Ich kenne einige Iren. Die sind immer lustig, trinken gerne und haben einen witzigen Akzent, der mich irgendwie ein wenig an Holländisch erinnert.
Waliser hab ich bisher nur einen kennen gelernt, und der war sehr stolz darauf, dass er den Namen der Stadt Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch perfekt aussprechen konnte, und wiederholte das auch noch mehrmals an diesem Abend.
Mummy ist Schottin, direkt aus Glasgow. Sie hat einen relativ starken Akzent, der „Glaswegian“ genannt wird. Ich hab mich schon so daran gewöhnt, dass ich ihn fast nicht mehr wahrnehme. Zum Beispiel sagt sie ‚wee’ statt ‚little’. Das Wort ‚great’ hört sich bei ihr wie ‚greht’ an. Und der Buchstabe R wird gerollt.
Augenscheinlich ticken die Schotten ein wenig anders als die Engländer. Mummy macht manchmal für mich sehr unbegreifliche Sachen. Ich kann ihre Schlussfolgerungen und das darauf folgende Handeln oft nicht nachvollziehen. Siehe die Phase mit den Kohlköpfen.
Sehr neugierig war ich jetzt also auf den Besuch ihrer Mutter und zweier Schwestern, die sich für eine Woche angemeldet hatten.
DIE SCHOTTEN KOMMEN!
Und sie kamen, sahen, und…
putzten. Kaum die Koffer abgestellt, schon wurde der Lappen zur Hand genommen und erstmal gründlich die Fenster geputzt. Es folgten die Totalreinigung von Küche und Bad, dann war Tag 1 auch schon vorbei.
Der nächste Tag war Sonntag, doch dadurch ließ sich die schottische Putzinvasion nicht beeindrucken. Der Garten wurde von mehreren Tonnen Unkraut befreit, die Wäscheleinen repariert, die Gartenhütte aufgeräumt und gefegt.
So ungefähr jede Stunde wurde eine Teepause eingelegt, hier durfte ich mich kräftig betätigen. Der Tee ist den Schotten heilig. Tante C. zeigte mir ganz genau, was alles zu beachten war. Das fing schon an mit dem Wasserkocher. Kein Leitungswasser, sondern gekauftes Wasser aus der Flasche verwenden. Tante J. und Granny trinken „Extra stark“ mit Süßstoff und entrahmter Milch. Tante C. trinkt „Entkoffeiniert“ mit teilentrahmter Milch. Alle Tassen müssen zuerst mit heißem Wasser ausgeschwenkt werden, damit sie schon vorgewärmt sind. Die Teebeutel nicht länger als eine halbe Minute im Wasser lassen und dann kräftig mit dem Löffel am Tassenrand ausdrücken. Und niemals, niemals vergessen, dass der Begriff „Tee“ auch immer einen Snack einschließt. Bevorzugt süß. Dafür hatten die Tanten eine Online-Bestellung im Supermarkt gemacht. Tesco liefert die Einkäufe nach Hause. Und so bekamen wir auch mehrere Kisten geliefert, randvoll gefüllt mit Keksen, Kuchen und Schokolade. Die Sargnägel haben sich fast nicht mehr eingekriegt vor Freude. Die rannten sowieso mit einem Gesichtsausdruck durch die Gegend, der an Weihnachten erinnerte. So viel Aufmerksamkeit und Geschenke… Klein Sargnagel präsentierte mir stolz seine neuen Turnschuhe. Von wem er die denn bekommen hätte, wollte ich wissen. Seine Antwort: „Von den drei Grannys!“ Er kriegt das nicht so auf die Reihe mit den Verwandten. Tante, Oma, was für eine Rolle spielt das schon.
Am dritten Tag seit Ankunft hatten die Schotten immer noch nicht auch nur für eine Sekunde das Haus verlassen, geschweige denn den Staubwedel mal aus der Hand gelegt. Ich war echt ein wenig enttäuscht. Wenigstens in den Park um die Ecke könnte man doch zusammen gehen.
Außerdem war ich ständig aus der Flucht, denn immer wenn ich mich irgendwo niedergelassen hatte, musste dort natürlich geputzt werden. So bewegte ich mich tagsüber ziemlich rastlos und bemüht beschäftigt aussehend durch das Haus. Mummy war nicht aufzufinden. Sie hatte beim Anblick der Gartenarbeit ein spontanes Rückenleiden bekommen und versuchte wohl auch meine Rückzugstaktik. Die Sargnägel rannten und standen überall, und lauerten auf die Teepausen um Kuchen abzustauben.
Wenigstens beim Tee war ab und zu mal ein nettes Gespräch möglich. Granny und die Tanten haben jede Menge witziger Geschichten auf Lager, und ich liebe es, das Glaswegian zu hören.
„I spent hours, honestly!“ hört sich in etwa so an: „Ay spent örrs, onesleeh!“
Fazit, nette Leute die Schotten. Aber die Tatsache, dass sie nicht das Haus verlassen wollen, finde ich ganz schrecklich. Mir fällt tagsüber sofort die Decke auf den Kopf mit so vielen Leuten auf der kleinen Wohnfläche, so bin ich ganz froh, dass ich mich für diese Woche ausquartieren konnte und nicht auch noch die Nächte auf engstem Raum mit den Drinnis verbringe.
Heute ist Geburtstag von Tante J. Heute Abend wollten wir deswegen eigentlich in ein Restaurant nett essen gehen, aber jetzt fragt mich Mummy eben, ob ich nicht stattdessen was kochen könnte und wir bleiben „gemütlich Zuhause“. Seufz. Klar doch.
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