Ich weiß, dass die Laustärke eines Schmerzensschreis nichts über den Verletzungsgrad aussagt und es nichts gibt, das man nicht mit einem Coolpad und ein paar Minuten absoluter Aufmerksamkeit heilen kann.
Mittlerweile schaffe ich den Schulweg alleine in unter 15 Minuten, mit einem Kind in 20 Minuten und mit zwei Kindern in 30 Minuten.
Mr. Mouse ist ein wichtiger Bestandteil des Alltags geworden. Ohne ihn waere alles viel anstrengender, da bin ich mir sicher.
Und ich liebe das Gute-Nacht-Geschichten-Ritual, neuerdings mit Taschenlampe, was die Kinder am Abend geradezu freiwillig ins Bett fliegen lässt. Schön, so muss das sein. Mein Englisch wird durch die erfundenen Mr. Mouse Stories auch besser.

Siehe da, nichts zu meckern heute. Und ich ignoriere mal grosszügig, dass ich eigentlich gefrustet sein müsste, weil mir wieder mal ein E-Mail-Entwurf flöten gegangen ist. Nein, ich ruhe total in mir und genieße den britischen Lifestyle.

Ich weiß, welche Walkers Crisps am Besten schmecken (Cheese & Onion) und welche man meiden sollte (Prawn Cocktail... obwohl, ich hab noch nie Chili & Chocolate probiert und will auch nicht)
Ich weiß in welche Richtung ich schauen muss, wenn ich eine Straße überquere und kriege keine Schweissausbrüche mehr, wenn der Bus "falschherum" in einen Kreisverkehr fährt.
Ich laufe selbstbeherrscht durch die Gegend und bekomme keine entzückte Quietschattacken mehr, wenn ich eine Telefonzelle sehe.
Wenn mich jemand nach der Farbe der Picadilly Line fragt, kann ich ohne nachzudenken mit "blau" antworten.
Ich hab mir mein erstes englischsprachiges Buch gekauft und verstehe sogar den Inhalt.
Ich weiß die Namen der wichtigsten Fernsehrsender und lästere eifrig über das schlechte Programm (der selbe Scheiß wie in Deutschland!)
Aus den verrückten Essvorlieben der Kids hab ich jetzt auch gelernt und brachte als nächsten Kochversuch nach dem Pizzadesaster einfach mal Semmelknödel auf den Tisch (was könnte ein britisches Kind mehr mögen, als in warme Milch eingeweichtes Brot, gesprenkelt mit Zwiebel?), mit durchschlagendem Erfolg!
Ab vier Uhr Nachmittags kann ich mit gutem Gewissen anfangen in den Pubs Bier zu trinken, so macht das nämlich jeder. Einmal bin ich versehentlich erst abends um halb elf in den Pub gegangen und musste genau eine halbe Stunde später wieder gehen... Sperrstunde.
Ich weiß was es bedeutet, wenn ich bei Starbucks gefragt werde, ob ich meinen Frappuccino lieber coffee-based oder cream-based möchte.
Und ich muss beim Bezahlen nicht immer jeden Pence umdrehen um sicher zu gehen, ob auch die richtige Zahl drauf ist (Ich hab ständig 50er und 10er verwechselt)
Mittlerweile hab ich auch das Bedürfnis, Kleingeld auf die Straße zu schmeissen, weil es einfach so scheiße schwer und platzraubend im Geldbeutel ist (Das 2-Pence-Stück ist so groß wie ein 2-Euro-Stück!), aber ich verkneif es mir und sammle die Pennies jetzt in einer Schachtel (Jack von der Bank freut sich bestimmt, wenn ich den Schrott mal einzahle).



Dienstags und Donnerstags bin ich für je 2 1/2 Stunden in der Sprachschule. Auch daran bin ich jetzt gewöhnt. Anfangs war es etwas überfordernd, weil wirklich die ganze Zeit durchgehend Konzentration verlangt wird. Wenn man nur eine Sekunde von seinem Papier aufschaut, wird man sofort mit ein paar spontanen Fragen genötigt und hat das Gefühl, bei etwas Verbotenem erwischt worden zu sein. Aber der irische Teacher ist schon in Ordnung. Er hat nicht Fucking Grammatik zum Schwerpunkt seines Stoffes gemacht, sondern auch die Englische Umgangssprache und alles mögliche, das einem im Alltag weiter bringt. Und wann sagt man SOME und wann sagt man ANY? Wann QUITE und wann RATHER?



