Dienstag, 11. März 2014

Viva Riviera!

Sonny und Cher brachten Bill Murray in "Täglich grüßt das Murmeltier" zur Verzweiflung. Jeden Morgen dudelte der selbe Song aus dem Radio, der ihm gleich schon die Gewissheit gab, dass sich der Murmeltiertag noch einmal wiederholen würde.

Ich hatte in den letzten Wochen ein ähnliches Erlebnis. Jeden Morgen zur Aufwachzeit spielt mein Radiowecker Nirvana. Ich stelle grundsätzlich schiefe Weckzeiten ein (mit Haare waschen auf  ungefähr 5.23 Uhr, ohne Haare waschen um circa 5.58 Uhr). Trotzdem erwischt mich Kurt Cobain jedes Mal. Come as you are, Smells like Teen spirit oder Lithium. Einer der Songs ist es immer. Immer! Mittlerweile sind die Anfangsakkorde von einem dieser Stücke die wirksamste Methode mich aus dem Bett zu kriegen. Lieber aufstehen, als Kurt noch eine Sekunde länger über seine Stimmen im Kopf jammern zu hören.

Dann beginnt der Murmeltiertag. Wir haben den nassesten Winter in der Geschichte nasser Winter, ich arbeite, esse, sehe den Regentropfen dabei zu, wie sie an der Fensterscheibe herunterrinnen und der Schimmelfleck an der Wand über der Treppe immer größer wird. Dann sehe ich vielleicht noch etwas fern und gehe auch schon wieder ins Bett um morgens vom Nirvana der Hölle geweckt zu werden.
Winter. Bäh. Dunkelheit. Nässe.
Jedes Jahr überrascht mich aufs Neue, wie sehr sich die Monate Januar und Februar in die Länge ziehen.

Da hilft eigentlich nur eins: Etwas, worauf man sich freuen kann. Und für eine Weile etwas anderes sehen. Ein paar Tage ans Meer fahren. Das war der Plan. Nicht weit, vielleicht höchstens drei oder vier Fahrstunden um ein wenig Seeluft zu atmen, Fish und Chips zu essen. Trotz Winter. Gummistiefel und wasserdichte Kleidung und lange Unterhosen einpacken. 

Auswahl an Küstenstädten, in denen man sich beregnen lassen kann, gibt es genug.
Ich weiß nicht mehr wie die Wahl auf Weymouth in Dorset fiel. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich englische Urlaubsziele am Meer gegoogelt und das war einer der ersten Treffer. In 2012 haben dort die olympischen Segelwettkämpfe stattgefunden, und die Google Bildersuche ergab, dass Weymouth in einer ziemlich windgeschützten Bucht liegt. Vielleicht würde man ja sogar einen Regenschirm aufspannen können, ohne dass dieser sich sogleich nach außen stülpen würde.
Weymouth war ideal.

Ich buchte ein Zimmer im Riviera Hotel. Einfach nur, weil der Name vielversprechend klang und es billig war. Und dann fuhren wir an einem Dienstag morgen los, Gummistiefel im Kofferraum, und hatten vier Stunden später das Ziel erreicht. Schon auf dem Weg konnten wir die Schönheit des County Dorset erahnen.



Aber als wir nur noch ein paar hundert Meter vom Ziel entfernt waren, mussten wir gleich links ranfahren und den ersten Blick auf das Hotel festhalten.

Blaues Wasser, grünbewachsene Klippen, Sonnenschein und herrliche Ruhe.


Herrliche Ruhe? Am Anfang eher unheimliche Ruhe.
Die letzten paar Meter zum Hotel führten durch einen Ferienort, der sich auf gruselige Weise im Winterschlaf befand. Wir passierten einen von der Seeluft etwas mitgenommenen Vergnügungspark, der komplett leer stand. Nur das Kettenkarussell bewegte sich klirrend etwas im Wind. Ich habe genug Zombiefilme gesehen. Das war gruselig. 
Auch der Hotelparkplatz war wie ausgestorben. "Bist du dir sicher, dass wir hier richtig sind?" fragte der Gawjus zweifelnd.

