Donnerstag, 8. Mai 2014

Wildlife Rocks

"Woppadudel, Woppadudel, Woppadudel, Woppadudel..."
Dem stämmigen Elvis Imitator rollten dicke Schweißperlen über die Stirn, als er im 12-Takt-Blues über die Bühne schwofte und versuchte das Publikum mitzureißen. Doch die Gesichter der Anschauer blieben so steinern wie die Säulen der Kathedrale, an der seine Playback-Woppadudels abprallten.

Eine groteskte Situation in der riesigen Kirche aus rotem Backstein, die von ihrem Hügel die englische Countryside überblickt. Die Holzstühle unter dem hohen Gewölbe des marmornen Kirchenschiffs waren gut gefüllt mit Menschen allen Alters, die ausdruckslos einen falschen Elvis anstarrten, der ruckartige Stoßbewegungen mit seinem Pelvis vollführte und ein Medley nach dem anderen ins Mikrofon schmetterte.

Halbherzig versuchte er zwischen seinen Stücken wenigstens den Ansatz einer Reaktion vom Publikum zu bekommen. So wies er immer wieder nachdrücklich auf seine umfassenden Talente hin, vor allem seine Schauspiekarriere in einer englischen Krankenhausserie. In seiner Rolle spielte er sich selbst - einen Elvis Imitator. Und er verdiene doch bitte ein wenig mehr Aufmerksamkeit, schließlich waren schon einmal 25.000 Menschen auf dem Trafalgar Square zusammen gekommen nur um ihm, Elvis Schmelvis, zuzujubeln.

Elvis Schmelvis. Er tat mir leid. In seiner Haut (und Glitzerklamotten) hätte ich wirklich nicht stecken wollen, denn es lag auf der Hand warum die Kathedrale wirklich so gut gefüllt war. Niemand hatte Zeit zu "Viva Las Vegas" im Takt zu klatschen. Der Papst hätte in Kniestrümpfen einen Kazachok tanzen und dazu das Alphabet rülpsen können, und die Aufmerskamkeit hätte doch nur dem älteren Herrn mit den imposanten Locken gegolten, der sich hinter der Bühne verborgen hielt.

Dass ich Zeuge dieses Schauspiels wurde, hatte ich nur dem Zufall zu verdanken. Und meiner neuen Klofreundin von neulich. Als wir uns nämlich in den klebrigen Räumen der Pub Toilette kennengelernt hatten, fanden wir sehr schnell heraus, dass uns eine gemeinsame Leidenschaft verband: Queen.

Als sie letztes Jahr von Glasgow nach London gezogen war, hatte auch Kaeff (KF für Klo-Freundin) zunächst erst einmal Freddie Mercurys ehemaliges Wohnhaus besucht. Vor genau fünf Jahren habe ich mir diesen Wunsch selbst erfüllt.
Wir sprachen darüber, wie sehr uns einzelne Songtexte der Band bewegt und inspiriert haben, und fielen in eine emotionale Umarmung, genau dort, in der miefigen Toilette mit nassgetretenen Klopapierfetzen auf dem Boden. Warscheinlich machten die konsumierten Getränke die Situation noch viel ergreifender als sie eigentlich war. Jedenfalls gab ich Kaeff meine Telefonnummer und schlug vor, uns doch mal auf ein Kaeff-chen (haha) zu treffen. Vielleicht in einem ewas wohlriechenderem Etablissement? Sie stimmte begeistert zu.

Und irgendwann trudelte auch eine Textnachricht ein. "Hast du Lust Brian May zu treffen?" erschien da doch geradezu beiläufig auf meinem Screen.

Und ich so: "Waaaas?"

Und sie so: "Am Bank Holiday Montag. Bring etwas mit, das du von ihm unterschreiben lassen willst."

Und ich so: "Waaaas?"

Einige Waaaase später war ich so einigermaßen informiert: In und um die Kathedrale in Guildford würde ein Festival stattfinden um Spenden für den Schutz von Wildtieren und Waldgebieten zu sammeln. Da sich der schon fast 67-jährige ehemalige Queen-Gitarrist ganz besonders für Dachse und anderes heimisches Wildgetier einsetzt, würde er bei diesen Ereignis präsent sein.

