Sobald man durch die speckige Holztür ins Innere trat, fühlte man sich in die Siebziger zurückkatapultiert. Haarschnitte, Kleidung, Musik, Einrichtung, die Gastfreundlichkeit, es war als wäre im Inneren dieses düsteren Gebäudes die Zeit stehengeblieben
Eine weitere Zeitkapsel habe ich nun eine Stunde Autofahrt enfernt kennenlernen dürfen. Hierbei handelt es sich jedoch nicht nur um einen einzelnen Pub, sondern um einen ganzen Bezirk. Genau genommen um eine Insel.
Die Isle of Sheppey ist durch ein Wasserrinnsal komplett von der Britischen Hauptinsel abgetrennt, jedoch über eine Brücke befahrbar.
Sofort fällt auf, dass alles etwas spärlicher besiedelt ist. So weit das Auge blicken kann sieht man grüne Wiesen, marschiges Sumpfland und Felder, die gerade erst aus dem Winterschlaf erwacht sind.
Der Anlass unserer Reise ist Vater Gawjus. Er hat sich zur Altersvorsorge ein Ferienhaus auf besagter Insel gekauft, das er seit Wochen renoviert. Nun wollen wir mal sehen wie die Arbeit vorangeht und nutzen das frühlingshafte Osterwetter für einen kleinen Trip.
Gawjus hat in seiner Kindheit fast jede Ferien auf der Isle of Sheppey verbracht, im Wohnwagen seiner Großmutter. "Hat sich kaum verändert", meint er kopfschüttelnd, als wir die ersten Häuser passieren. "No more houses on Sheppey!" verkünden Protestplakate. Scheinbar ist es den Inselbewohnern wichtig, die spärliche Besiedeltheit zu erhalten.
Leysdown selbst ist schwer zu beschreiben. Nicht viel Schönes gibt es zu entdecken. Alles eher zweckmäßig und minderwertig. Familien-Amusement-Center, Dragshow für Erwachsene, Bingo, Bowling, fettige Pommes, schrille Souvenirs aus billigem Plastik, Burgervans, Menschen mit strähnigen Haaren und aufgedunsenen Gesichtern, Jogginghosen. Große Hunde, Buggys mit glupschäugigen Kindern, verschmierten Mündern, kleine dicke Finger mit Chipstüten. Der Geruch von ranzigem Fisch und die lockenden Klänge der einarmigen Banditen.
Wir biegen in eine Straße ein, die links und rechts von winzigen heruntergekommenen Bruchbuden gesäumt ist.
"So eine hat er sich gekauft", meint Gawjus nur, und ich schlucke.
Das Häuschen von Vater Gawjus befindet sich auf einem Campingplatz. Nur mit dem Unterschied, dass es weder Zelte noch Wohnwägen gibt, sondern richtige Häuser. Allerdings in Miniaturgröße.
Manche gemauert, manche gepflastert, manche mit Holzpanelen verkleidet. Manche sehen aus wie richtige Luxusvillen, mache wie Hexenhäuser, und alle sind sie ganz ganz winzig klein. Manche stehen leer und sind eher in schlechterem Zustand - so auch die von Vater Gawjus - aber die meisten Häuschen sehen durchaus bewohnt und teilweise geradezu aberwitzig aus.
Als gelernter Schreiner ist es für Vater Gawjus ein Klacks seinen Schuhkarton in ein Chalet mit drei Schlafzimmern zu verwandeln. Er hat Doppelglasfenster eingesetzt, das Dach erneuert, Wände eingerissen, Zimmer neu aufgeteilt, Stromkabel verlegt, einen Boiler eingebaut, Laminat gelegt, eine Hasengroßfamilie aus dem Fundament vertrieben, und Wände isoliert. Das alles nur in wenigen Wochen. Wir sind schwer beeindruckt.
Ein paar Nachbarn schlurfen vorbei und grüßen freundlich. Am Abend würden sich alle im Clubhaus treffen, ob Vater Gawjus Lust auf eine Runde Billiard hätten. Als Besitzer einer Wohnkiste ist man sofort in die Gemeinschaft aufgenommen. Auch sonst scheinen die Leute sehr freundlich. Es wird gegrüßt, eine Horde Kinder mit Ball bleibt schlitternd stehen um kurz den Hund zu tätscheln, und schon sind sie wieder verschwunden. Sie leben das wilde Leben der Draußis, schaukeln auf dem Spielgerüst bis die Ketten nur so ächzen, kennen jeden Winkel und engen Durchgang des sicher eingezäunten Platzes und machen sich mit aufgeschlagenen Knien richtig schmutzig, dass es nur so eine Freude ist. Wo sieht man dies heutzutage noch?
