Sonntag, 29. März 2015

Die Neff Neffs

Die beiden Gawjus Neffen sollten das Wochenende bei uns verbringen und ich platzte fast vor Lampenfieber. Die Sargnägel sind nun schon so lange her, ich weiß gar nicht mehr wie man Aupairt.
Womit sollten wir nur die 24 Stunden ausfüllen, und wie beschäftigt man einen Vier- und einen Zweieinhalbjährigen ohne dabei das Haus auseinanderzupflücken?

Die beiden Jungs sind laut und stürmisch. Ich kenne sie seit sie auf der Welt sind, jedoch habe ich noch nie viel Zeit mit ihnen am Stück verbracht. Und seit sie auf der Welt sind


auch nie wieder mehr als drei zusammenhängende Sätze mit ihrer Mutter reden können, ohne ständig durch die Sperenzchen der lieben Kleinen unterbrochen zu werden.

Es ist Samstag Morgen und ich habe Lampenfieber. Noch sechs Stunden bis zur Ankunft der Neff Neffs. Ich schreibe eine Einkaufsliste: Chicken Nuggets, tiefgefroren oder doch lieber die etwas gesünder aussehenden aus dem Kühlregal? Pommes, Milch und Porridge. Aber vielleicht mögen sie lieber ein Marmeladenbrot zum Frühstück, also schreibe ich das auch auf.

Toast, Erbsen, oder lieber Bohnen? Oder doch lieber Würstchen? Und was trinken Kinder nochmal? Saft ist bestimmt voller Zucker, darauf reagieren sie sicher heftig. Squash. Ich hasse Squash. Hochkonzentrierter Fruchtsirup, der etwa zwei Finger hoch ins Glas gefüllt wird und dann mit Wasser verdünnt. Eklig. Aber Kinder lieben Squash. Ich entscheide mich die potentielle Zuckerquellen zu umgehen und schreibe Mineralwasser auf den Zettel. Das werde ich den Kids als magisches Rülpswasser verkaufen. Ich setze noch Spielzeug mit Fragezeichen auf den Zettel. Wir haben überhaupt nichts kindgerechtes in unserem Zuhause. Soll ich was basteln mit ihnen? Fimo geht mir durch den Kopf, aber das streiche ich gleich wieder. Geht bestimmt nie wieder aus dem Teppich raus. Und unsere Wohnung hat überall Teppichboden. Sogar im Bad.

Abends wenn der Gawjus heim kommt werden wir einen DVD gucken. Oder Netflix. Aber unser Internet ist zur Zeit etwas instabil. Hat unser Fernseher eigentlich Kindersender? Habe ich noch nie darauf geachtet. Ich klicke durch die Kanäle und finde in den sechshunderter Nummern gleich nach God TV und Gospel Channel jede Menge Kinderzeug. Allerdings verlangen alle ein Upgrade und zeigen nur ein blaues Testbild. CBeebies funktioniert, besser als nichts. Nur für den Notfall.

Ich mache mich auf den Weg in die Stadt und kaufe ein Plastik Kegelset, Holzstifte, Aufkleber und ein ausmalbares Puzzle mit Buch und verbringe sehr viel Zeit vor dem DVD Regal um einen Film auszuwählen. Pädagogisch wertvoll und doch unterhaltsam. Bob der Baumeister, Pat der Postbote und diese notorischen Minions glotzen mich von den Plastikhüllen an. Meh. Frozen? Nein. Ich finde die Musik schrecklich. Wo ist Nemo? Ich mag Nemo. Jedoch kein Nemo. Schließlich etwas Vertrautes, in der ganz untersten Reihe sind ein paar alte Disney Filme, neu digitalisiert. Und ich finde mich in meiner eigenen Kindheit wieder. Dschungelbuch! Mein liebster Film aller Zeiten! Probiers mal mit Gemütlichkeit. Da es zwei Filme zum Preis von einem gibt, greife ich noch nach Arielle, entscheide mich aber in letzter Sekunde doch für den König der Löwen. Noch schnell alle Lebensmittel eingekauft und voll bepackt wieder nach Hause.

