Der nächste Schritt im fortgeschrittenen Spießerstadium ist natürlich der Erwerb eines Eigenheims.
Schaffen, schaffen, Häusle bauen ist ein Slogan dem man im Schwabenländle schon immer große Bedeutung gegeben hatte, und zusammen mit der ersten Rassel bekommt man auch den Bausparvertrag in die Wiege gelegt.
Ich persönlich finde Mieten sehr angenehm. Sobald etwas schief geht, Vermieter anrufen und in Ordnung bringen lassen. Nur Dank des Mietens können wir uns die Wohnung unter dem Dach leisten, die nach englischem Standard gemessen gerade zu luxuriös ist. Die Vermieter lassen uns in Ruhe, sind aber trotzdem abrufbereit wenn die Waschmaschine kaputt geht, der Boiler komische Geräusche macht und die Haustür mal wieder gestrichen werden könnte.
"Totes Geld!" mahnt jedoch ein jeder, der sich nach unserer Wohnsituation erkundigt, und tätschelt stolz sein eigenes mikroskopisch kleines Haus, neben dem sogar der Urlaubs-Schuhkarton vom Gawjus Vater wie ein Palast wirkt. Häuser sind verdammt teuer. Oder wenn sie nicht teuer sind, dann haben sie keine Fenster, undichte Dächer, und man hätte mehr davon in einem Baum zu leben als in den sogenannten eigenen vier Wänden.
Von der Idee eines freistehenden Hauses im Grünen mit Garten und keinen allzu direkten Nachbarn habe ich mich im vollgestopften Londoner Vorstadtring schon verabschiedet. Viel zu viele Menschen leben hier. Auf jedem noch verfügbaren Platz werden Wohnblöcke mit Wohnungen in der Größe von Gefängniszellen gebaut, die sich verkaufen wie warme Semmeln. Menschen leben dicht an dicht an dicht, und keiner scheint sich wirklich daran zu stören. Ist ja LONDON. Die Stadt kriecht immer näher und sogar in unserem malerischen Örtchen haben die Abrissbirnen Einzug gehalten, reißen alles nieder, das als Platzverschwendung eingestuft wird, bauen fünfstöckige Betonkisten in dem achtundvierzig Familien wie in einer Legebatterie leben können, geben dem Ortskern schicke neue Namen, Straßen und Geschäfte, und lassen die Renten und Hauspreise nach oben schnalzen wie mit einem Gummiband.
In den letzten zwei Jahren hat sich hier so viel getan. Sogar unser Vermieter ist auf den Zug aufgesprungen und hat die einst so erschwingliche Miete erhöht. Jetzt haben wir doch das Gefühl, "totes Geld" zu bezahlen. Vielleicht wird es doch Zeit für etwas eigenes. Aber nach oberflächlicher Durchsicht der Immobilienseiten wird schnell klar, der Gawjus und ich können uns offiziell nicht mehr leisten hier zu wohnen. Wenn wir nicht gerade in eine Legebatterie ziehen wollen, jedoch kommt das nicht in die Tüte.
Wir haben beschlossen, etwas weiter von London weg zu ziehen. Irgendwohin wo man wieder frei atmen kann, wo man vielleicht einmal fünf Minuten durch die Natur laufen kann ohne jemandem zu begegnen, und wo es eine gute Zuganbindung gibt um immer noch in der großen Stadt arbeiten zu können, aber abends wieder in die Ruhe und Beschaulichkeit zu entflüchten.
Nach einem Gespräch mit einem Berater haben wir ausgerechnet, dass wir grünes Licht haben, die erste Sprosse der Immobilienleiter zu erklimmen. Die Bank ist bereit, uns eine Mortgage zu geben. Sozusagen eine Hypothek, mit der wir uns ein Eigenheim anschaffen können, und dann über die nächsten 30 Jahre abbezahlen.
Die Suche nach einem passenden Haus ist aufregend. Wir durchforsten die gängigen Internetseiten, treffen unsere Auswahlkritieren, setzen das Preislimit fest und drücken die Suchtaste, die das Tor zu einer neuen, unbekannten Welt öffnet. Auf den ersten Blick erscheint alles so passend und hübsch und guck mal, ein riesiger Garten, und der tolle Kamin, und so vereinbaren wir auch schon die ersten Besichtigungstermine.
Wir würden schnell lernen. Vor allem, dass nichts so ist wie es scheint. Immobilienmakler verwenden Weitwinkelobjektive, Selfie-Sticks und tricksen geschickt mit dem Licht um alles wunderschön und riesig aussehen zu lassen. Die ersten beiden Häuser haben die Grundfläche eines VW Transporters. So fühlt es sich jedenfalls an. Kein Vergleich zur "großzügigen, sonnendurchfluteten Wohnküche", die im Internet angepriesen wurde. Bei manchen ist Tag des offenen Hauses und zusammen mit uns quetschen sich weitere zwanzig Menschen durch die Korridore und Zimmerchen, alle sich krampfhaft ignorierend, denn Immobilienkauf erfordert absolute Undurchsichtigkeit.
Nach drei, vier dieser eher enttäuschenden Besichtigungen haben wir jedoch eine Menge dazu gelernt. Wir studieren Grundrisse, befragen Google Maps, und setzen ein paar neue Kritieren (Garage mit Einfahrt), und gehen die Sache etwas langsamer an.
Und dann kommt der Tag, an dem wir tatsächlich ein Angebot machen.
