Golden Circle hatten wir für den Montag gebucht. Die klassische Tour für den Island-Anfänger: Erster Stop im Þingvellir Nationalpark, dem ältesten Parlament der Welt. Danach einen Besuch beim großen Geysir, und dann noch zum Gullfoss Wasserfall. Die drei berühmtesten Sehenswürdigkeiten in Island kann man eigentlich in zwei Stunden locker abklappern, aber wir wollten doch ein wenig mehr Abenteuer und bauten noch einen Abstecher zum Langjökull Gletscher ein.
Am Morgen musste noch die Kleidungsfrage geklärt werden. Wir würden den ganzen Tag unterwegs sein, davon mehrere Stunden in Eis und Schnee verbringen. Was sollten wir nur anziehen? Es endete damit, dass ich mich für „Schwitzen ist besser als Frieren“ entschied, und eine Schicht nach der anderen überzog. Erst ein dünnes T-Shirt, darüber einen dünnen Pullover, darüber dickes Fleece, darüber Winterjacke, und zum Schluss noch die federleichte wasser- und winddichte Regenjacke, die ich extra zwei Nummern größer gekauft hatte, um möglichst viel darunter anziehen zu können. Unter der Jeans noch Leggins, die von Muttern gestrickten Wollsocken bis zum Knie hochgezogen, und darunter noch ein Paar dünnere Socken. Ich konnte mich kaum mehr bücken um meine Wanderstiefel zu schnüren.
So machten wir uns auf den Weg zum Treffpunkt, an dem wir von unserem Reiseführer abgeholt werden sollten.
Touristenbusse hielten, luden ein, fuhren ab, nur unserer war irgendwie nicht dabei. Und schon als wir anfangen nervös zu werden, kam der größte Geländewagen um die Ecke geschossen, den ich jemals gesehen hatte. Am Steuer ein zotteliger Isländer mit dem typischen Schafswollpullover. „Springt rein“, rief er gut gelaunt. Das war also unserer.
Von Springen konnte mit den Kleiderschichten keine Rede sein. Unter größter Anstrengung zog ich mich in das hochbeinige Gefährt.
„Ihr seid die Einzigen“, meinte Zottel und drückte das Gaspedal durch. Wahnsinn, wir würden eine Privattour kriegen!
Die Landschaft flog rechts und links im Sonnenaufgang an uns vorbei. Mount Asja leuchtete in einem Rotton, als würde sie Ayers Rock Konkurrenz machen wollen.
Zottel hörte keine Sekunde auf zu reden. Er steckte voller Isländischen Sagas, Geschichten und Witzen. Jeden Quadratmeter, den wir passierten, kommentierte und erklärte er auf eine sehr unterhaltsame Weise. Er war wie eine unerschöpfliche Island-Enzyklopädie.
Ob wir wüssten, dass es in Island keine Bäume geben würde? Erst in den letzten Jahren hätte man welche angepflanzt, die jetzt in mickrigen Gruppen zusammenstehen, wie gelangweilte Teenager.
Was macht man, wenn man sich in Island im Wald verläuft?
- Man steht auf
Nach einer Stunde Fahrt erreichten wir den Nationalpark. Wir hielten an einer Aussichtsplattform und schauten ins Tal. Unberührte Natur, so weit das Auge reichte.
„So, lauft mal schön. Ich hole euch auf der anderen Seite des Flusses wieder ab“, rief Zottel noch und war auch schon weg.
Der Gawjus und ich folgten einem schmalen Weg zwischen hohen Felsen. Wir befanden uns direkt zwischen der Nordamerikanischen und der Eurasischen Kontinentalplatte. Und es war unglaublich schön.
Die moosbewachsenen Felsen schienen verwitterte Gesichter zu haben, als wären es zu Stein gewordene Höhlentrolle.
Wir erreichten den Fluss. Das Wasser war kristallklar. Nicht ein Blättchen oder Grashalm schwamm auf der Oberfläche. Es schien perfekt gefiltert zu sein, und hätte nur noch in Flaschen abgefüllt werden müssen. Jede einzelne Forelle war unter der dünnen Eisschicht erkennbar. „Hier macht Angeln bestimmt keinen Spaß“, schlussfolgerte der Gawjus. „Da fehlt ja jede Spannung.“
Der Zottel winkte uns schon aus der Ferne. Zügig gingen wir die letzten Meter. Es war wirklich verdammt kalt. Was war ich froh um die Pelzmütze mit Ohrenklappen.
Wieder im Jeep konnten wir uns erstmal aufwärmen. Zottel fuhr uns immer tiefer in die isländische Abgeschiedenheit. Es roch von Meile zu Meile schwefeliger. Immer mehr aufsteigender Wasserdampf von heißen Quellen verriet uns schon früh, dass wir bald die Geysire erreichen würden.
Und dann standen wir davor. Eine große blubbernde, dampfende, schmatzende Pfütze, in der das heiße Wasser immer wilder schwappte, bis sich schließlich so viel Druck aufgebaut hatte, dass ein großer Schwall zischend in die Luft schoss. Atemberaubend. Einmalig.
