Freitag, 22. März 2013

Der Fummel

Hach, Hochzeitseinladungen! Kostenlos trinken, tanzen und das Büffet leer essen. Braut und Bräutigam gratulieren, ein kleines Geschenk überreichen, und sich den ganzen Abend bei noch mehr Getränken und Tanz köstlich unterhalten lassen. Hochzeiten sind supi!
Dachte ich.

Jetzt ist es mal wieder so weit. Eine der alle paar Jahre wiederkehrenden Heiratswellen hat eingesetzt, und die Einladungen flattern ins Haus wie Harry Potters Eulenpost.

Und langsam werden die Hochzeiten immer kostspieliger. Kostenloses Büffet hat kaum jemand mehr. Getränke an der Bar müssen bezahlt werden, dazu kommen Übernachtungskosten und Anreise. Betriebsurlaub muss eingereicht werden, der Edelstahltoaster eingekauft, noch was schickes zum Anziehen, damit man im Fünf-Sterne Gutshaus auf dem Lande so angebracht wie möglich unter dem riesigen Kronleuchter am überteuerten Sektglas nippen kann.
Was ist mit den Hochzeiten heutzutage los?

Richtig teuer wird es, wenn man das glückliche Paar näher kennt. Dann wird man nämlich noch zu Jungesellenabschieden eingeladen, die sich gerne mal über drei Tage bis zu einer Woche ziehen - bevorzugt im Ausland.

Und jetzt wurde ich von Tante Gawjus gefragt, ob ich denn gerne eine Bridesmaid sein wollte. Schluck! Brautjungern. Das sind doch die Mädels, die auf Hochzeiten genau dieselben affigen Kleider tragen und sich verkatert am Altar festhalten. Ich habe noch nie den Sinn davon verstanden.
Aber ich habe trotzdem Ja gesagt. Tante Gawjus war schon einmal verheiratet und würde ja beim zweiten Mal bestimmt nicht so viele Traditionen einhalten.
Schon ein paar Tage später schickte mir die Tante einen Ebay-Link zu meinem Kleid. Ich dachte nur "Bitte sei nicht pink, bitte sei nicht pink" und klickte beim Anblick des dunklen Violetts vor Erleichterung gleich auf Sofortkauf. Hätte schlimmer kommen können. Der Preis überraschte mich. Nur zwanzig Ocken? Dafür wurde das gute Stück aus China eingeflogen. Das wurde bestimmt von Polyesterspinnerraupen im Akkord angefertigt.

Noch ein paar Tage später war es da. Lila und lang und trägerlos. Hinten klaffte es weit auseinander. Ein langes Band war noch beigelegt. Ich dachte mir schon, dass dies irgendwie durch die Laschen auf der Rückseite gezogen werden musste. Das würde ich ja nie im Leben selbst... "Gaaaaaawjuuuuuus!" brüllte ich. Der Guteste half mir ins Kleid.
Bestandsaufnahme: Zu lang. Zu ärmellos. Zu wenig Platz für meine Möpse. Es sah Scheiße aus, aber richtig.

Änderungsschneiderei. Zwei Schneiderinnen schälten mich wieder in mein Alptraumkleid. "Oooh, aaaah, so schööön!" hauchten sie automatisch. Ha. Ha.
Ich äußerte meine Wünsche: Kürzen, ein paar Träger, mehr Platz für Möpse.

Tante Gawjus hatte mittlerweile Schecks eingesammelt für das Hochzeitsessen. Fünfunzwazig pro Person. Die Hochzeitsprobe hatte ich verpasst, wegen Urlaub. Den Jungesellinnenabschied auch (eine Woche Türkei). Ich musste die schlechteste Brautjungfer der Welt sein.

Ich holte aber zwei Tage vor der Hochzeit das Kleid wieder ab.

Und aus dem hier


hatten die Damen Scheiderinnen dies hier gemacht:



Und das war es. Ein paar Häschenohren für mein Kleid. Fünfundfünfzig Quid. Mittlerweile war aus meinem Zwanzig Pfund Brautjungferkleid ein 75 Pfund teurer Fummel geworden. Mit Häschenohren.
"Ja, und die Länge? Wurde das überhaupt gekürzt?" fragte ich entsetzt.
"Trägst du ja hohe Schuhe" lachte die osteuropäische Schneiderin und bleckte große Zähne. "Haben wir ein Zentimeter abgeschnippst"
"Und die hier?" Ich fummelte an den Funkelsteinchen herum. Wie soll ich da meine Möpse reinkriegen? "Da sind ja Polster drin?"
"Könne wir rausmache" sagte die andere Schneiderin. "In eine Woch fertig!"