Ein wenig skeptisch packte ich am Morgen mein "40 Jahre Queen" Buch in einen Rucksack, dazu vier Dosen Bier - schließlich war dies ein Festival - und zog los, um Kaeff in Waterloo zu treffen. Sie hatte noch ein paar Leute im Schlepptau, die sich als Mitglieder des offiziellen Queen Fanclubs vorstellten und von sich selbst als "Queenies" sprachen. Dies waren wahrlich fanatische Fans. Jemand war für das eintägige Spektakel extra aus Italien angereist, und jemand anderes aus Belfast.

"Denkt ihr wirklich, dass wir Brian May begegnen?" fragte ich während der Zugfahrt nach Guildford. Für die Queenies bestand daran nicht der geringste Zweifel.

Natürlich gilt ohne Fleiß kein Preis, und so kam es, dass wir für mehrere Stunden auf harten Holzstühlen in der kühlen Kathedrale ausharren und den Elvis Schmelvis über uns ergehen lassen mussten, der sich mit knirschenden Gelenken aus seinen Posen erhob. Kreisende Hüften duldet die Kirche, jedoch nicht den Konsum von ungeweihten Gerstengetränken aus der Dose. Die Biere im Rucksack zu meinen Füßen schienen verlockend, kamen aber nicht in Frage.

Es folgten verschiedene Ansprachen über Dachse, Igel, Füchse, Feldmäuse und Grottenolme, danach noch der Aufritt von Katrina and the Waves, die 1997 den Eurovision Song Contest gewonnen hatte und heute noch von diesem Erfolg zehrt. Sie hatte jedoch tontechnische Probleme, denn Elvis Schmelvis musste irgendwie die Lautsprecher gesprengt haben.

Und dann, endlich, betrat Brian May die Bühne.
Die Kirchenbesucher erwachten sofort aus ihrer Starre. Der Meister war da. Der Gott der Gitarre war erschienen. Ich kann mich ganz genau erinnern, was ich in diesem Moment gefühlt habe. Erst Unglaube, dann Ehrfurcht, dann Dankbarkeit. Ich war verwirrt, denn dies war wie eine Jesusbegegnung. Wie die Entdeckung einer Religion. Das Licht der Bühnenbeleuchtung schien durch Brians Haare und umrahmte sie wie ein Heiligenschein.
Diese Gedankengänge dauerten etwa zwei Sekunden. Und dann war auch ich auf den Beinen und jubelte und klatschte.

Brian sprach und spielte und sang. Für einen kurzen Moment fühlte ich mich in das Jahr vor meiner Geburt versetzt, und ich stellte mir vor im Wembley Stadion zu stehen, und Freddie würde jeden Moment auf der Bühne erscheinen.



Nach dem viel zu kurzen Auftritt konnte ich endlich an meine wohlverdienten Bierdosen. Noch ganz erfüllt von diesem Erlebnis wanderten wir durch das Festivalgelände und blieben an der Außenbühne stehen wo gerade Hawkwind auf der Bühne abrockten. "Schade, hat wohl nicht geklappt mit dem Autogramm", meinte Kaeff. Nach dem Auftritt hatte sich eine Traube von Menschen um Brian gebildet. Wir waren lieber nach draußen geflüchtet. Autogramm, ha, was wollte ich mehr? Brian May live auftreten zu sehen, nur ein paar Meter entfernt, dieses Ereignis würde ich nie wieder vergessen. Wozu bräuchte ich dazu noch ein Autogramm?

Gerade als ich antworten wollte, tauchte der irische Queenie vor uns auf. Die Augen weit aufgerissen. Wie in Zeitlupe sah ich seinen Mund die Buchstaben B-R-I-A-N formen, da hatte mich Kaeff auch schon am Arm gepackt und mitgezerrt. Ich verlor meine Bierdose und wusste noch gar nicht richtig wie mir geschah, als plötzlich die vertraute Haarmähne sichtbar war. Da saß er. Brian. An einem Tisch hinter einem Stand. Und er hatte einen schwarzen Filzstift in der Hand. Ich war die vierte Person in der Warteschlange, die sich nach hinten schlagartig verlängerte. Fahrig holte ich mein Buch aus dem Rucksack. Nun würde es also tatsächlich passieren. Ich würde auf armlangen Abstand mit einem Weltstar, mit einem der besten Gitarristen, einem der engsten Vertrauten meines Helden Freddie Mercurys kommen. Ich überlegte fieberhaft, was ich denn nur sagen konnte. In meinem Gehirn herrschte gähnende Leere. Meine Hände blätterten hektisch in diesem lächerlich riesigen Buch. Während ich das schreibe steigt mein Blutdruck schon wieder an, der Gedanke an diesen Panikmoment ist noch zu frisch.