An der Rezeption war dann doch noch jemand am Leben und händigte uns den Zimmerschlüssel aus. Der Kurzurlaub konnte losgehen. Und wir legten richtig los. Noch am selben Tag gab es kaum einen Ort in ganz Weymouth, den wir nicht besuchten. Zunächst zum Strand, eine Gehminute vom Hotel entfernt. Menschenleer.



Dann ins Stadtzentrum an den berühmten Sandstrand. Nur ein paar Leute mit ihren Hunden. Dann fuhren wir zum wahrscheinlich noch berühmteren Chesil Beach, einem 29 Kilometer langen Kiesstrand. Menschenleer.



Wir besuchten die Portland Insel und liefen eine Runde um den Leuchtturm. Menschenleer. Wir gingen zum höchsten Punkt der Halbinsel und schauten auf Weymouth herab. Niemand war dort. Es schien, als ob doch eine Zombieepidemie ausgebrochen wäre. Aber dann wurde mir klar, dass der Grund für die Menschenlosigkeit einfach nur die Jahreszeit war. Alles befand sich ohne den Sommertourismus im Dornröschenschlaf. Stände und Spielarkaden an der Strandpromenade dösten vor sich hin, ich glaubte sogar ein leises Schnarchen vom Souvenirladen zu vernehmen.

Wie herrlich!

Im Frühstücksraum tauchten morgens nur wir beide auf und der Koch bereitete uns zu, was auch immer wir wollten. Abends im Pub waren fünf Einheimische, der Gawjus und ich.
Und der Regenschirm blieb im Kofferraum, denn die Sonne schien.

Wir aßen Muscheln mit Seeblick





Fanden Fossilien am Strand




Beobachteten den Sonnenuntergang

 Und als es irgendwann doch einmal regnete, gingen wir ins Sea Life, wo es - man errät es wahrscheinlich schon - ebenfalls wie ausgestorben war. 





 Das habe ich noch nie erlebt. Sich einmal in einer Touristenattraktion zu bewegen, ohne irgendjemandem auszuweichen, in die Hacken zu treten, oder plärrenden Kindern ausgesetzt zu sein.
Friede auf Erden! Zumindest in Weymouth.

Ich habe mich schon lange nicht mehr so entspannt gefühlt, wie in diesen paar Tagen.
Immer wieder fällt mir auf, dass ich die Ruhe und Einsamkeit erst so richtig zu schätzen weiß, seit ich in einer Millionenstadt lebe. Ich mag diesen Kontrast. Ich bin dankbar für Lärm, Stress, Hektik, Hetzerei, Gequetsche, denn all diese Dinge geben mir die Fähigkeit solche ruhigen Momente voll auszukosten und aufzusaugen. Mit voller Batterie kann ich mich dann wieder ins verrückte London stürzen und mit dem nörgelnden Kurt Cobain auf meinem Nachttisch fertig werden.

Man konnte jedoch erahnen welche Verwandlung Weymouth in den Sommermonaten durchmachen würde. Schon am Freitag Nachmittag ging ein seltsamer Stimmungswandel im Stadtzentrum vor. Alles schien sich auf etwas vorzubereiten. Und am Samstag traf er auch ein: Der Wochenendtourismus.

Zum ersten Mal vernahmen wir Stimmen durch die dünnen Hotelwände. Im Frühstücksraum war plötzlich ein Buffet aufgebaut, und wasserdicht bekleidete, Pullover um den Bauch gebundene, Wanderschuhe tragende Grüppchen saßen kauend an den Tischen.

Trotzdem war genug Platz für alle da.
Wir gingen gerade am immernoch wie ausgestorbenen Chesil Beach spazieren, als uns plötzlich der ganze Müll auffiel, der in Nähe des Wassers herumlag. "Diese Deppen", dachte ich zuerst und beschuldigte die Wochenendtouristen. 



Aber bei genauerem Hinschauen stellte ich fest, dass es sich bei dem Müll um nicht als Zigarettenschachteln handelte. Genau genommen, volle, originalverpackte Zigarettenschachteln mit einem Aufdruck der irgendwie chinesisch aussah.





