Google Earth hat mich ja schon von den Socken gehauen. Aber jetzt hat sich Google selbst noch mal übertrumpft:
Google Street View heißt das neue Wunder. Davon hab ich schon vor eine Weile gehört, ist grade auch sehr aktuell, aber irgendwie ist es bisher doch noch an mir vorbei gegangen. Als ich aber heute mit Google Maps eine Straße in London gesucht habe, wurde mir Street View angeboten. Und siehe da… Wahnsinn. Man kann die Straßen auf der Karte „abfahren“, als wenn man gerade selbst dort unterwegs wäre. Ein Mausklick bringt einen ungefähr 10 Meter weit.
Die Macher von diesem Dienst sind dazu mit Fahrzeugen unterwegs, auf denen mehrere Kameras montiert sind. Sie fotografieren jede Straße im 360-Grad-Blick ab. So trifft man auf der virtuellen Fahrt auch auf Passanten und ganz normalen Straßenverkehr, sieht Baustellen, Polizisten, Leute in Straßencafés. Verdammt, Sightseeing ohne das Haus zu verlassen. Sogar von Freddie Mercurys Haus sieht man mehr als wenn man live dort ist, weil die Kamera fast so hoch ist wie die Mauer.
Ich bin jedenfalls davon begeistert.
Aber Street View hin oder her, ich werde das Haus natürlich trotzdem noch verlassen.
Diese Woche ist es mir schwergefallen, da ich mir die gemeine Schlafkrankheit eingefangen habe. Zusätzlich mit einer netten Migräne, die drei Tage angehalten hat. Zum Glück hab ich Oropax und dicke Vorhänge im Zimmer. Da hilft nur nix sehen, nix hören und schlafen was das Zeug hält. An Tag vier hab ich mir dann doch mal wieder frische Luft und Bewegung verschrieben und bin wie eine Irre durch den Park gelaufen. Aber sogar da hat mich der Schlaf eingeholt, als ich mich für eine Weile ins Gras gelegt habe um die Sonne zu genießen. Ein Mann mit Hund hat mich dann geweckt, weil er nicht sicher war, ob ich noch am Leben bin.
Ich hatte außerdem Zeit, mir ein paar Gedanken zu machen. Und immer wieder hat sich mir die Frage aufgetan, was ich denn in den nächsten Monaten eigentlich alles anstellen will in London. Vor der Abreise hatte ich nicht wirklich Zeit dazu, mich auf diese absolut vielseitige Stadt vorzubereiten. Und mein Reiseführer ist auch jetzt noch so gut wie ungelesen.
Ich meine, eigentlich bin ich ja die größte Kulturbanause unter der britischen Sonne. Ich hab noch keine Sekunde mit dem Gedanken gespielt, das British Museum zu besuchen, um mir ein paar tote Sachen unter Glashauben anzusehen. Ganz einfach, weil ich Museum zum Sterben langweilig finde. Und da ändert auch nichts dran, dass Museen jetzt scheinbar total „lebendig“ und „innovativ“ sind und die ägyptischen Moorleichen sich selbst vorrappende Plastikschildchen haben. Laaangweilig.
Immerhin war ich schon in der National Gallery… wenn auch nur, um mich vor einem unerwarteten Regenschauer unterzustellen. Aber ich fühl mich nicht wohl dabei, die Werke der alten Meister zu betrachten. Irgendwie hab ich das Gefühl, dass ich diesen Bildern nicht den Respekt zukommen lassen kann, die sie eigentlich verdient hätten. Ich nehm sie eben zur Kenntnis, und das war’s auch schon.
Ganz im Gegensatz dazu steht meine Liebe zur Musik. Und in London bin ich gar nicht so fehl am Platz damit, schließlich ist die britische Musikkultur legendär! Ich habe sowieso schon seit dem ersten Besuch in Kensington das Gefühl, auf Freddie Mercurys Spuren zu wandeln. Warum sollte ich meine Pilgerfahrten nicht noch ein wenig ausdehnen um weitere Orte zu besuchen, an denen Musikgeschichte geschrieben wurde? Ich bin ja jetzt schon mitten drin: Knappe fünf Kilometer von hier, in Dartford, sind Mick Jagger und Keith Richards zum ersten Mal aufeinander getroffen. Ein dreiviertel Jahr später hatten sie den ersten Auftritt als The Rolling Stones. Den Club in Soho gibt es heute zwar nicht mehr, aber ich werde trotzdem mal hinfahren um zu sehen, ob es noch ein paar Hinweise gibt. Auch Queen ist im Marquee Club aufgetreten, Pink Floyd, Jimi Hendrix, The Who und noch mehr legendäre Bands.
