Sonntag, 31. Mai 2009

Woche 7 - Pimp my Lebensqualität

Ich glaube, wenn Bromley ein Stadtteil von Berlin wäre, in dem es schwäbisches Essen gäbe, aber mit Stäbchen, dann würde ich dort den Rest meines Lebens verbringen.

Diese Woche hatte ich fast komplett frei. Es war absolut ereignisreich:

Kindergeburtstag, Klaras Drama, Wiedersehen mit einer langjährigen Freundin, Party in Bromley.

Die Große ist jetzt 7 Jahre alt!
Sie wurde überhäuft mit Geschenken, alles komplett in pink, ihrer Lieblingsfarbe.
Habe festgestellt, dass es nicht üblich ist, selbst einen Geburtstagskuchen zu backen. Im Kaufhaus gibt es bestimmt 50 verschiedene Kuchensorten für alle Anlässe und jeden Geschmack. Harry-Potter-Kuchen, Barbie-Torte, Roald-Dahl-Cupcakes. Echt beeindruckend. Oder auch nicht.

Wir hatten jedenfalls eine kleine Gartenparty mit kaltem Buffet. Oh wow, ich hab zum ersten Mal seit Wochen wieder Vollkornbrot gegessen. Salamibrot, ich liebe es.

Am selben Tag hat mich Klara total aufgelöst angerufen, sie hätte Streit mit ihrer Gastmutter. So bin ich nach der Party nach Bromley gefahren und hab mir die Geschichte angehört. Scheinbar ist sie bei einer cholerischen Single-Mum gelandet, die ihr erzieherisches Versagen gerne mal dem Aupair zuschiebt. Gosh, bin ich froh, dass meine Gastfamilie toll ist.

Jedenfalls war Klara im Laufe des Abends wieder genug stabilisiert, so dass sie am nächsten Tag problemlos mit ihrer Agentur telefonieren würde. Ich bin danach noch eine Weile im Pub sitzen geblieben und hab mich mit den Leuten dort unterhalten. Die Freaks haben sich an meine Anwesenheit gewöhnt und scheinbar bin ich selbst freakig genug, dass sie mich als eine von ihnen betrachten. Sie sind total herzlich, hilfsbereit und freuen sich, dass sie jetzt eine „Exotin“ am Tresen sitzen haben, der sie jede Menge Informationen, Insidertipps und Empfehlungen geben können. Und wirklich jeder, der mitkriegt das ich Deutsch bin, fängt plötzlich an mit irgendwelchen deutschen Sätzen um sich zu schmeißen, die irgendwo mal aufgeschnappt worden sind.

„Ick wunschte deine were meine“

„Alles gutt?“

„Ick wollen Sie fragen ob sprecken Sie Deutsch“

„Ick bin keine Sweinenacke“ (was auch immer das bedeuten mag)

Es ist mir manchmal unangenehm, Ausländerin zu sein. Ich habe immer das Gefühl, besonders aufpassen zu müssen, dass ich niemandem aus Versehen auf die Füße trete oder all zu viele Fettnäpfchen durchpflüge. Oder mal ein Danke und Entschuldigung vergesse.

Zwischen den Freaks allerdings fühle ich mich wohl. Ich kann dort genau so sein wie ich bin und sagen was ich denke. Eben Letzteres funktioniert auf Englisch sowieso besser als auf Deutsch, finde ich, weil es in der englischen Sprache einfach bessere Wörter gibt um sich mündlich auszudrücken. Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll. Englisch ist irgendwie… direkter, unkomplizierter, schöner.

Als ich dann jedenfalls wieder viel zu früh zum letzten Bus musste, hatte ich zwei Telefonnummern, eine Einladung zu einem Konzert und eine zum Cricket. Hey wow, ich fang echt an, hier Leute zu kennen.

Mittwochs, 11 Uhr, hatte ich wieder eine Verabredung auf dem Trafalgar Square. Diesmal aber nicht meine Cousine… sondern… tadaaa…

INDRA!


Gosh, war ich nervös. Wir haben uns das letzte Mal vor drei Jahren gesehen. Und dann, plötzlich, stand sie vor mir. Wahnsinn!

Das Wetter war extrem schlecht an dem Tag. Bisher hab ich es so erlebt, dass es nur morgens Regen gibt, der dann am frühen Vormittag so plötzlich aufhört, als hätte jemand den Wasserhahn zugedreht. Aber am Mittwoch schien der Himmel so gar nicht aufzureißen, trotz allem Optimismus.

Indra, ihre Freundin Meike und ich sind trotzdem nach Camden Town gefahren und über den Markt geschlendert. Der ist übrigens auch unter der Woche sehenswert, nicht nur an den Wochenenden. Und es ist nicht ganz so viel los. Gut zu wissen, ich glaube dort werde ich noch ein paar Mal landen.



Lunch hatten wir in Chinatown beim Piccadilly Circus. Natürlich sehr auf Touristen abgezielt, aber auch erlebenswert.