 Erst dann dämmerte uns, dass dies wohl die verlorene Ladung eines Schiffes war, die nach den Unwettern jetzt so nach und nach in Massen an die Küsten angespült wurde. Wow, da hatte wohl jemand so richtig Pech gehabt. Erst viel später würden wir in der Zeitung lesen, dass insgesamt 14 Tonnen Zigaretten ins Wasser gefallen waren.

So, jetzt noch ein paar mit Instagram Filter manipulierte Fotos zum Ausklingen des Artikels. 







Ich kann Weymouth als englisches Urlaubsziel wirklich nur empfehlen. Vor allem für Kettenraucher. Brauchen sich am Strand nur nach Ziggies zu bücken. Etwas aufgeweicht, aber hey, sind umsonst.

Falls dies jemand liest, der dort einmal vorbei kommen wird, dann muss ich kurz noch eine Restaurantempfehlung loswerden.

Am letzten Abend gönnten wir uns etwas und gingen in ein tolles Seafood-Restaurant. Das Crab House Café ist einfach einzigartig.


Rustikal eingerichtet mit eigener Austerfarm. Jede Auster kommt frisch gepflückt auf den Tisch.


Eine weitere Spezialität ist natürlich die berühmte "Crab". Die Krebse werden mit auf einem Brett serviert und dazu bekommt man einen Hammer, und eine Schürze, damit man sich nicht komplett einsaut.
Als wir ankamen dachte ich erst es wären Handwerker im Haus. Dann wurde mir klar, dass das Hämmern von den Gästen kam, die eifrig auf die gekochten Krustentiere eindroschen um die Scheren zu öffnen. Welch ein Spektakel. Wir entschieden uns doch lieber für den Fang des Tages und bekamen im Kontrast mit der rustikalen Einrichtung geradezu künstlerisch angerichtete Teller mit Bremsspur präsentiert. Die Bremsspur in Form eines zerschmierten Sößchens oder Pürees gibt einem immer Auskunft über die Qualität des Gerichts. Finde ich.


Und es schmeckte himmlisch. Ich schwor mir sofort, dieses Lokal bis an das Ende meines Lebens weiterzuempfehlen. Was ich hiermit auch mache. Crab House Café. Tut es!



So, jetzt muss ich meinen Radiowecker stellen. Bis Morgen, Kurt.



4 Kommentare:

  1. Bremsspur! :D Ich lieg am Boden!
    Nie wieder werde ich gehobenem Essen den nötigen Ernst widmen. Hihi!


    Ich möchte dann jetzt dringend ans Meer und Fisch essen.

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    1. Gern geschehen :-) Ich mache mich immer über diese Bremsspur lustig, die wirklich ein jeder Koch verwendet, der etwas von sich hält. Und dann immer schön die Speisen stapeln.

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  2. Vielen Dank!
    Ich mag England nach dem letzten Sommer ja auch mächtig gern und wenn alles klappt werden wir es in zwei Jahren noch genauer
    erkunden.Weymouth wird nach deinen Fotos sicher mit auf der Route liegen.Sieht toll aus.Mal sehen ob wir unseren Kindern auch Fisch zumuten,es ist aber auf jeden Fall eine originelle Empfehlung.Hört sich an wie das was man sonst so im Fernehen sieht.
    Ich wünsch dir ein schnelles Winter- und Regenende in London.Bei uns strahlt die Sonne und ich werd gleich wieder in den Garten gehen.

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    1. Es ist wirklich wunderschön in Dorset. Ich war so begeistert, dass ich sogar behaupte mir gefällt es dort besser als in Cornwall. Aber das liegt wahrscheinlich daran, dass ich Cornwall nur im strömenden Regen kennengelernt habe. Ein wenig Sonnenschein macht alles viel schöner.

      Das Ende des Regens scheint jetzt hoffentlich erreicht zu sein. Auch hier war es in den letzten paar Wochen wirklich sehr schön und vor allem sehr mild. Juhuuuu, der eisige Winter hat uns dieses Jahr vergessen!

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