Etwa fünfmal sahen wir den Geysir Strokkur in die Höhe schießen. Erkundeten noch die siedend heißen Quellen, in denen man locker kurz fünfzig Kilo Pasta abkochen könnte, und besuchten auch noch den Großen Geysir, der nur noch selten ausbricht. Dann war es schon wieder so kalt, dass wir freiwillig in den Jeep zurückkehrten.
Gullfoss Wasserfall war der nächste Stopp.
Während wir staunend den vielen Kubiktonnen Wasser hinterherblickten, die da mal kurz in die Spalte stürzten, fing es an zu schneien. Nicht schöner flockiger Schnee, sondern Eisbröckchen, die einem schmerzhaft ins Gesicht piekten. Trotzdem rutschten wir vorsichtig auf der dicken Eisschicht den Weg hinunter, der uns direkt an das reißende Wasser bringen würde. Es war gefährlich, das wurde uns ziemlich schnell bewusst. Der Rand des Wasserfalls war komplett vereist.
Und so toll es auch aussah, wir hätten mit unseren Schuhen keinen Halt darauf und würden wohl ziemlich langsam aber stetig in die tödliche Tiefe rutschen. Also drehten wir lieber um und zogen uns an einem Seil wieder den Berg hinauf. Von Frieren war nach der Anstrengung keine Rede mehr.
Im Gullfoss Restaurant bekamen wir eine Tasse Lammsuppe, bevor unsere Reise auf den Langjökull Gletscher weitergehen sollte. Zottel beobachtete den immer dichter fallenden Schnee. Ich dachte schon, dass unsere Tour jetzt auf dem Spiel stehen könnte, aber er war ziemlich erfreut. Jetzt würden wir eine anständige Geländefahrt kriegen, ganz nach seinem Geschmack. Bevor wir losfuhren, ließ er ein wenig Luft aus den Reifen. Kurze Zeit später sollte ich auch erfahren warum, als wir mächtig durchgeschüttelt über Wege holperten, die von dem Begriff „Straße“ so weit entfernt waren, wie ein Höhlentroll vom Sonnenbaden.
Es ging höher und höher. Der Schneefall war jetzt ein Schneesturm. Alles war in Weiß getaucht. Selbst der wild gewordene Scheibenwischer konnte nichts ausrichten. Wie zum Himmel konnte der Zottel sehen, wo es lang ging? Aber er sah. „Alles aussteigen“, rief er nach einer weiteren Stunde fröhlich. Ich öffnete die Tür, sprang, und versank bis zu den Knien im Schnee. Wir waren an einem riesigen Blechcontainer angelangt, vor dem noch mehr schwere Geländewagen geparkt waren. Eine kleine Touristengruppe begrüßte uns, die sich schon in unförmige Schneeanzüge gequetscht hatten. Auch wir bekamen je ein Exemplar dieser schweren Anzüge.
Jetzt konnte ich mich wirklich kaum mehr bewegen. Dicke Handschuhe, Sturmhauben und Motorradhelme gehörten noch zur Ausstattung. Wir würden nämlich… Schneemobil fahren!
Der Ausdruck „Ich freute mich wie ein Schneekönig“ war hier mehr als treffend.
Ich teilte mir ein Fahrzeug mit dem Gawjus. Er würde zuerst fahren, dann dürfte ich auf der Rückfahrt das Steuer übernehmen. Nach einigen Instruktionen ging es auch schon los. In einer Reihe folgten wir Zottel durch das ewige Eis. Ziemlich schnell verstand ich auch, warum es absolut verboten war, vom Weg abzuweichen. Links und rechts waren tiefe Gletscherspalten, deren Eis türkisblau schimmerte. Es war wunderschön, faszinierend, und gruselig zugleich. Und so weit das Auge reichte sah man nichts als Eis und Schnee. Das Eis unter uns schien fast schon durchsichtig zu sein und leuchtete auch in diesem geheimnisvollen Türkis.
Viel zu schnell war es vorbei. Wobei meine Finger ganz dankbar waren, die schienen nämlich so gut wie abgefroren zu sein, vom Umklammern des Lenkers
Wir kamen noch in den Genuss einer Bergungsaktion. Einer der Mountaineers hatte aus Versehen ein Schneemobil in einer flachen Gletscherspalte versenkt. Mit einem am Jeep befestigten Seil zogen sie es wieder nach oben.
Jetzt waren wir aber wirklich durchgefroren. Schlotternd saßen wir den ganzen Heimweg im Geländewagen und tauten so gar nicht mehr auf. Zottel erzählte möglichst „heiße“ Geschichten, von Leuten, bei denen plötzlich der Boden im Wohnzimmer aufgebrochen wäre und eine heiße Quelle zum Vorschein gekommen wäre. Und das sei schon oft passiert.
Zuhause erstmal ein Bad eingelassen, Tee gekocht, zehn Wollsocken übereinander angezogen, und in Decken gehüllt das Nordlicht vom Fenster aus beobachtet.
Ups, dachten wir. Ups. Das war kalt heute. Und wir bekamen ein wenig Zweifel, ob wir unser Abenteuer am nächsten Tag auch wirklich durchziehen sollten. Dagegen war nämlich der Gletscher ein warmes Sommerparadies.
Aber davon ein anderes Mal :-)
schöööön! Danke für den Bericht. ♥
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