Und ich bin froh, dass die Leute so in Ordnung sind. Nach der Schule geh ich immer mit drei bis vier Aupairs einen Kaffee trinken. Dienstag hab ich mit zweien Handynummern ausgetauscht, weil wir nächste Woche gemeinsam in den Pub gehen wollen.
Hört sich jetzt schon an wie der Anfang eines schlechten Witzes:
"Gehen eine Tschechin, eine Japanerin und eine Deutsche in England ein Bier trinken..."
Ich freu mich wirklich drauf.

Die Japanerin, Hiromi, ist ungewollt so urkomisch, ich könnte mich jedes Mal über sie zerbröseln. Die Ärmste hat einen extremen Kulturschock und ist hypernervös. Immer wenn sie spricht, rutscht ihr die große, monströse, absolut unfassbar riesige Brille von der winzigen Nase. Sie scheint das eigentlich gar nicht richtig wahrzunehmen, ist aber alle paar Sekunden damit beschäftigt, ihre Brille wieder richtig zu platzieren. Als ich sie nach der Schule gefragt hab, ob sie mit auf einen Kaffee kommt, hat sie erst hinter sich geschaut, weil sie nicht sicher war, ob ich auch wirklich sie meine. Dann ist ihr vor Schreck die Brille von der Nase gesprungen und sie musste einen wahnsinnig ungeschickten Ausfallschritt machen, um das Gestell in der Luft wieder einzufangen, bevor sie noch jemanden damit erschlagen hätte.

Klara ist da etwas nüchterner, aber genau auf einer Welle mit mir. Ich kenn zwar nicht viele Tschechen, aber sie ist ne untypische Tschechin, definitiv. Sie wird immer für eine Deutsche gehalten. Und hey, sie lacht über meine schlechten Witze. Ausserdem will sie genau wie ich gerne nach Salisbury, um Stonehenge zu sehen. Das machen wir auf jeden Fall zusammen.

Ich hab jetzt auch meinen Lieblingspub gefunden... es ist der eine in Bromley, der mit den Freaks. Ich hab das Gefühl, dass ich dort richtig gut reinpasse. Warum auch immer.
Letzten Sonntag bin ich dort mit einer Menge Leute ins Gespräch gekommen.
Überhaupt rede ich eigentlich mit jedem, wenn ich so drüber nachdenke. Ich hab einen furchtbaren Mitteilungsdrang und komme mir manchmal vor wie so ein altes Ömchen an der Bushaltestelle. Mit denen rede ich übrigens auch gerne.
Und mit den Strassenfegern und Müllmännern und den Securities am Themse-Ufer. Sogar mit der Lollypop-Lady, die in ihrer gelben Uniform vor der Schule den Verkehr regelt. Und das Gute an der englischen Höflichkeit ist: Niemand traut sich, mich abzuwürgen.

In den Pubs interessieren mich neben einem lecker Shandy (Radler) meisten die Tresengeschichten. Mike, mein Boss im $Heimatstaedter$ Pub sagt immer: "Wer alleine am Tresen sitzt, hat etwas zu erzählen." (Viele Grüsse an der Stelle von deiner Fern-Bedienung!) Und das ist so wahr.

Da ist im Bromley Freak-Pub zum Beispiel der junge Kerl, der in eine fünfzehn Jahre ältere Krankenschwester verliebt ist. Kennengelernt haben sie sich am Flughafen Heathrow, als er einen Herzstillstand hatte und sie ihn spontan wiederbelebt hat. Seitdem kann er sie nicht vergessen, aber sie ist verheiratet. Leider. Cheers.

Und der Typ mit Glatze, der seinem Irokesenschnitt nachtrauert. Dieser ist vor ein paar Wochen in Flammen aufgegangen, als seine Zigarette plötzlich das Haarspray entzündete. Jetzt klebt er sich manchmal einen Handfeger auf den Kopf. Aber das sei nicht dasselbe, sagt er seufzend. Cheers.

So, cheers and goodbye for now!

Ich geh jetzt noch eine Runde meine neuen Trainers einlaufen. Meine blöden in Berlin ruinierten Converse Sneakers hab ich heute mit einer theatralischen Armbewegung in die Tonne entsorgt. Ab sofort bin ich durch sportliche Reeboks gepolstert, die ich bei Lillywhites gefunden habe. Mal sehen, ob sie auch nur ansatzweise so gut sind wie meine ehemaligen Nikes. Wow, viermal Schleichwerbung in drei Sätzen.

Und apropos Berlin... am Samstag treffe ich Cousinfriend Hannah mit Freund Patrick! Die beiden sind heute bei einer Freundin in London angekommen. YAY!


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