Google Street View hat mir zwar schon verraten, dass ich dort nur noch Loft Apartments antreffen werde, doch ich will wissen, wie lange der Pub schon existiert, der nur ein paar Meter weiter ist. Vielleicht gibt es dort ein paar Altrocker, die mir von den wilden Siebzigern erzählen wollen. Vielleicht ein wenig sehr naiv gedacht, aber ich hab das Gefühl, dass in London nichts unmöglich ist.
Und mittlerweile hab ich tausend Ideen für Plätze mit musikalischem Hintergrund, die ich unbedingt besuchen muss. Angefangen beim Abbey-Road-Zebrastreifen, bis zum ehemaligen Wohnhaus von Jimi Hendrix. Ich find es nicht nur spannend, sondern es ist auch eine Gelegenheit so viel wie möglich von London zu sehen, ohne dass ich ziellos durch die Gegend irren muss wie beim ersten Stadtausflug vor ein paar Wochen.
Ich werde auf jeden Fall davon berichten.
Ansonsten hab ich nicht wirklich viel Neues erlebt. Außer, dass ich mit Klara, der Tschechin, gestern Abend im Bromley Freak-Pub war. Der ganze Abend hat schon irgendwie niedlich angefangen, als im Bus meine Oyster Card versagt hat. Wahrscheinlich muss ich wieder Guthaben aufladen. Jedenfalls hatte ich auch nicht genug Kleingeld für ein Busticket und der Busfahrer wollte den 10-Pfund-Schein nicht annehmen.
Zur Rettung kam mir plötzlich ein hübscher Kerl mit asiatischem Einschlag, der total selbstverständlich mein Ticket bezahlte. Wow, ich hab den ersten britischen Gentleman getroffen! Ich war entzückt und hab ihn sofort auf einen Drink eingeladen. Aber leider musste er ablehnen. Der Gentleman war erst 15.
Klara hat im Pub-Biergarten das erste Radler ihres Lebens getrunken. Sie meinte, in Tschechien würde niemand auf die Idee kommen, Bier mit Limonade zu mischen. Aber sie fand es toll. Auch von der Wahl des Pubs. Die Freaks waren so zahlreich anwesend, dass ich ihr wirklich nicht zu viel versprochen hatte. Wir haben uns wunderbar über das vielseitige Publikum amüsiert.
Als die Sonne verschwunden war, haben wir die Plätze an den Tresen verlegt und auch das Getränk gewechselt. Whiskey-Cola statt Radler. Irgendwann gegen zehn hat Klara dann verkündet, betrunken zu sein und ist in Richtung Bushaltestelle getorkelt. Mir war es noch ein wenig zu früh. Irgendwie fehlte noch ein Highlight. Und so saß ich weiterhin am Tresen und beobachtete die Leute.
„You are a people watcher.”, stellte plötzlich ein Typ mit irischem Akzent neben mir fest, der eine verblüffende Ähnlichkeit mit Dustin Hoffman hatte. Verdammt, war das so offensichtlich, was ich hier machte? Whiskey sei Dank hab ich wohl nicht mehr unauffällig beobachtet, sondern ganz direkt gestarrt.
Ich mochte Dustin sofort. Seine Lieblingsbeschäftigung schien auch beobachten zu sein. Und er meinte, dafür sei der „Look-a-likey-Pub“ besser als jeder andere in Bromley geeignet.
Moment, der „Look-a-likey-Pub“??
Ja, meinte er. Weil die meisten hier jemandem ähnlich sehen würden.
Und diese Feststellung von einem Kerl, der wie Dustin Hoffman aussieht! Ich hab mich gefragt, ob ihm das überhaupt bewusst ist.
Mein Staunen hat er wohl als Unglaube gewertet, denn er hat mir sofort das mehr oder weniger prominente Publikum vorgestellt.
„Das ist Alice Cooper!“, meinte er und zeigte auf einen Mann am Tresen, der tatsächlich etwas entfernt Ähnlichkeit mit dem Rocker hatte.
„Und dort ist Billy Idol.“ Eine Frau mit kurzen blondierten Stachelhaaren und Streifenpullover.
Mich hätte es fast umgehauen vor Lachen. Nachdem wir zusammen noch die Desperate Housewives, Kurt Cobain, Toni Blair, Montserrat Caballe und den Village Idiot identifiziert hatten, musste ich los. Der Look-a-likey-Pub hat gelockerte Sperrstunde, aber der letzte Bus fährt schon um kurz nach Mitternacht. Wenn ich den verpasst hätte, wäre ich echt aufgeschmissen gewesen. Ich muss unbedingt rausfinden, ob es irgendwo einen Nachtbus gibt. In zwei Wochen ist Pink-Floyd-Nacht mit einer Coverband, die wohl nicht schlecht sein soll. Dustin, der eigentlich Noel heißt, ist auch wieder da.
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