Ich find die Frau mit dem flatternden Kopftuch toll, die mir irgendwie ins Bild geraten ist:


Danach war die Oxford Street fällig. Mittlerweile hatte es auch endlich aufgehört zu regnen. Im Strom der Menschenmassen (ich liebe es… NICHT!) sind wir durch die Straße geflossen. Wir haben nicht einmal ein Drittel der kompletten Oxford Street abspaziert, es war trotzdem extrem anstrengend.

Am Donnerstag war Open Mic in „meinem“ Pub, das durfte ich auf gar keinen Fall verpassen. Klara war auch wieder dabei. Am Wochenende kommt ihr Freund nach London um sie abzuholen, weil sie unter gar keinen Umständen mehr bei ihrer Gastfamilie bleiben will und kann. Aber sie werden noch zwei Wochen in einem Hotel hier in der Gegend wohnen und etwas Urlaub machen. Außerdem wollen sie ein Auto mieten und in die Londoner Umgebung und Richtung Küste fahren… und… hurra… mich mitnehmen, yay!

Der Open Mic Abend war klasse! Eine Bühne, spontane Musiker, improvisierte Besetzung, leichter Geruch von Marihuana und bekannte Songs. Die kuriosesten Instrumenten-Kombinationen waren Mundharmonika, Saxophon und Bongo-Trommeln, dazu zweifelhafter Gesang… aber Stimmung!

Einen der Solo-Gitarristen fand ich ganz besonders interessant. Ein älterer Mann, winzig klein und superdünn. Seine dunklen Haare trug er lang mit einem stufigen Damenschnitt und dazu ausgewaschene Jeanshosen und Jeansjacke. Und natürlich Cowboystiefel. So ein richtiger Rock-Opi, der bestimmt irgendwann mit einer Gitarre und einer Flasche Whiskey beerdigt wird. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich mich mit ihm unterhalten wollte. Tatsächlich landete er nach dem Auftritt irgendwie neben mir am Tresen und stellte sich als Jerry vor. 63 Jahre ist er alt, Songwriter, und lebt absolut für seine Musik. Jeden Sonntag tritt er mit seiner Band in Camden auf, und ich solle unbedingt mal vorbeikommen. Werd ich machen!

Vom Alter und Typ her passte er ja wunderbar, also fragte ich ihn ob er jemals im Marquee Club gewesen sei (man erinnere sich aus letzter Mail).

Ob er dort schon gewesen sei? Lautes Lachen. Dort hätte er früher schon so oft auf dem Boden der Herrentoilette gelegen, das könne er gar nicht zählen! Und es folgte ein Schwall von Bandgeschichten und wie nahe er dort seinen großen Idolen gekommen sei… und wie sehr er die gute alte Zeit vermisst. Da konnten wir kollektiv seufzen. Ich wünschte, ich hätte diese gute alte Zeit erlebt.

Jerry ist cool. Ich werde auf jeden Fall eines dieser Sonntagskonzerte besuchen.

Hier sieht man übrigens Barkeeper Keith, der eine Wette verloren hatte und eine halbe Stunde in Unterhose ausschenken musste:



Und viel zu früh war es 11 Uhr… Unter der Woche leider Sperrstunde.

„Psst, bleib einfach sitzen, wir machen noch einen Lock in!“, flüsterte mir irgendjemand im Vorbeilaufen zu. Louise, die Frau vom Chef

Lock in?

Hah, und seit Donnerstag bin ich wirklich aufgenommen in die geschlossenen Gesellschaft des Look-a-likey-Pub oder Freak-Pub… oder einfach in „meinem“ Pub. Als nämlich nur noch acht Leute übrig waren, mich mitgezählt, wurde der Pub verriegelt, die Vorhänge zugezogen, die Zigaretten ausgepackt und munter weiter ausgeschenkt. Ein Lock in. Und ich war dabei! Wow!

Während ich mit ein paar Leuten in ungefähr meinem Alter ins Gespräch kam, stellte sich raus, dass einer von ihnen nur ein paar Straßen von mir entfernt wohnt. Und ob ich mir nicht ein Taxi mit ihm teilen wolle, dann müsse ich nicht den letzten Bus nehmen. Ob das nicht zu teuer sei, hab ich etwas zweifelnd gefragt.

„Tenner!“, antwortete der Skinhead, der sich selbst Fighter nennt und zuckte mit den Schultern. Zehn Pfund also. Okay, nicht ganz so teuer wie ich gedacht hatte.

„Aaaaber!“, korrigierte ein Langhaariger, der sich als Ross vorstellte (Ich find den Namen schrecklich, muss immer an Ross Anthony denken. Und an Pferd) „Aaaaber, bis der erste Bus fährt sind sowieso nur drei Stunden totzuschlagen!“ Und er stellte eine schwer über den Daumen gepeilte Rechnung auf, dass wir ja sowieso noch bis mindestens zwei Uhr hier im Pub bleiben würden und dann bis fünf Uhr bei ihm Zuhause noch weiterfeiern könnte. Eben, bis der erste Bus fährt.