Das Haus ist nichts besonderes. Nicht viktorianisch gemauert mit Holzeinfassungen, das mir so insgeheim vorschwebt, nein, überhaupt nichts schönes an diesem Klötzchen. Die Fassade ist sandfarben und hat einen Belag, der etwas wie Kies aussieht. Der fachliche Begriff dafür ist mir nicht bekannt.
Es hat jedoch drei Schlafzimmer in akzeptabler Größe (was haben wir für Besenkammern gesehen...), einen gläsernen Ausbau nach hinten, einen pflegeleichten Garten mit Teich, Garage, und hinter dem Haus befindet sich ein Friedhof, der sich durch die ganze Länge der Straße zieht. Vom Schlafzimmerfenster hat man Aussicht auf alte Grabsteine.
Was wohl für andere gruselig wirken könnte bedeutet für mich eines: Die stillsten Nachbarn, die man sich vorstellen kann.
Das Haus ist perfekt. Alles scheint intakt, keine Risse, keine Löcher, die einzige Arbeit wäre neue Bodenbeläge und ein Klecks Farbe, scheint das Interior doch noch aus den Achzigern zu stamen. Der Gawjus und ich grinsen wie blöd, als wir wieder im Auto sitzen und rufen noch auf der Fahrt nach Hause bei den Maklern an um unser Angebot zu unterbreiten.
Ich muss hier mit Zahlen reden, ansonsten wird der nächste Teil der Geschichte nicht ganz einfach zu verstehen.
Das Haus war ausgeschrieben mit 295.000 Pfund. Ein stolzer Preis. Und natürlich sind wir totale Immobilien-Anfänger, aber wir wissen, dass man erstmal sehr viel weniger anbietet. Deswegen bezog sich unser Angebot auf 275.
Am nächsten Tag rief die Maklerin an, fröhliche Säuselstimme, wie sie alle haben, und meinte wir sind etwas niedrig, könnten wir vielleicht mehr anbieten? Kurze Beratschlagung mit Gawjus, und wir beschließen auf 278 zu erhöhen. Die Säuselstimme klingt überglücklich und verspricht, mich nach dem Wochenende zurückzurufen.
Plötzlich bekommen wir Zweifel. Ein nagendes Gefühl macht sich breit. Wir sind Anfänger. Haben wir das richtig angepackt? Ist das Haus wirklich so viel Geld wert?
Wir fangen an zu recherchieren. Das Internet zeigt sich sehr gnädig, und wir bekommen mit ein paar Mausklicks heraus, zu welchem Preis sich andere Häuser in der Nachbarschaft verkauften. Die Häuser sehen in der ganzen Straße gleich aus. Und sofort finden wir eines in unmittelbarer Nähe, das sogar noch ein Schlafzimmer mehr hat, und einen größeren Garten, und einen Ausbau. Der Verkaufspreis vor einem halben Jahr war deutlich unter unserem Angebot. Auch ein paar andere Verkäufe in den letzten zwei Jahren wurden sehr viel niedriger abgewickelt als unser Angebot.
Wir haben zu viel geboten. Die Erkenntnis trifft uns ganz eindeutig. Ich beschließe sofort am Montag anzurufen und unser Angebot zurückzuziehen, oder zumindest zu verniedrigen.
Leider kommt mir Säuselstimme zuvor. Als ich ans Telefon gehe ist sie außer sich vor Freude mir zu verkünden zu können, dass unser Angebot akzeptiert wurde.
Es ist mir etwas peinlich, aber ruhig erkläre ich ihr, dass wir die Sache noch einmal überdacht haben, und nach etwas Recherche festgestellt haben, dass das Haus nicht so viel wert sein kann.
Die Säuselstimme hört sich überhaupt nicht mehr säuselig an. "Fine" sagt sie. Aber "fine" bedeutet im Englischen mit der richtigen Betonung normalerweise alles andere als "fine"
Zwei Minuten ruft sie wieder an. Was wir denn denken, was das Haus wert sei? 255 schlage ich vor. "Fine" sagt sie wieder etwas säuseliger. Sie wird sich die Sache ansehen und mich wieder anrufen.
Am selben Abend klicke ich vor dem Schlafengehen noch einmal auf meine super tolle Immobilien App, die mir immer schön auflistet, was denn gerade so auf dem Markt unseren Kriterien entspricht. Und da fallen mir fast die Augen aus dem Kopf, als plötzlich "unser" Haus als erster Treffer auftaucht mit der fetten Aufschrift "Preisreduziert", und 265.000 als Verkaufspreis. Na so was.
Der Gawjus und ich haben nun endgültig kalte Füße bekommen. Das Haus stammt aus einer Erbschaft, und Rechtsanwälte sind involviert. Anwälte und Makler sind sicher gleichermaßen daran interessiert, so viel wie möglich Profit für sich selbst herauszuschlagen und sind bestimmt sehr gut darin uns blutige Anfänger auszupressen wie so Zitronen. Ich habe Angst um mein Geld.
Wir werden das Angebot nicht erhöhen. Falls sich kein Käufer findet, und die Makler sich mit 255 zufrieden geben, dann werden wir noch einmal darüber nachdenken. Aber momentan warten wir lieber ab und sehen was passiert. Das Haus ist perfekt, sagt der Kopf. Aber ist es auch das Haus für's Herz?
Wir haben es nicht eilig, deswegen lehnen wir uns jetzt erst einmal gemütlich zurück, klicken durch die Immobilien-App und nutzen unsere neu erworbene Erfahrung für das nächste Angebot.
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