Ich habe keine Woche mehr. Deswegen nahm ich das Kleid mit nach Hause. Gaaaaawjuuuuus!
Es war immernoch ziemlich schlimm. Es sah aus, als hätte ich in meinem Dekolleté zwei überdimensionale, aufgeblasene Pupskissen versteckt.
Diese verdammten Polster mussten weg! Das wäre die einzige Chance dieses Kleid wenigstens ansatzweise passend zu machen.
Schwere Zeiten erfordern drastische Maßnahmen.


Ganz vorsichtig machte ich mich an der ersten Naht zu schaffen. Das Scherenblatt stellte sich als zu dick heraus, deswegen holte ich das gute Filet-Messer aus der Schublade. Fädchen für Fädchen löste ich aus der Naht. Als ich gute zehn Zentimeter geschafft hatte, fiel mir darunter noch eine Naht auf. Und darunter noch eine. Die chinesischen Polyesterspinnerraupen hatten ziemlich gute Arbeit geleistet. Irgendwie kam ich nicht weiter. Wo war dieses bescheuerte Polster?

Fünf Minuten später setzte ich in der Mitte des Materials zum pathologischen Y-Schnitt an. Keine Rücksicht mehr auf Nähte, der Patient war sowieso schon tot.
Ich hätte Chirurgin werden sollen, denn gekonnt bekam ich das erste Polster zu greifen und entfernte es zielsicher mit einem kleinen Knacklaut aus der Hülle. Lief doch supi!
Brust Nummer zwei. Ich sparte mir den Umweg über die Naht und machte gleich meinen sauberen Schnitt durch zwei Lagen. Auch hier brachte ich ein gesundes Polster zur Welt.
Noch zwei längliche Plastikstützen musste ich herauspulen wie so zwei Nachgeburten und dann war das Kleid fertig.

 Gaaaawjuuus!! Zum dritten Mal pfriemelte er das Band durch die Laschen.

Das Kleid sah nicht mehr ganz so Kacke aus. Aber trotzdem... "Wie findest du es?" fragte ich den Gawjus, der automatisch mit "Guuut" antwortete. Aber nee, so nicht, mein Gutester. Ich bohrte so lange und stellte Fangfragen, bis er mit der Wahrheit herausrückte: Ich sehe aus wie eine Presswurst.
Endlich! Irgendwie fiel mir ein Stein vom Herzen. Meine Möpse werden am Samstag nicht wie Pupskissen aussehen und ich werde mich auch nicht der Länge nach hinlegen, weil das Kleid zu lang ist, und die Häschenohren muss ich mir auch nicht umschnallen. Und das Beste: die Y-Schnitte muss ich auch nicht mehr zunähen, weil in diesem Jahrhundert werde ich das Kleid ganz bestimmt nicht tragen.

Tut mir nur leid um das Geld. Jetzt werde ich es entweder in einem Charity-Shop abgeben... oder wenn es von Euch irgendjemand möchte... ich schick's. (Fortgeschrittene Nähkenntnisse empfehlenswert wegen unsachgemäßem Herumgeschnippel mit Filetmesser). Die Polster und Nachgeburten kommen auch mit.

Und Tante Gawjus? Die ist schon okay. Sie hat ja noch andere Brautjungfern.

11 Kommentare:

  1. Junggesellenabschied im Ausland?
    Du liebe Güte...
    Da muss man ja froh sein, wenn man keine beste Freundin oder ledige Lieblingstante hat, die einen dann womöglich zur Maid of Honour macht!

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    1. Jaaa, Ausland! Auch wenn es nur Schottland oder Wales ist, aber mindestens drei Tage wird in irgendeiner Partyhochburg abgezappelt. Das erwartet mich im Juli. Werde berichten!

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  2. *prust*
    Sorry, aber ich kann mir bildhaft vorstellen, was für Kämpfe du mit dem Kleid ausgefochten hast. *g*


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    1. Sollte man kaum glauben, wie sehr einen ein Stück Stoff fertig machen kann!!

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  3. Ach du Scheiße!