Jetzt ist die Wohnung dran. Die Neff Neffs haben schon öfter bewiesen wie kinderunsicher unsere Bude ist. Ein beihnahe Fenstersturz vom großen Neff, und kleiner Neff, der irgendwie an die Munition der Luftpistole gelangt war und fröhlich wie ein Lutschbonbon im Mund herumschob. Außerdem hat Gawjus spontan eine Leidenschaft für Messer entwickelt, und hat sich ein nepalesisches Khukuri Messer gekauft, das immer irgendwo im Weg liegt. Ich sperre es zusammen mit sämtlichen anderen potentiellen Gefahrenquellen, Teppichmessern, Leatherman, Streichhölzern und Feuerzeugen in einen Schrank und stelle mir kurz vor den Schlüssel sicherheitshalber zu verschlucken. 

Außerdem verstecke ich noch das Fischfutter und hoffe, dass sonst keine Gegenstände im Aquarium versenkt werden.

Das hüfthohe Fenster im Wohnzimmer wird abgeschlossen, und ich schiebe auch den Couchtisch aus dem Weg, da beide Jungs schon ein paar Zähne beim Zusammenstoß mit niedrigen Möbelstücken eingebüßt haben. In der Notaufnahme des lokalen Krankenhauses sind sie schon bekannt.

Fertig. Das Chaos kann beginnen. Und die Neff Neffs brechen auch tatsächlich wie ein Wirbelsturm ein und verwüsten alles, das ihnen zwischen die Finger kommt. Innerhalb von Minuten sieht das Wohnzimmer aus wie ein Trümmerfeld und der Lärm ist ohrenbetäubend, da die beiden Neffs ein riesiges Spielzeug namens Playskool Poppin Park Elefun Busy Ball Popper mitgebracht haben, das nicht nur in der Tonlage eines Staubsaubers bunte Bälle in die Luft schießt, sondern auch noch mit Soundeffekten und einer Cartoonmelodie verwanzt ist. Wow. Ich zweifle sofort meine Entscheidung an, als Babysitter zu fungieren.

Mutter und Vater werfen einen letzten Blick auf ihre Sprösslinge, verabschieden sich schnell und sind blitzartig verschwunden. Da stehe ich also nun mit drei Taschen, zwei Kindern und einem Elefun. Kleiner Neff hat zwischenzeitlich das Kegelset gefunden und stampft die Plastikkegel platt wie Pfannkuchen, großer Neff haut seinen Kopf gegen das Sofa und heult.

Ich verbanne Elefun in eine Ecke hinter dem Sofa und drücke auf den Kegeln herum, bis sie wieder ihre eigentliche Form einnehmen. Dann Kegeln wir. Fünf Minuten lang. Dann malen wir fünf Minuten lang. Dann machen wir das Puzzle. Fünf Minuten lang. Dies scheint die Aufmerksamkeitsspanne zu sein. Gut, verteilen wir den Tag eben in fünf Minuten Häppchen. Wir essen eine Banane, beobachten die Vogelfutterstation, werfen Plüschtiere in die Luft und fangen sie. Jede Aktivität dauert fünf Minuten. Der kleine Neff ist wild. Viel zu wild. Als Aupair sollte man sich für eine Altersgruppe entscheiden, auf die man aufpassen möchte. Unter dreijährige Kinder wären für mich nicht in Frage gekommen. Und das beweist sich auch jetzt. Obwohl er sehr clever ist für sein Alter, er versteht noch nicht den Unterschied zwischen Spaß und Ernst. Außerdem hat er einen verdammt guten rechten Haken für seine Größe. Es gibt zwei Minuten stille Treppe für klein Neff, und das akzeptiert er zu meiner Überraschung sofort.

Die beiden haben keine Zahnbürsten dabei. Also gehen wir zum Laden um die Ecke um schnell welche zu besorgen. Hierbei bin ich extrem nervös. Ich weiß nicht ob die beiden brav auf dem Bürgersteig bleiben, oder sofort ohne Rücksicht auf Verluste losrennen. Also halte ich beide Hände sehr fest und bin sehr erleichtert, als wir wieder Zuhause sind. Wenn ich da an die Sargnägel zurückdenke, die beiden kannte ich in- und auswendig.

Weiter geht der Tag im fünf Minuten Takt. Abendessen wird verspeist, wir gucken Dschungelbuch und singen King of the Swingers. Der Gawjus kommt heim und schon ist es Schlafenszeit.

