Mittwoch, 14. November 2012

Pot Noodles und Novembersonne

"Hurraaaa!", schreit meine Abenteuerlust. "Oh Gottogott, bitte nicht!", flüstert mein Schweinehund und möchte am liebsten in eine Decke verkrochen unter den Heizkörper kriechen. Gemischte Gefühle. Warum? Weil der geehrte Herr Gawjus einen Angeltrip ans Meer inklusive campen am Strand vorschlägt. Im November. Die spinnen, die Angler.

Die Abenteuerlust gewinnt. Obwohl der Schweinehund während der Fahrt immer wieder mahnend an meinem Ärmel zupft. Es ist kalt und dunkel, und dicker Nebel liegt auf der Autobahn. Ich habe das Gefühl, dass ich diesen Ausflug bereuen werde.

Der Gawjus redet unterbrochen. Er leidet am "Fishing-Fever". Vor jedem Angeltrip gerät er so dermaßen aus dem Häuschen, dass kaum eine Unterhaltung möglich ist, bei der es nicht um Auswerftechnik, Fischarten, Köder und irgendwelchen technischen Kurbeldetails geht. Ich nicke artig und murmle von Zeit zu Zeit zustimmend. Ich brauche gar nicht zu versuchen, mit einem anderen Thema anzukommen. Es würde gnadenlos am Fever abprallen.

Gegen zehn Uhr abends erreichen wir Dungeness - eine kleine Landzunge, die in den English Channel hineinragt, als wenn ein Sandhaufen vor vielen Jahren mal versucht hätte, sich in Richtung Frankreich auszudehnen. Es gibt nicht viel zu sehen dort: Ein stillgelegtes Atomkraftwerk, ein paar wenige Wohnhäuser an der einzigen Straße, viele Fischerboote und zwei Leuchttürme. Englische Nichtsigkeit. Wunderbare Abgeschnittenheit und Ruhe.

Ich atme noch einmal tief durch, bevor ich die Autotür öffne. Das große Frieren kann losgehen. Aber zu meiner Überraschung scheint es in Dungeness milder zu sein, als in London. Außerdem ist totale Windstille, was temperaturmäßig einen bedeutenden Unterschied macht.

Wir schultern unsere Tonnen an Gepäck und stapfen durch den Kies noch ungefähr zehn Minuten zum Ufer. Kiesstrand ist sehr anstrengend. Ich fange in meinen Thermoklamotten an zu schwitzen.

Während der Gawjus seine Angeln zusammenbastelt, baue ich das Zelt auf. Ich finde es immernoch faszinierend, dass nur mit drei Stangen und ein wenig Plane wenig später ein perfektest Iglu-Zelt vor mir steht. Zelthersteller sind genial.
Ich richte mich häuslich ein. Erst eine Picknick-Decke mit Plastikunterlage, darauf die Schlafsäcke. Ich deponiere Wasserflaschen und Kekse griffbereit und staple noch ein paar Extraklamotten in einer Ecke, die ich bestimmt später noch drüberziehen muss. Fertig. Eingezogen.

Mittlerweile hat der Gawjus die erste Angel ausgeworfen. An der Spitze hängt ein kleiner Leuchtstab, damit man im Dunkeln sehen kann, ob etwas angebissen hat. Wir setzen uns mit einer Dose Cider in den Zelteingang und sehen nach oben auf die Angelspitze. Alle Lampen sind ausgeschaltet und fernab von jeglicher Lichtverschmutzung fällt uns plötzlich der Sternenhimmel auf. Der Nebel hat sich verzogen und Millionen von Sterne blinken auf uns herab. So einen Himmel habe ich zum letzten Mal in Island gesehen. Wunderschön. Wie auf Kommando sehen wir Sternschnuppen. Eine nach der anderen. Wie unüblich für November. Wir staunen.

Nach Mitternacht ist es bedeutend kälter. Ich ziehe noch eine Jacke drüber und ein extra Paar Socken. Wickle mich in meinen Schlafsack und lese mit Taschenlampe in meinem Buch. Richtig gemütlich. Die Trauben-Nuss-Schokolade leistet mir Gesellschaft, obwohl sie so kalt ist, dass ich kaum etwas abbrechen kann.


Weitere zwei Stunden vergehen. Zeit für heißes Wasser. Sofort als ich den Kocher anzünde, scheint es wärmer zu werden. Wahrscheinlich ist es der Anblick der Flamme, der einem ein wärmendes Gefühl vermittelt. 


Wir essen Pot Noodles. Mit heißem Wasser auffüllen, und schon hat man eine kräftige Nudelsuppe. Am Ende noch die Brühe aus dem Plastikbecher trinken und es wärmt bis in die Zehen.


Ich fülle noch eine Wärmflasche mit heißem Wasser und wickle mich damit wieder in meinen Schlafsack. Zwei Sternschnuppen später schlafe ich ein.
Immer wieder wache ich auf, zumeist weil der Gawjus sich über Fisch freut. Gegen fünf Uhr weckt mich Kälte und Feuchtigkeit. Ich habe auf früheren Angeltrips gelernt, dass die Stunde vor Sonnenaufgang immer am kältesten ist. Feuchte Luft versucht durch jede Faser der Kleidung an die Haut zu gelangen. Die Wärmflasche leistet grandiose Arbeit in Kälteabwehr.

Als ich das nächste Mal wach werde, geht die Sonne auf. Es ist Flut und die ruhige See ist nahe an unser Zelt geklettert. Noch immer ist es windstill.


Auf dem Wasser tanzen Nebelschwaden in der Morgensonne.


 Fähren und Frachtschiffe sind schon von Dover nach Calais unterwegs



Seltsame Dinge tauchen am Horizont auf und verschwinden wieder, wie Fata Morganas.




 Die Möwen sind aufgewacht und fliegen die erste Runde auf der Suche nach ihrem Frühstück. 



Neben uns wird ein Fischkutter ausgeparkt und ins Meer geschoben.



Ich döse wieder ein, und als ich das nächste Mal aufwache fühle ich mich warm und ausgeruht. Die Sonne hat sich wohl in der Jahreszeit geirrt und brutzelt munter auf mein Gesicht.



Ich kann nicht glauben, wie blau der Himmel ist. Ich muss zwei Jacken und meine Thermo-Hose ausziehen, so warm ist es. Ich ziehe meinen Schlafsack ins Freie, lege mich darauf und döse in der Sonne. Wie im Urlaub. 



 Der Gawjus fängt Abendessen. Mein Gesicht glüht. Ein Sonnentag im November.




5 Kommentare:

  1. Du hast dich ja umgezogen! ;-) *gefälltmir*

    Und endlich mal richtig schönes Wetter bei eurem Angelausflug erwischt. Ein toller Abenteuerurlaub!

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    1. Ja, ENDLICH mal ein Sommertag... im November. Verkehrte Welt hier auf der Insel, ächt wahr...
      Oh, danke, ich konnte die Böhnchen nicht mehr sehen. Jetzt bleibt der Blog mal eine Weile in diesen Klamotten. Sieht voll erwachsen aus, oder? :-)

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  2. wunderbar geschrieben. ich habe auch so einen angelbegeisterten angetrauten.
    liebste grüße!

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    1. Dann kennst du ja das Fishing-Fever nur zu gut :-)

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  3. Das klingt nach Seele baumeln lassen pur! Da bekommt man direkt Lust, das nachzumachen (naja... also das mit dem Angeln... das muss nicht...)

    ;o)

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