Es war Mittwoch Abend, ich saß auf dem Bett, der Gawjus auf dem Stuhl, und nach mehrstündiger Wartezeit wurde uns mitgeteilt, dass die Einleitung doch erst am nächsten Tag stattfinden würde. Super, eine total unnötige Nacht im Krankenhaus.
Aus jeder Zelle tönten andere Geräusche. Gegenüber schaute eine Krankenhausserie. Krankenhausserie! Im Krankenhaus! "Weg vom Bett!" Gefolgt vom Defibrillator-Britzel, das konnte man deutlich hören. Schräg gegenüber hatte Besuch von Mutter, Schwägerin, Schwester, dem Papst, der Bäckersfrau und der manisch depressiver Nachbarin, jedenfalls hörte sich das hysterische Gegacker und Gelache so an. Ich konnte mir nicht vorstellen wie all diese Leute in die kleine Zelle passten, aber es schien zu funktionieren. Und Nebenan lag in den Wehen, stöhnte wie eine Pornofabrik und zog rasselnd am Lachgas wie eine Abhängige. Würde man die Geschichte aus der Perspektive einer der Zellenkameraden erzählen, dann würde ich sicher als die mit Lungenkrätze im Endstadium bezeichnet werden, da ich immernoch regelmäßig von Hustenanfällen geschüttelt wurde. An Schlaf war nicht zu denken. Aber niemand von uns Zellenkameraden bekam auch nur eine Sekunde Schlaf in dieser Nacht.
Die Geburtseinleitung fand am nächsten Nachmittag statt. Bis dahin hatte ich zwei Bücher gelesen, Gegenüber hatte Findet Nemo, Toy Story 3 und der König der Löwen gesehen, und holte sich gerade einen Nachschub an Kartoffelchips für Ice Age. Schräg gegenüber wurde von einer Menschenmasse unter großem Jubel zum Kreissaal begleitet. Wie Clowns aus einem Mini kam eine Person nach der anderen hinter dem Vorhang hervor. Nebenan war sicher schon mit Baby nach Hause gegangen. Sie war in der Nacht tierähnliche Laute ausstoßend etwas eilig abtransportiert worden.
Die Einleitung war erstaunlich Unspektakulär. Ein Tampon. Ein hormongefüllter Tampon. Das wars. Das Warten ging weiter. Ich machte mir Sorgen, hatte ich doch nur noch weitere drei Bücher mit dabei. Aus Langeweile setzte ich mich zum Lesen auf einen Gymnastikball, der gerade noch so in der Vorhangzelle Platz hatte. Ich hüpfte herum während nebenan und schräg gegenüber neue Nachbarn einzogen. Letztere verhielten sich so still, es bestätigte meinen Verdacht, dass sich hinter diesem Vorhang eine geräumige Dreizimmerwohnung befand, und die neuen Bewohner hatten sich gemütlich ins Obergeschoss zurückgezogen.
Nebenan war ein Paar, das zunächst unauffällig zu sein schien, vor allem als sich der Mann nach einer Weile verabschiedete. Herrliche Ruhe, nur das Hintergrundsummen von den Gegenübers, die Madagaskar und Ab durch die Hecke sahen und amüsiert kicherten.
Irgendwann beschloss ich auf meinem Handy Eastenders zu schauen, das ist so eine Art englische Lindenstraße. Den Ton gedämpft waren die Anfangstakte des Vorspanns gerade so mit menschlichen Ohren zu vernehmen. Duff-Duff-Duff.
Drei Minuten später ertönte auch nebenan Duff-Duff-Duff, nur zwölfmal so laut. Vorbei war es mit meiner Konzentration, das selbe Programm drei Minuten versetzt zu hören ist sehr anstrengend. Ich hüpfte wieder Ball und las meinen Thriller, als Herr Nebenan wieder erschien mit einer Plastiktüte aus der Schwaden von Currygeruch drangen. Er selbst stank nach abgestandenem Bier und hatte rot unterlaufene Augen. Natürlich hätte ich das nicht sehen können, wegen des Vorhangs, hätte er sich nicht darin verheddert und wäre versehentlich in meiner Zelle gelandet. Verwirrt sah er sich um. Ich zeigte nur in Richtung nebenan, und er wankte ein Stück weiter, sich am blauen Stoff festhaltend, dessen Ringaufhänger gefährlich knirschten. Der Typ war sternhagelvoll.
Abendstimmung in der Zelle |
Wieder kein Schlaf. Und um kurz vor Mitternacht, gerade in eine Schnarchpause des Herrn Nebenan hinein erfüllte das Platschen von Wasser den Raum. Meine Fruchtblase, da ging sie hin.