Wir spazieren in den Ortskern. Ausnahmslos jeder der an uns vorbeiläuft grüßt freundlich, und hin und wieder gibt es sogar einen Kommentar zum Wetter. Wir passieren einen Tattoo Laden, und mehrere Souveniergeschäfte. Die Ladenschilder sehen altmodisch und teilweise handgemacht aus, und scheinen seit mehr als dreißig Jahren nie das Design geändert zu haben. "The price is right" steht da als Geschäftsname, und danach noch in klein "come on in!" Wir laufen an einem Bettengeschäft namens "Odds N Sodds" vorbei, und einem Zeitungsladen namens "Newbie News"
Unsere Mägen knurren, und Gawjus führt mich zielstrebig zu einem Gebäude das wie eine Tankstelle aussieht. Traditioneller Pie mit Mash wird ausgeschrieben, und dazu noch ein Wort das ich in diesem Zusammenhang nicht kenne: Liquor.
Kriegt man etwa zu jedem Gericht einen gratis Schnaps?
Gawjus lacht nur. "Du wirst schon sehen", meint er geheinmnisvoll und öffnet galant die Eingangstür für mich.
Die Einrichtung ist karg und erinnert an eine Kantine. Rotkarierte Wachstischdecken, simple Plastikstühle, die meine Haare sofort statisch aufladen. Der ältere Mann hinter dem Tresen begrüßt uns herzlich und will sofort wissen wo wir herkommen, warum wir hier sind, auf welchem Campingplatz das Chalet steht, und ob wir eine doppelte Portion Mash möchten, oder nur eine Einfache.
Wir beantworten jede Frage wahrheitsgemäß, verneinen zum doppelten Mash, und haben schon einige Minuter später die Teller vor uns stehen.
Hier weist der Koch mit eleganter Bremsspur am Tellerrand auf ein Gericht höchster Güteklasse hin |
Fleischpastete mit Kartoffelpüree, und die dicke grüne Petersiliensoße stellt sich als Liquor heraus.
Es schmeckt nicht schlecht.
Während wir sitzen und essen beobachten wir die Leute, die ein- und ausgehen. Manche nur um ein kurzes Wort mit dem Mann hinter dem Tresen zu wechseln, andere nehmen sich ein in Zeitungspapier gewickeltes Fischfilet mit den dicksten Pommes mit, die ich jemals gesehen habe.
"Übrigens wird Liquor aus eingedicktem Aal hergestellt." meint der Gawjus unschuldig grinsend, gerade als ich die letzte Gabel voll Mash in den Mund stecke.
Okay, das mit dem Liquor muss ich mir ganz groß notieren, damit wir im Sommer auf unserer Englandtour nicht zufällig etwas davon bestellen.Ist sicher ähnlich wie das zweifelhafte Vergnügen der landestypischen" Leckerei " Surströmming aus Schweden.
AntwortenLöschenEs ist immer wieder schön so hintergründige Besonderheiten aus England von dir zu hören.
Surströmming hab ich glatt mal gegoogelt. Uaah, dann lieber Aalschleim 😨
AntwortenLöschenIn Island haben wir auch mal Hákarl gegessen, das war heftig. Ich befürworte immer, landestypische Spezialitäten auf jeden Fall zu probieren... aber manchmal muss man einfach Grenzen setzen, hihi. Obwohl Jellied Eel noch auf der England To Do Liste steh. Hmm, werde berichten
Na lecker.Ich hab bei Wikipedia geguckt.Hakarl scheint mir jetzt auch nicht sooo empfehlenswert.Es soll lange dauern, bis der Harnstoff im Fleisch abgebaut ist......
AntwortenLöschenDa frag ich mich, wie schaffen manche Spezialitäten es zu dieser Ehrung?Oder ist der Begriff Spezialität eher als Warnung zu verstehen?
Aber lass ihn dir schmecken,den Aal,bin gespannt auf dein Urteil.
Na lecker.Ich hab bei Wikipedia geguckt.Hakarl scheint mir jetzt auch nicht sooo empfehlenswert.Es soll lange dauern, bis der Harnstoff im Fleisch abgebaut ist......
AntwortenLöschenDa frag ich mich, wie schaffen manche Spezialitäten es zu dieser Ehrung?Oder ist der Begriff Spezialität eher als Warnung zu verstehen?
Aber lass ihn dir schmecken,den Aal,bin gespannt auf dein Urteil.