Montag, 15. Februar 2010
Tag 304 - Comfortably Numb
Diesen Bericht will ich dem Pub widmen.
Meinem Pub.
Anlaufstelle für Leute, die irgendwie aus der Reihe fallen. Eine Ansammlung von Freaks, die alle etwas gemeinsam haben, das aber nicht genau einzuordnen ist. Es ist der Pub, den ich an Tag 9 betreten habe und irgendwie nie wieder verlassen konnte. The Railway.
Ich weiß noch ganz genau, wie ich das erste Mal fasziniert am Tresen saß und dieses unglaublich seltsame Publikum beobachtete. Nicht ahnend, dass ich schon sehr bald jeden Namen zu jedem Gesicht kennen würde. Dass ich all diese Geschichten hören würde, so viele Drinks ausgegeben bekäme und tatsächlich an den Lock Ins nach der Sperrstunde teilnehmen dürfte. Dass ich Freundschaften schließen würde, die auch außerhalb des Pubs bestünden. Und dass ich mir hinten in der Küche meinen Kaffee selbst kochen würde.
Bis auf wenige Ausnahmen hab ich bisher jeden Donnerstagabend in The Railway verbracht. Die beste Entspannung während einer stressigen Woche. Kraft tanken, um am Freitag noch einmal 100% Au Pair zu sein, bevor das Wochenende anfängt.
Jedes Mal wenn ich im Pub ankomme, hab ich das Bedürfnis die Schuhe auszuziehen, weil es wie nach Hause kommen nach einem Arbeitstag ist. Allerdings sitzen und stehen in meinem Wohnzimmer jede Menge seltsame Gestalten.
Hier mal eine kleine Auswahl:
Der Landlord
Seit ein paar Monaten der neue Eigentümer des Pubs. Es gibt ja diese farbigen Kontaktlinsen mit dem Dollarsymbol. Die Vorlage dafür waren bestimmt die Augen des Landlords. Er steht den ganzen Abend steif wie ein Stock irgendwo in der Ecke mit guter Übersicht über das Geschehen, verzieht keine Miene und macht aber trotzdem einen unglaublich gestressten Eindruck. Ich hab das Gefühl, jedes Mal wenn Getränke über den Tresen gehen, rechnet er im Kopf die Einnahmen aus. Seine Frau ist eine rassige Südamerikanerin mit endlos langen Beinen. Sie hasst den Pub und diese ungepflegten Gäste. Sie hätte lieber eine schicke kleine Weinbar. Doch der Landlord bleibt in diesem Fall stur. Hat er doch schon lange erkannt, dass sich hier nur mit den Freaks Umsatz machen lässt.
Der Dealer
Ein gerissener Fuchs, der sich immer ein wenig im Hintergrund hält auf der Suche nach einem guten Geschäft. Er hat eine Million Bekanntschaften, kann alles besorgen von der blauen Mauritius bis zum Papstgolf. Außerdem bietet er einen inoffiziellen 24 Stunden Fahrservice und nimmt dafür unter dem Taxipreis… wenn auch nur gering. Es gibt niemandem im Pub, der nicht die Telefonnummer des Dealers hat und hin und wieder seine Dienste in Anspruch nimmt. Für Geld würde er alles tun, was ihn einerseits unheimlich macht, aber andererseits ganz lächerlich berechnend.
Der Knacki
13 ½ Jahre Gefängnis hat er hinter sich. Fast schon stolz hat er mir seinen Gefängnisausweis präsentiert, als ich diese Info erst ungläubig weggelacht habe. Was er denn ausgefressen hatte, wollte ich wissen. Jemanden umgebracht hat er, meinte er, entschuldigend lächelnd.
Es ist recht schwierig, sich diesen Kerl als Mörder vorzustellen. Gut, ihm fehlt oben vorne ein Schneidezahn und die grauen Zottelhaare stehen wirr in alle Richtungen vom Kopf, was ihn doch ein wenig radikal aussehen lässt. Doch vom Wesen her ist er ein bisschen ein… wie soll ich sagen… Gespräche mit ihm sind irgendwie:
Knacki: (aufgeregt) „Fühl mal meine Haare!“
Ich: „Oh, schön weich. Was hast du gemacht?“
Knacki: (begeistert) „Ich hab sie gewaschen!“
Das hat jetzt nichts mit englischem Humor zu tun. Er meinte es so.
Vor einiger Zeit hab ich ihn mal gefragt, ob er mir seine Geschichte erzählt. Klar, gerne, meinte er. Leider hat sich bisher aber noch keine Gelegenheit ergeben.
Der Rock Opi
Ich hatte schon einmal über ihn geschrieben. 63 Jahre ist dieses winzige Männchen mit der Damenfrisur alt. Mit Jeansjacke und Cowboystiefel steht er fast jeden Donnerstag mit Gitarre auf der Bühne und singt lallend einen selbst geschriebenen Countrysong. Die Leute im Pub respektieren ihn. Er kriegt eine Menge Applaus und Schulterklopfer. Letztere lassen ihn aber fast zu Boden gehen.
Ich hab schon mehrmals versucht ihn über den Marquee Club auszufragen, in dem er scheinbar oft zu Rolling Stones Anfangszeiten zu Gast war. Seine Augen leuchten dann immer kurz auf und er kichert über irgendetwas. Leider ist er jedes Mal so dermaßen betrunken, dass seine Geschichte immer an derselben Stelle auf das Lieblingsthema zurückkommt: Whiskey.
Specs
Ist glaub ich der größte Pink Floyd Fan der Welt. Sein Markenzeichen ist die Sonnenbrille, die er niemals abnimmt. Ein schweigsamer Typ, der nur dann das Wort ergreift, wenn jemand eine schlechte Pink Floyd Cover Version spielt. Schlecht findet er dann aber auch schon, wenn nur eine Kleinigkeit im Text nicht stimmt.
Whistleman
Dieser seltsame Typ tauchte eines Tages auf, setzte sich an den Tresen und begann Querflöte zu spielen. Nicht wahllos, sondern er begleitete die Songs der Jukebox. Auf ihn wurde Specs aufmerksam, der Typ mit der Sonnenbrille. Seitdem spielen sie zusammen Pink Floyd Songs und ergänzen sich super. Specs redet kaum und Whistleman redet niemals.
So viel für heute, Fortsetzung folgt.
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