Och manno, mein gemütlicher Schlafanzug. Mein einziger Schlafanzug. Aber ich war auch sehr erleichtert, die spontane Entleerung hieß sicher, dass ich bald aus der Zelle rausdurfte. Oder? Oder? Zunächst wurde ich an den Monitor gefesselt, der meine Wehenaktivität auf ein kilometerlanges Stück Papier druckte. Herzlich Willkommen im technisch fortgeschrittenen 2016.
Hier war mein Pyjama-Unterteil noch intakt |
Oben Baby Herzschlag, unten Berge und Täler meiner Stimmung |
"Na, da geht ja schon was", stellte die Hebamme fest. Ach so, deswegen hatte ich so seltsame Bauchkrämpfe. Das waren Wehen. Ich dachte schon, das Zellenessen hätte mir eine Magenverstimmung beschert. Hilfe, das wurde ja tatsächlich Ernst. Ich rief Gawjus an, den ich am frühen Abend nach Hause geschickt hatte, damit wenigstens einer von uns etwas Schlaf bekäme. Er nahm auch schon nach 14 Versuchen das Telefon ab. Ich empfahl ihm wieder zurückzukommen, vielleicht stünde die Geburt schon unmittelbar bevor? Diese Hoffnung wurde aber zerschmettert, als eine Hebamme einen kurzen Blick in das Feuchtraumbiotop warf und mir eine gute Nacht wünschte. Nacht und gut im selben Satz? Naja. Ich las weiterhin mein Buch, obwohl ich gegen Morgen bei jeder Wehe kurz innehalten musste, und danach den letzten Absatz noch einmal wiederholen. Es fing an schmerzhaft zu werden. Alle paar Minuten röchelte ich mit Herr Nebenan um die Wette, der immernoch im Bierrausch lag.
Am späten Morgen kam eine Ärztin. Sie erinnerte mich an Whoopi Goldberg mit der Stimme von Wanda Sykes. Ihre Haare waren kunstvoll toupiert und sie erfüllte jedes Big Mama Klischee mit wackelndem Kopf und erhobenem Zeigefinger und sehr vielen "Hmm Hmmmm"s
"2 Centimeters", so ihre Diagnose, als sie prüfte wie weit mein Muttermund geöffnet war. "Imma gonna give you a sweep."
Bevor ich herausfinden konnte was ein Sweep war, hatte sie schon den Arm bis zum Ellbogen in meiner Kriegszone versenkt und stocherte gewalttätig darin herum. Ich sah aus dem Augenwinkel noch den Gawjus entsetzt vom Stuhl hochspringen, da setzte auch schon der Schmerz ein "JESUS BLOODY CHRIST WHAT THE FUCK!!!" brüllte ich. Whoopi-Wanda runzelte die Stirn und gab mir den Zeigefinger und ein Hmm-mmh für das Fluchen. Den Hebammen gab sie die Anweisung, mich in ein Entbindungzimmer zu verlegen. Traumatisiert packte ich meine Sachen und machte mich mit Gawjus auf den Weg durch die Korridore.
Das Trauma war jedoch verarbeitet beim Anblick des Zimmers. Einzelzimmer, mit einem echten Fenster, das sich sogar öffnen ließ. Blick auf den Parkplatz und ein eigenes Badezimmer. Kein einziger blauer Vorhang weit und breit. War ich im Himmel?
Fortsetzung folgt.
Das hat mir seit Monaten gefehlt :-). Wie du, an sich tragische Situationen sehr lustig erzählst. Bin gespannt auf die Fortsetzung und hoffe euch geht es inzwischen gut.
AntwortenLöschenMir hat das Schreiben auch gefehlt. Nur bis man sich immer mal dazu aufrafft... ächz! Aber jetzt bin ich ja im Mutterschaftsurlaub ;-)
LöschenMeine Fruchtblase. Da ging sie hin. GENIAL! Ich hab den ganzen Bericht lang soooo gelacht. Entschuldige bitte!
AntwortenLöschenIch warte gespannt auf die Fortsetzung und hoffe das beste für den Kleinen!!
LG Dani
Mittlerweile kann ich auch darüber lachen und schaue nicht mehr wie ein traumatisiertes Reh... Elefant im Scheinwerferlicht, wenn jemand nach der Geburtsgeschichte fragt.
LöschenHuhu, ich bin neuer Mitleser :) Bin gespannt was mich hier alles erwartet! Ich bin selbst vor drei Jahren nach Irland ausgewandert. Liebe Grüße!
AntwortenLöschenHallo Insel-Nachbarin, da werde ich doch gleich mal in deinem Blog vorbeischauen. Ich war nämlich noch nie in Irland, hoffe aber bald mal hinzukommen :-)
Löschen