Freitag, 20. Mai 2016

Das Inselbaby V - Möpse, Milch, und Mentaler Maschinenschaden

Die Glanzstunde meiner Brüste war endlich gekommen.

Seit fast zwei Jahrzehnten hatte ich Mutter Natur verflucht, weil sie bei der Vergabe der Oberweite bei mir gleich eine Vierfachportion auf den Genteller geschöpft hatte, die Beilage der Körperlänge aber komplett unter den Tisch fallen ließ. Riesenmöpse sind sehr unpraktisch. Der Kauf von Oberbekleidung kann einen da schonmal in den Wahnsinn treiben. Wenn sich die Bluse endlich zuknöpfen lässt, sind die Ärmel drei Meter zu lang. Im hochgeschlossenen Kleid sieht man aus wie ein Pornostar, im Ausgeschnittenen sowieso. Auch die Schwangerschaft hatte nicht hilfreich dazu beigetragen und mir sowieso schon gut bestückter Person noch ein, zwei zusätzliche Körbchengrößen beschert. Ein neuer Tiefpunkt war erreicht, als ich am Esstisch mit der Brust ein Stück Pizza von meinem Teller fegte, und im Bus unbeabsichtigterweise mit Oberweite den Stopknopf drückte. Letzteres führte dazu, dass ich einige Haltestellen zu früh ausstieg, um mich nicht zu blamieren.

Jetzt aber los, seid endlich zu etwas nütze, dachte ich, als ich versuchte meinem Baby endlich die notwendige Nahrung zukommen zu lassen. Doch Blutverlust und Flüssigkeitsmangel hatten mich ausgetrocknet wie eine Dörrpflaume. Es war nichts zu holen. Der kleine Kerl hatte dazu auch keine Ahnung was er machen sollte und schluchzte herzzerreißend. Ich hatte noch viel weniger Ahnung was ich machen sollte, und blickte die Hebamme hilfesuchend an.
"Haben Sie Ersatzmilch dabei?" Ersatzmilch, selbstverständlich nicht. Ich dachte doch, dass Mutter Natur in den letzten Monaten eine schicke Milchbar eingerichtet hatte. Freier Eintritt und so viele Milkshakes wie man sich nur hinter die Binde schütten konnte. All you can drink.

Gawjus sprintete zum nächsten Supermarkt und kaufte sogenannte Formula, ein fertiggemischter Muttermilchersatz. Durch einen dünnen Schlauch in den Mund wurde das Baby zunächst zufriedengestellt. Danach erfolgte der Auszug aus dem Entbindungszimmer. Erneut packte ich meine Sachen und schob den Behälter mit dem Baby durch den Korridor in ein... Viererzimmer. Schon wieder. Die berühmten blauen Vorhänge teilten den Raum in vier Zellen. Statt der Geburtseinleitungsgesellschaft waren hier nur frischgebackene Eltern, Säuglinge, und jede Menge Besucher. Die Raumtemperatur betrug 48 Grad im Schatten und es gab keine Fenster. Die Zellennachbarn gegenüber stachen ganz besonders auffällig durch ein sehr stimmliches Neugeborenes heraus. Es schrie ohne Unterbrechung. Wäh! Wäh! Wäh! Wäh! Wäh! Wäh! Wäh! Wäh!

Dachte ich, dass meine Würde in der Nacht zuvor schon auf Nimmerwiedersehen verloren gegangen war, so erfuhr ich jetzt noch einmal Behandlung ganz spezieller Art. Ich hatte nämlich zwei Hebammen, die an meinen Brüsten herumdrückten um ihnen auch nur die geringste Menge an Flüssigkeit zu entlocken. Ohne Erfolg. Sie hielten das Baby zu zweit, hielten seinen Kopf wie in einem Klemmeisen und versuchten ihn an mich anzulegen. Ohne Erfolg. Er wimmerte und schluchzte, was mir im Herzen weh tat. Lieber wieder Formula.

