Vielleicht sollte ich doch mal was Nettes über meine zwei letzten Sargnägel schreiben. Das fällt mir heute leicht, denn die beiden sind für ein paar Tage bei Daddy. Eigentlich sind sie ja ganz toll, und ich hab auch jede Menge Spaß mit ihnen. Sehr positiv ist auch, dass sie Bücher mögen und ich ihnen stundenlang vorlesen kann. Sowieso sind die beiden wie Informationssauger und an allem interessiert. Und alles was ich erzähle, wird in diesen komplizierten Denkapparaten abgespeichert.
Als die Große mal nicht schlafen konnte, hab ich sie mit mir fernsehen lassen. Kindertauglich war zu der Uhrzeit nur der History Science Channel, auf dem eine Dokumentation über DNA lief. Chromosomengestränge und wimmelnde Sachen millionenfach vergrößert. Spannend. Während ich schon vor mich hin schlief, saß mein großer Sargnagel staunend auf dem Sofa und entwickelte so was wie Verständnis für diese komplexen Vorgänge.
Der Kleine hat kürzlich was Niedliches gebracht. Auf dem Weg zum Doktor haben wir über den Herbst gesprochen, und dass die Bäume in der Straße jetzt jeden Tag anders aussehen. Erst kriegen die Blätter eine andere Farbe, dann fallen sie runter. Über den Winter sind die Bäume dann nackig, wusste er. Dann meinte er plötzlich: „Und wer macht die Blätter dann wieder an die Bäume dran?“
Ich finde die Schulausbildung ist hier komplett anders als in Deutschland. Während die deutschen Kids mit sechs oder sieben Jahren in der ersten Klasse noch Regenschirmgriffe und Spazierstöcke malen, zur ersten Vorbereitung des Schreibens, fängt hier alles ein wenig früher an. Klein Sargnagel ist vier, aber seit Anfang September eingeschult. Lesen und Schreiben nimmt jetzt Formen an. Es ist erstaunlich, das zu beobachten. Wir machen jeden Tag eine Hausaufgabenstunde und jeden Tag kennt er einen Buchstaben mehr. Was für ein großer Moment, als er von selbst sein erstes Wort geschrieben hat: FAT
Die Große, mit sieben Jahren in der dritten Klasse, buchstabiert Wörter wie „Carbohydrates“ und „Character“ fehlerfrei und hatte im letzten Schuljahr schon den ersten Physik Unterricht. Wie funktioniert ein Stromkreis? Ich glaub ich spinn! Das kapier ich jetzt noch nicht mal. Wie hat England eigentlich bei der Pisa Studie abgeschnitten? Ich kann mir vorstellen, dass die irgendwo näher an der Spitze sind, als Deutschland.
Diese Woche sind Herbstferien. Die Kids sind jetzt bis Mittwoch noch bei Daddy, dann hab ich sie für den Rest der Woche. Ich hab mir vorgenommen, den Kindern so schöne Tage wie möglich zu verschaffen (und mir auch). Ich hab den Plan, sie ins Natural History Museum auszuführen. Sie werden es lieben. Ein wenig Bammel hab ich aber, schließlich sind es meine beiden Sargnägel, die ich in die große Stadt mitnehme, und nicht irgendwelche Schoßhündchen, die man in die Handtasche packen könnte. Der Weg dorthin ist ziemlich umständlich. Halbe Stunde Zugfahrt, dann zwei Tube Linien. Ich hab den totalen Horror, dass mir die Zwerge verloren gehen könnten. Oder aber es vergeht ihnen schon nach drei Minuten die Lust am Ausflug. Organisieren muss ich das dann auch reibungslos. Mit zwei laufmüden Kindern durch Waterloo irren ist nicht gerade eine gute Idee.
Ich könnte sie ja anleinen. Das wäre nicht mal so abwegig. Hier sieht man überall Eltern, die ihre Kleinkinder Gassi führen. An einer Leine! Die Meinungen darüber sind aber ziemlich gespalten.
Aber in der Öffentlichkeit zeigen sich die zwei gewöhnlich von der besten Seite, so dass ich mir eigentlich keine Sorgen machen müsste.