Interessante Argumente.

Nach einem sympathischen „Hey, wir haben uns grade erst kennengelernt, du kannst jetzt nicht einfach nach Hause gehen.“, von Seiten eines Afro-Karibes (Wie nennt man die Einwohner Trinidads?) namens Dave, hab ich mich dann doch entschlossen den letzten Bus sausen zu lassen und einen weiteren Snakebite (Strongbow + Lager + Blackcurrant juice) zu bestellen.

Ich hab mich sehr gut mit den Freaks amüsiert. Aber mir war ziemlich schnell klar, dass die Frage „Rauchst du?“ nicht gerade auf Tabak bezogen war. Egal, ich hab kein Problem damit, solange ich nicht mitrauchen muss.

Wie von Ross vorhergesehen, war es ungefähr zwei Uhr, als wir durch die Hintertür in die Nacht entlassen wurden. Viiiiel zu früh, um jetzt schon ein Taxi zu rufen. So die Aussage von Fighter. Also haben wir uns zu fünft auf den Weg zu Ross nach Hause gemacht, wo bei meinen frisch gewonnenen Freunden auch sofort der Fressflash einsetzte. Es gab Mikrowellen-Pizza.



Während wir so saßen und aßen, lief nebenher auf stumm geschaltet ein Porno, den aber niemand groß beachtete.

Ich war nicht wirklich betrunken. Und geraucht hatte ich selbstverständlich nichts. Aber ich glaube genau in diesem Moment ist auch mein Herz vollständig in England angekommen. Da mit diesen Leuten in einem Raum zu sitzen, die man gerade erst getroffen hatte, aber schon seit Jahren zu kennen schien. Und für ein paar Sekunden war es absolut unvorstellbar für mich, dieses Land jemals wieder zu verlassen.

Es war einfach die Atmosphäre. Das war eine von diesen Nächten, die nie enden sollten, weil sie absolut vollkommen aber unwiederholbar sind. Obwohl wir nur Unsinn quatschend auf den Sofas gesessen sind, während im Fernseher tonlos fleischfarbene Pixel im Takt wippten: Ich war plötzlich restlos zufrieden. Und obwohl ich heute nur noch grinsend denke: „Gosh, was war DAS denn für eine Aktion?“, hält die Zufriedenheit an. Die Nacht war eine Art „Pimp my Lebensqualität“. Ob die Lads jetzt nur eine oberflächliche Bekanntschaft bleiben, oder sich zu Freunden entwickeln… egal. Ich bin zufrieden.

Ich freu mich auf das nächste Mal. Schätze mal, ich werde erst am Freitag wieder in den Pub gehen. Nächste Woche hab ich einige lange Arbeitstage und dazu noch College – übrigens werde ich voraussichtlich ein Examen machen, aber ich weiß noch nicht so richtig wie das abläuft. Wahrscheinlich kriege ich dann ein Zertifikat, das ich mal für Bewerbungen verwenden kann. Nunja, kann nur nützlich sein.

Mit zunehmendem Alter kommt wohl auch der Ehrgeiz. Ich bin Klassenbeste, arbeite äußerst gewissenhaft an meinen Hausaufgaben und ich kann es verflucht noch mal nicht leiden, wenn ich abgefragt werde und sich irgendwo ein Fehler in meine Übungen geschlichen hat. Perfektionismus im Anfangsstadium… dass das MIR mal passieren könnte…

Aber ich will einfach, dass mein Englisch perfekt wird, und zwar sofort.

Im Großen und Ganzen läuft die Verständigung aber prima. Es kann nur vorkommen, dass mir hin und wieder jemand mit Cockney-Englisch begegnet. Ach verdammt, das ist ja wie Geheimsprache. Mal vom bösen Akzent abgesehen werden sogar komplett andere Worte verwendet, die sich nur annähernd mit dem ursprünglichen Wort reimen.

Meistens sind es übrigens Hackfressen, die für mich total unverständliches Kauderwelsch von sich geben. Was ist da nur mal schief gelaufen?

So, ich werde jetzt mit den Kindern auf den Spielplatz gehen. Mal sehen, ob der Nachbar mit seiner Wochenend-Tochter auch wieder mitgeht. Der ist ganz nett, aber irgendwie seltsam. Er bietet auf dem College Kurse an, wie man lernt mit Toten zu kommunizieren. Ich hoffe, er nimmt sich nicht ab und zu etwas Arbeit mit nach Hause.

2 Kommentare:

  1. liebste sarah! hier mal ein post von mir:
    danke für das wiedersehen und den schönen tag!! entschuldigung für das gezerre durch die menschenmengen! ... ganz egal: es war sehr schön dich wieder zu sehen... und vor allem so glücklich :-)) bleib und mach weiter so!! alles liebe von mir
    indra

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  2. Muhahahahaaaa
    Hab deine Barbiepferde Verkauft hahaha.

    Grüße Emil

    PS:auch an Indra

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