Beide Jungs weinen ein wenig und haben Heimweh, es stellt sich heraus dass dies die erste Nacht ist, die sie alleine weg von Zuhause verbracht haben. Ich lese ein mitgebrachtes Buch vor, aber angeblich kann ich die Stimmen nicht so gut wie Mami nachmachen und es wird nochmal etwas geweint. Es dauert noch eine weitere Dreiviertelstunde und dann schlafen sie. Klein Neff auf dem Boden. Ich lege ihn in dieser Nacht dreimal wieder auf die Luftmatratze, aber er zappelt sich jedes Mal wieder runter.

Am Morgen koche ich Porridge und klein Neff kotzt wie ein Maschinengewehr quer durch die Küche. Großer Neff, der gerade angerannt kommt rutscht aus dem Erbrochenen aus und wälzt sich wehklagend darin. Klein Neff, selbst ganz überrascht von seinem spontanen Vulkanausbruch heult entsetzt. Das putzen, trösten und umziehen dauert definitiv länger als fünf Minuten.

Das Porridge nimmt die Konsistenz eines Radiergummis an, und ich habe am Vortag vergessen Milch zu kaufen. Ich nehme den Neff Neffs nicht übel, dass sie angeekelt die Schüsseln von sich schieben. Es gibt Würstchen mit Bohnen für groß Neff und für klein Neff Banane mit Joghurt. Der Gawjus baut ein Zelt im Wohnzimmer auf und wir schaffen es tatsächlich die Neffs für eine ganze Stunde ruhig zu stellen. Sie sitzen im Zelt, jeder eine Bergforscher-Lampe auf dem Kopf und gucken einen Pinguin Film. Ich schaffe es wirklich meinen Kaffee zu trinken und etwas Ordnung in der Küche herzustellen. Das verbrauchte Geschirr des Vortags füllt eine ganze Spülmaschine. Ich rubble Ketchupflecken aus dem Teppich und koche den Neff Neffs einen extrem leckeren Früchtetee, der als E-kel-haft erklärt wird.

Der Film ist vorbei und schon eine Minute später setzt Langeweile ein. Alle Kegel sind flachgetreten. Ich nehme die Jungs mit in die Küche und wir backen einen Kuchen. Dabei muss ich wie ein Blitz umherflitzen, damit die beiden a) nicht das Interesse verlieren und b) nicht die ganze Zuckerpackung auf dem Boden verstreuen und mit den Eiern jonglieren. Ich ziehe beiden einen Wegwerfhandschuh an und lasse sie ein Stück Butter in der Kuchenform verschmieren während ich den Teig rühre. Zehn Sekunden später sind beide gelangweilt, aber die Form ist überraschenderweise sehr gut eingefettet. Sobald der Kuchen im Ofen ist fragen beide alle zwei Minuten ob er denn endlich fertig sei. Der Kuchen muss 50 Minuten backen, ich beantworte jedoch jede Frage geduldig mit der selben Antwort.

Nacheinander müssen beide kacken. Ich wische Hintern ab und wasche Hände. Noch keine Nachricht von Mami und Papi. Ich stelle mir vor, wie beide noch im Bett liegen, Erdbeeren essen und mit Sekt auf die himmlische Ruhe anstoßen. Das würde ich jedenfalls tun.

Wir klettern wieder ins Zelt, wir haben einen Kitzelkampf, der Gawjus schließt sich an, Klein Neff verpasst ihm einen rechten Haken quer an den Kopf und verbringt noch einmal etwas Auszeit auf der Treppe.

Der Ofen piept, der Kuchen ist fertig aber noch viel zu heiß. Ich drehe den Zeiger der Kuckucksuhr bis der kleine gelbe Kuckuck rausschnellt, das lieben sie. Ich tue das noch weitere zwölfunddreißig Mal, bis der Kuchen abgekühlt genug ist, so dass ich ihn aus der Form nehmen kann. Gierig werfen sich beide auf ein paar fallengelassenen Krümel.

Ich hole ein paar Schokostifte aus dem Backschrank und lasse die beiden auf dem Kuchen herummalen. Fünf Minuten.

Dann kommen Mami und Papi und alles geht sehr schnell. Alle Sachen eingepackt, noch schnell ein Stück Kuchen gegessen, und weg sind sie. Sobald die Haustür ins Schloss fällt schauen Gawjus und ich uns mit Tunnelblick an. Unsere Ohren schmerzen von der plötzlichen Stille. Ganz leise zerlegen wir das Zelt, kneten Kegel in Form und stellen wieder Nomalität in der Wohnung unter dem Dach her. Aber nach all den Strapazen müssen wir doch feststellen: Irgendwie fehlt was.

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