Donnerstag, 1. April 2010

Tag 346 - All I have to do is dream

Harte körperliche Arbeit… gut, Charity Shop ist nicht Kanalarbeit. Aber es bringt ein wenig Abwechslung in den Alltag.
Vier Vormittage habe ich bisher dort verbracht und bin von den Ladies recht freundlich, aber noch etwas zurückhaltend aufgenommen worden. Komisch, es sind dort komplett andere Englischkenntnisse gefragt, als wenn ich mich zum Beispiel mit jemandem im Pub unterhalte. Mir fehlen manchmal die Vokabeln zum super höflich und seriös rüberkommen. Ich merke, dass die Damen sich gerade noch sehr vorsichtig an mich herantasten, weil ich ihnen mit der trampelnden Hallo-hier-bin-ich-was-liegt-an-Einstellung wohl nicht ganz geheuer bin. Also schraube ich einen Gang zurück, rede nur, wenn es wirklich passt, höre zu, beobachte, lächle und versuche alles das ich erklärt bekomme gleich richtig umzusetzen. Ich vermeide jegliche Fluch- und Coolnesswörter und entschuldige mich höflich, wenn mir jemand auf den Fuß tritt.
Und ja, das Verhältnis wird wärmer.

Die Ladies sind faszinierend ladyhaft. Mit der Spitze des Löffels vermischen sie Milch mit Tee und nippen genießerisch an den geblümten Tassen, als wäre es ein Dom Pérignon. Die wichtigste Frage des Tages ist: „Hat jemand ein Bicky? Bicky? Anybody? No?“ Dann werden die koffergroßen Handtaschen gezückt und der Fragerin Kekspackungen in allen Farben und Größen angeboten. Hmm, Bickies! Von Oreo über Bourbon bis Mc Vities Digestive. Kekse!
Die Gesprächsthemen sind meistens die Kinder, die Enkel, und die werten Gatten. Nur Ayleen, die Älteste, redet gerne über Fußball und Tiere.
Sie sind nicht alle jenseits der 70, die Ladies. Eigentlich nur zwei oder drei. Der Rest befindet sich im Alter zwischen 40 und 60 und haben typische Namen wie Sheila, Jane und Maureen. Dann gibt es noch einen 19jährigen Arbeitssuchenden namens Kevin, der seine Langeweile ganz gerne mit den größten Keksen erschlägt. Er ist Gesprächsthema Nummer 4 – allerdings in Abwesenheit – weil er den Damen gerne Unordnung und Chaos hinterlässt.

Jane ist die Managerin des Ladens. Eigentlich macht sie nichts anderes als die anderen auch – Tee löffeln und Bickies tunken – aber sie hat das Privileg, die Schaufensterpuppen anzukleiden. Und tut dies auch mit einer Leidenschaft, als würde sie für Dolce & Gabbana dekorieren und nicht für die Cancer Research.
Sie sieht immer aus wie aus dem Ei gepellt. Hohe Lackstiefel, trendige Longshirts, jede Menge Accessoires. So klimpert sie durch das Ladengeschäft, korrigiert hier und da die Position eines Kleiderbügels und strahlt kühle Autorität aus. Ich fühle mich immer unwohl, wenn sie über meine Schulter schaut. Was aber auch damit zusammenhängen kann, dass ich eine Vorgesetztenallergie habe. Ich hasse Chefs. Nie wieder will ich unter jemandem arbeiten, der das Weiße in seinen Pickeln noch menschlicher behandelt als mich.

Die eigentliche Arbeit ist recht entspannt. Jeden Tag werden mal mehr, mal weniger Plastiktüten hereingegeben, gefüllt mit den verschiedensten Dingen. Bücher, CDs, Kleidung, Haushaltsgegenstände, Müll. Die auszuräumen ist mein Lieblingsjob. Ich liebe das weihnachtsähnliche Gefühl, nicht zu wissen, was aus den Tüten zum Vorschein kommen wird. Das ist wie aus tiefer See eine Kiste zu bergen, und den spannenden Moment des Öffnens richtig auszukosten. Um dann einen Haufen zerkauter Schuhe zu finden. Aber die Aufregung war es Wert.
Alles Nippes – und Trödelzeug wird bric-a-brac genannt. Ich schau mir alles an, und werfe sofort weg, was irgendwelche Schäden oder eklige Verschmutzungen hat. Der Rest wird in ein überquellendes Regal gestellt und wartet auf weitere Verwendung.
Dann schreibe ich Preisschilder für Sachen, die sofort ins Verkaufsregal kommen. Beim bric-a-brac tu ich mich sehr schwer. Wenn eine scheusslich hässliche Vase dabei ist in Form eines pinken Truthahns im Taucheranzug, dann schießt mir in den Kopf… wer bitte bezahlt da Geld dafür? Und gerade wenn ich ein knappes Pfund auf das Preisschild schreiben will, kommt eine Lady um die Ecke geschossen „Oooooh, ist die aber schön! Maureen hast du die Vase gesehen? Ja? Hat Jane die Vase gesehen? Jane, hast du die Vase gesehen?“ Und dann stehen sie alle um mich versammelt mit Ooohs und Aaaahs und Jane sagt: „Schreib 4 Pfund für die Vase. Nein, mach 5.“
Okay. Geschmäcker gehen auseinander. Ich muss auch lernen, wie man Glas und Kristall unterscheidet. Da gibt es wohl eine Technik, das Objekt mit dem Fingernagel anzuschnipsen und auf das PING zu hören. Und warum eine Teekanne mit Rosenmuster mehr Wert ist, als Kannen mit Pfirsichen drauf.

Am Liebsten arbeite ich mit den Klamotten. Hier wird auch erst das Schlechte aussortiert, und das Gute verwendet. Mit einer Etikettierpistole schieße ich Preisschilder durch die Labels, beschrifte diese mit Größe und Tagescode und klippse ein farbiges Plastikwürfelchen für die jeweilige Größe an den Kleiderbügel. Wenn ich eine gute Menge beisammen habe, nehme ich die Sachen mit zum Dampfbügler. Und hier bin ich wirklich an meiner Lieblingsbeschäftigung angekommen. Steaming! Der Apparat sieht aus wie ein Staubsauger und auf dem Kopfteil strömt heißer Wasserdampf. Die Kleidungsstücke werden aufgehängt und ganz bequem bis zur Knitterfreiheit bearbeitet. Währenddessen einfach Hirn ausschalten und das befriedigende Gefühl genießen, wenn die Falten ganz ohne Widerworte, „I wont!“ oder „I wanna watch TV“ verschwinden. Herrlich.

Und auch wenn es unbezahlt ist, ich glaube die Charity Sache bringt mir auf jeden Fall etwas. Man sollte einfach jede Chance nutzen, neue Erfahrungen zu sammeln.

Übrigens hat mich meine neue Carpe-Diem-Lebenseinstellung dieses Wochenende einen Flug für Oktober buchen lassen. Jetzt ist einfach Schluss mit vor sich hinträumen… Handlung ist angesagt! Ich weiß, ich hab es schon einigen Leuten erzählt, aber vielleicht mag ja jemand raten, wo es in 6 Monaten und 23 Tagen hingeht.
Mal soviel: Es ist eine Insel. Es ist heiß. Trotzdem brauche ich warme Kleidung. Ich träume davon schon seit meiner Kindheit.
Na?

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