Wer mitgezählt hat, weiß dass dies nun die vierte Nacht im Krankenhaus werden sollte. Und auch diese blieb schlaflos. Das Wäh! Wäh! Wäh! Baby hörte nicht auf. Seine gestressten Eltern klingelte alle paar Minuten nach der Hebamme. Mein Baby wimmerte genervt und war hellwach. Ich bereute, dass ich den Gawjus wieder zum Schlafen nach Hause geschickt hatte. Alle zwei Stunden flößte ich meinem Kind Formula ein. Dazu musste ich erst zum stationseigenen Kühlschrank humpeln (Ich fühlte mich, als wäre ich angefahren worden), 20ml Formula in einen Messbecher füllen, wieder zurück zu meiner Zelle humpeln, zum Waschbecken humpeln, warmes Wasser in einen Becher füllen, meine Hände waschen, wieder zurück zur Zelle humpeln, den Messbecher für eine Weile in den Becher mit warmem Wasser stellen, einen kleinen Schlauch mit Klebeband an meinem Finger befestigen, das Ende des Schlauches in den Messbecher stecken, meinen Finger in den kleinen Babymund stecken, durch sanftes Wackeln den kleinen Kerl zum Saugen animieren, die 20ml im Kindchen versenken, ihn durch leichtes Täscheln zum rülpsen animieren, das Baby wickeln, wieder in den Behälter legen, zudecken, den Schlauch enfernen, und zusammen mit dem Messbecher sterilisieren. Das ganze mit Wäh! Wäh! Wäh! als Hintergrundgeräusch in brütender Hitze. Und dann war es schon wieder soweit für die nächste Fütterung.

Am nächsten Tag, Sonntag, war ich fertig mit den Nerven. So richtig. Hormone, Hitze, heulende Babys. Die Hebammen kamen zurück und quetschten wieder an meinen Brüsten herum ohne Erfolg. Das Baby fing an auszuflippen jedes Mal wenn es nur in die Nähe meines Nippels kam. Ich fing es an persönlich zu nehmen und verlor auch noch das letzte Bisschen an Würde: Ich heulte. Ich heulte so lange und so gründlich, dass es sogar in meiner Akte vermerkt wurde. "Patient very teary"

Die blauen Vorhänge machten mich klaustrophobisch, die Hitze ließ den Schweiß nur so an mir runtertropfen. Ich hatte in jedem Arm noch eine Kanüle stecken. Die Hebammen versuchten an mehreren Stellen Blut abzunehmen, aber ich war nach wie vor noch komplett ausgetrocknet. Das Wäh! Wäh! Wäh! Baby hatte immernoch nicht aufgehört. Ständig klingelte jemand wieder nach einer Hebamme und das ständige Ding-Ding-Ding der aufdringlichen Glocke raubte mir auch noch den letzten Verstand.

Ich will nach Hause, schoss es mir plötzlich durch den Kopf. "Ich will nach Hauuuusäääää", heulte ich. Die Hebi schüttelte belustigt den Kopf. "Ich.Will.Nach.Hause." beharrte ich. Und irgendwann "Ich gehe nach Hause!" Dabei war ich so bestimmt, verlangte den Manager, drohte mit sofortigem Aufbruch, packte meine Sachen, bis die Hebis nachgaben. Der Gawjus war eher besorgt, aber mit einer frischgebackenen Mutterfurie mochte er sich auch nicht anlegen. Nur kurze fünf Stunden Wartezeit später hatte ich endlich die Entlassungspapiere in den Händen, packte das Baby in den Autositz und weg waren wir. Es waren nur vier Tage und Nächte gewesen, aber sofort als frischen Sauerstoff um meine Nase wehte, fühlte ich mich, als hätte ich mich für einige Wochen in einer Höhle verlaufen und würde zum ersten Mal wieder das Tageslicht sehen. Als wir im Auto saßen wies ich den Gawjus an noch kurz zu warten. Die Stille, die absolute Stille dröhnte in meinen Ohren wie tausend Presslufthämmer. Es war wunderbar.

Zuhause angekommen fiel sofort der Stress ab. Ich warf den dämlichen Schlauch und Messbecher in den Müll und füllte die 20ml Formula in eine richtige Babyflasche. Das Kindchen saugte so eifrig und dankbar, dass mir schon wieder die Tränen kamen. Scheiß Hormone. Aber dieses Mal Tränen der Erleichterung. Und als wir so auf dem Sofa im Wohnzimmer saßen, das Baby friedlich schlummernd, da stimmte auch der Gawjus zu, dass es eine gute Entscheidung gewesen war das Krankenhaus zu verlassen. Jetzt konnte das Leben losgehen.

2 Kommentare:

  1. Aaaww, auch wenn es für dich insgesamt nicht so schön verlaufen ist - die Geburtsgeschichte hast du doch echt schön geschrieben.

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    1. Dankeschön! Irgendwo bin ich auch froh, dass es so unschön war...hätte ja sonst nichts zu erzählen 😀

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