Brian lachte freundlich, als er das Buch sah. "Das... hab ich zu meinem Geburtstag bekommen..." platzte aus mir heraus. Na super. Wie wär's mit einem einfachen Hallo, du Doofhirn? "Ich freue mich so sehr dich zu treffen!", presse ich noch raus. "Wann war denn dein Geburtstag?" fragte Brian. Diese Frage ergab überhaupt keinen Sinn für mich. Ich weiß nicht mehr, ob ich ihm das genaue Datum nennen konnte oder ob ich einfach "Am 44. März" oder etwas ähnliches stumpfsinniges antwortete. "Es würde mir sehr viel bedeuten, wenn du mir ein Autogramm in das Buch geben könntest" Juhu, ein normaler Satz. Nicht schlecht, Doofhirn. "Darf ich ein Foto machen?" Du aufdringliches Blödvieh!
Brian schien nichts von meinem inneren Monolog mitzukriegen. Er lächelte freundlich, setzte ein bildschönes Autogramm mitten ins Buch, in das Kapitel über sich (mit einem X für Kuss), ich knipste einmal, und dann passierte das Unfassbare: Er streckte seine Hand aus. Brian May wollte meine Hand schütteln. Panik! Wie geht sowas? Ich schaute meine rechte Hand an, sie war nicht leer. Mein Handy war darin. Das musste weg. Ich schmiss es auf den Boden. Meine Hand war frei. An den Handschüttel-Vorgang kann ich mich nicht erinnern, ich muss wohl für eine Sekunde weggetreten sein. Ich glaube ich habe noch ein paar Mal "Danke! Vielen Dank!" gesagt und zum Schluss noch "Machs gut", denn das Letzte das ich Brian sagen hörte war "Du auch"

Und dann war es vorbei, und die ganze Begegnung erscheint mir jetzt so unwirklich, und ich habe doch wahrhaftig mein Cool verloren und bin zur hirnlosen Dumpfbacke mutiert. Ob meine Hand wohl schwitzig war? Habe ich mich total blamiert? Reagiere ich über?

Den Rest des Tages habe ich die Arme um meinen Rucksack gewickelt. Nicht auszudenken, wenn ich diesen kostbaren Schatz verlieren würde. Ich hatte eine schauderhafte Vision wie ich spontan Feuer fangen und das Buch verbrennen würde und konnte mich erst wieder beruhigen als ich wieder Zuhause angekommen war.

Wer hätte so etwas erwartet. Vor auf den Tag genau fünf Jahren stand ich vor Freddies Haus und habe mir gewünscht, ich hätte nur einmal ein einziges Queen Konzert sehen können. Ich habe mein Alter verflucht und die Tatsache, dass ich zu spät gekommen bin.
Und jetzt habe ich so etwas Unerwartetes erlebt. Brian May, schlank und fit wie eh und je schüttelt meine Hand. Das ist etwas, das ich meinen Kindern und Kindeskindern erzählen kann, wenn ich wieder und wieder die alten CDs rauskrame und ihnen die Musik vorspiele, die garantiert niemals sterben wird. Ich war nicht zu spät. Ich bin immernoch eine Zeitzeugin dieser Ära von echter Musik. Und diese Woche habe ich sie sogar angefasst.





3 Kommentare:

  1. Das Bild ist ja klasse! Schön, dass das Treffen für dich so erfolgreich war! :D

    Ich bin nicht so der Fan wie du, aber dass ich Queen nicht mehr live erleben konnte und ich grade mal fünf war, als Freddie Mercury starb, hach, das macht mich doch auch des öfteren traurig. :/

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  2. Woo-hoo! Ganz großes Kino! Freut mich für Dich!

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  3. Bei mir ist gerade der Blutdruck gestiegen! So toll geschrieben und was! für! ein! Erlebnis!!! Wahnsinn! Ich fühle mit dir!
    LG Dani

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