    Bei mir wäre es ein fast umgekehrtes Problem. Zu wenig Oberweite. Und zuviel Hintern. Niemals könnte ich so ein Kleid tragen. o_O

    Das war lustigerweise auch die erste Sorge meiner Freundinnen, als ich beide (weil ich mich nicht entscheiden konnte) zum Trauzeuginnen ernannt habe.

    "Müssen wir dann auch identische Kleider tragen???" - Sicher nicht. Ich bin ja nicht bescheuert. Beide trugen letztlich völlig unterschiedliche Kleider, die schwarz, die andere weiß. Bevor jemand meckert, mein Brautkleid war rot. Und maßgeschneidert.

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    1. Ich glaube nicht, dass irgendjemand so ein Kleid tragen sollte und ich freue mich morgen schon auf den Anblick der anderen Brautjungfern. Wie viele Presswürste da wohl dabei sind? Werde berichten.

      Die schwarz, weiß, rot Idee finde ich super!

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  4. Oh ist das köstlich zu lesen,erleben möcht ich das allerdings nicht selber.
    Etwas schade um die schönen verpassten Gelegenheiten bei unserer Hochzeit:Eine Woche Junggesellenabschied,Brautjungfern ärgern,die Essensrechnung auf die Gäste verteilen,da hät man noch was raus holen können.

    Ihr versteht es zu feiern.....

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    1. Ja, ich hole mir auch schon kreative Anregungen für meine eigene Hochzeit. Ich möchte möglichst gewinnbringend feiern und denke darüber nach von meinen Gästen eine Klogebühr zu verlangen.
      Und weil ich die Braut bin bestimme ich, dass alle GELB tragen sollen. Außer mir natürlich. Ich gehe als Presswurst.

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  5. In England bezahlt man als Hochzeitsgast sein Essen selbst und die Geschenke, bringt teure Geschenke mit, hat Anreise- und Übernachtungskosten und vorher noch einen Jungesellinnenabschiedsurlaub?
    WOW.
    Da ist es bestimmt schwieriger, Gäste zu finden als einen Ehemann...
    Zumal, wenn die Gäste auch noch ein teures Wurst-Kostüm erstehen und tragen sollen.
    Interessante Bräuche bei euch da auf der Insel...
    Christine

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    1. Huhu Christine,

      hihi, mit dem Gäste finden hast du wohl recht. Bei Hochzeitseinladungen überprüfe ich mittlerweile nicht mehr den Terminkalender sondern den Kontostand :-)
      Aber ganz so extrem ist es hier normalerweise nicht. Auf den Hochzeiten bei denen ich bisher war, musste man nichts fürs Essen bezahlen. Inklusive waren während dem Essen auch Wein und der Sekt zum Anstoßen während Ansprachen. Danach allerdings, wenn der gemütliche Teil anfing, war es jedoch normal, dass die Gäste an der Bar für ihre Getränke selbst bezahlten.
      Anfahrt und Unterkunft sollte nicht inklusive sein. Wenn es zu weit weg ist, musst man halt absagen.
      Und wenn man zum Jungesellenabschied eingeladen wird, muss man dafür auch selbst aufkommen und meist auch für die Kosten der Braut/des Bräutigams. Wer allerdings für den Brautjungfer-Fummel bezahlt, dafür gibt es keine ganz klare Regel. Aber auf jeden Fall werden die Kleider vorher zusammen anprobiert, damit für jeden etwas gutes dabei ist.
      Dieser Punkt ist bei Tantchens Hochzeit schonmal weggefallen - es gab einen Ebay-Link für irgendeinen chinesischen cheap shit und gut war.
      Geld fürs Essen verlangen ist wirklich unüblich und ich hoffe, dass die Fünfundzwanzig Kröten sich morgen auch auszahlen :-)
      Aber fairerweise muss ich sagen, dass Tante Gawjus auf der Einladung schon ausdrücklich geschrieben hat, dass sie keine Geschenke möchten. Hm, ich könnte ihr ja trotzdem das Presswurstkleid verpacken.

      Gruß
      Sarah

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    2. Ich schmeiss mich weg - das Presswurstkleid einpacken ist eine Super-Idee. Zusammen mit den Polstern hätte sie dann gleich ein Bastel-Kit für die Flitterwochen.
      Bitte unbedingt von der Hochzeit und dem Buffet berichten!
      Viele Grüße
      Christine

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