Die Große macht ja in letzter Zeit einen Entwicklungsschub durch, das ist unfassbar. Ich glaub da kann Mummy sich in ein paar Jahren warm anziehen. Wir hatten kürzlich Handwerker im Haus, die neue Heizkörper und einen neuen Boiler (juhuuu, nie wieder kaltes Duschwasser!) installiert haben. Sie hatten einen 16-jährigen Lehrling dabei, der noch ziemlich kindlich aussah. Mein großer Sargnagel starrte ihn für eine Weile fasziniert an, und ich konnte ihren kleinen Denkapparat arbeiten sehen.
„I fancy him!“, gestand sie mir wenig später. „He’s quite handsome!“
Hallo? Kind? Du bist sieben Jahre alt!
Klein Sargnagel war natürlich nicht entgangen, dass seine Schwester irgendwo in anderen Sphären schwebte.
„You love the booooy! Yoooou love the booooy!“, fing er an zu singen, tanzte um den großen Sargnagel und zeigte sehr offensichtlich auf den armen Lehrling, der keine Ahnung hatte, was vor sich ging.
„BE QUIET!“, schrie die Große schließlich verzweifelt. „You don’t know anything about love!”
Stampfen auf der Treppe. Eine Tür schlägt zu.
Vorhang.
Ich hab einen Teenie.
Sie kam jedenfalls darüber hinweg, über was auch immer. Nach ein paar Stunden war der Boiler installiert.
Drei kinderfreie Tage! Ich weiß gar nicht was ich mit so viel Zeit anfangen soll. Aber es ist ja Montag, was bedeutet, dass das Haus wieder einer Massenauffangstation für Schmutzbakterien gleicht und nichts mehr dort aufzufinden ist, wo ich es bei der letzten Aufräum- und Putzaktion (am Freitag) hinterlassen habe. Andere Sachen jedoch haben sich seit Tagen nicht von der Stelle bewegt, zum Beispiel eine Tasse Milch auf dem Heizkörper. Oh, und ich hab noch gar nicht nach den Kohlköpfen geschaut.
Heute lass ich es jedoch langsam angehen. Ich bin das ganze Wochenende in einem Van gesessen, was mich mein Rücken heute auch spüren lässt. Aber es war ein netter kleiner Gelegenheitsjob, der mir ein paar nicht unwichtige Pfund in Sachen Weihnachtsgeschenkevorbereitung gesichert hat.
Die Engländer sind wirklich ein hart arbeitendes Volk. Aber die Arbeiter lassen manchmal auch gerne für sich arbeiten. Die letzten zwei Tage hab ich also als Handlanger einen Installateur für Kältetechnik begleitet, der durch ganz Südost England kurvt und in Supermärkten die Kühlapparate wartet. Natürlich hab ich keine Ahnung davon, weswegen sich mein Job auf Navigieren anhand von Straßenkarten und das Organisieren von Kaffee/Sandwiches/Zigaretten beschränkt hat.
Aber hey, ich bin rumgekommen! Zwölf Stunden am Tag auf dem Beifahrersitz eines VW Transporters von Gravesend im Osten bis Brighton im Süden bis Reading im Westen. Zum Schluss noch Islington im Norden Londons. Auf kurvigen Straßen durch die Countryside bis zur Küste und zurück in die Metropole.
Das Kartenlesen war eigentlich nicht schwer. Nur am Anfang gab es ein Missverständnis, weil mich der Linksverkehr mal wieder ausgetrickst hat: Die letzte Ausfahrt des Kreisverkehrs… halt… nein, linksrum ist es die Erste!
Jedenfalls hat mir dieses Wochenende viel gebracht. Mal zur Abwechslung keine Party, sondern wieder einmal etwas komplett Neues. Ich hoffe, das geht noch lange so weiter.
Das war’s auch schon wieder für heute. Ich schau jetzt doch mal ob der Kohl schon soweit ist, dass ich ihn in den Ausguss gießen kann. Dann eine lange Badewanne und heute Abend Bandprobe.
Nächste Woche wird’s besser. Dann kann ich von meinen Aktivitäten mit den Kindern berichten…und von Halloween.
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