Sonntag, 7. Juni 2009

Mieser Ohrwurm

Vielen Dank an den Freak bei der Open Mic Night, der mir den Song ins Hirn tätowiert hat.

Give me a London girl everytime,
I've gotta find one I've made up my mind
Give me a London girl everytime,
I want a London girl


Achtung, Youtube-Link öffnen auf eigene Gefahr. Es gibt hier also auch Sauflieder.

Tag 46 - Miss Understood

Oh Lord, please don’t let me be misunderstood!

Zugegeben, ich dachte früher ernsthaft, The Animals würden davon singen, dass ein trauriger Schwuler auf keinen Fall Miss Understood sein will. Und ich hatte vor dem geistigen Auge immer einen halbgeschminkten Typen im Transvestiten-Club, der mit verschränkten Armen vor seinem Miss Understood-Kostüm steht und schmollt.

So viel dazu.

Wo verschiedene Kulturen aufeinander treffen, bleiben natürlich auch die Missverständnisse nicht aus.

Das Hände schütteln ist in Großbritannien nicht so sehr verbreitet wie in Deutschland, denke ich. Gut, so ist es jedenfalls hygienischer, aber manchmal irritiert es einfach, weil ich nicht weiß was ich machen soll, wenn ich jemandem vorgestellt werde. Ich hab mich jetzt mit mir selbst auf ein winkend die Hand heben geeinigt, kombiniert mit einem langgezogenen „Hiiii, nice to meet you!“ oder „Hiiii, how are you?“ und riesigem Grinsen und fahre ganz gut damit.

So hab ich das auch gemacht, als ich den Vater der Kinder zum ersten Mal traf. Er holt sie jedes zweite Wochenende ab. Es ist dann meine Aufgabe, die Übergabe an der Tür abzuwickeln, neueste Infos weiterzugeben, schaufelweise Spielzeug in sein Auto zu karren und auf keinen Fall die Tasche mit den Wechselklamotten vergessen.

Daddy ist eine ziemlich elegante Erscheinung. Dickes Auto, feiner Anzug, und busy, busy, busy. Alles sollte Recht zügig gehen, denn er hat es immer eilig.

So an diesem einen Wochenende vor drei Wochen. Ich öffnete die Tür, nachdem Daddy (mangels Klingel) den Briefkastendeckel klappern ließ, und war gedanklich noch bei den Schuhen der Kinder. So war das Erste, was ich von Daddy wahr nahm, eine ausgestreckte Hand. Gewohnheitsmäßig hab ich danach gegriffen, er hat sie weggezogen, ich hab aber noch mal nachgeschnappt, sie gepackt und typisch Deutsch erstmal ausgiebig geschüttelt, während ich mich nach seinem Befinden erkundigte.

Der Blick war Gold wert.

Eigentlich, das wurde mir im Moment des Schüttelns erst so richtig bewusst, wollte er nur nach der Tasche mit den Klamotten greifen und hatte nicht die geringste Absicht hier aus heiterem Himmel eine formvollendete Begrüßung stattfinden zu lassen.

Egal, ich hab mein Programm souverän durchgezogen. Seitdem hält er ein wenig Abstand, wenn ich die Tür öffne.

Etwas weniger spektakulär, aber trotzdem lustig, war das Missverständnis bei Nero Caffé, wo ich mir meinen schulmorgendlichen Coffee Americano hole. Vorab muss ich kurz erwähnt haben, dass mir schon in Deutschland die Frage nach der Kundenkarte mächtig auf die Nerven geht. Nein, ich habe verdammt noch mal kein Interesse daran, mein Konsumverhalten ausspionieren zu lassen. Und Schande über die Kundenkartenbesitzer, ihr tut jemandem mächtig einen Gefallen.

Hier erscheint mir das ganze noch mal doppelt so schlimm. Man wird wirklich überall danach gefragt. Überall. Nerv.

Ganz süß finde ich dagegen diese kleinen Stempelkärtchen, auf die man pro Konsum ganz unregistriert ein Stempelchen kriegt, und bei fünf oder zehn Stempeln mit einem Gratiskaffee, Freikeks, Umsonstmuffin oder Werbekugelschreiber belohnt wird. Allerdings artet das dann doch ein wenig aus, weil man diese Kärtchen auch überall bekommt und komplett den Überblick wie auch den Platz im Geldbeutel verliert. Ich hab meine Kärtchen jetzt auf Nero Caffé und Millie’s Cookies beschränkt, bei denen ich wirklich regelmäßig Kunde bin und nur zu gerne meine Belohnung einlöse.

Allerdings wird man gewöhnlich nicht nach den Kärtchen gefragt, sondern man muss selbst daran denken, sich einen Stempel zu holen. Ist ja klar, verschenkt wird nicht gerne.

Komplett überfordert war ich eines Tages bei Nero, bevor ich in Besitz meines ersten Stempelkärtchens war.

„Lloyd Card?“ So die Frage der Kassiererin.

Äh. Ja. Umständlich und ein wenig irritiert hab ich meine Lloyd Card aus dem Geldbeutel gekramt. Meine Bankkarte. Soll ich das Käffchen mit Karte zahlen?

„Soll ich das jetzt wirklich mit Karte zahlen?“ Der Betrag von einem Pfund Nochwas erschien mir dann doch ein wenig winzig.

Genau so irritiert die Dame hinter dem Tresen.

„Können Sie nicht bar zahlen?“

Kopfschüttelnd hab ich meine Lloyd Card wieder eingepackt. Ich wollte doch die ganze Zeit in bar zahlen, bis sie mich daran gehindert hat. Was war das jetzt für eine Aktion?

Erst in der darauffolgenden Woche, sollte mir der Begriff „Loyalty Card“ etwas sagen. Seither hat mich aber niemand mehr danach gefragt.

So, nachdem das jetzt aber eher leicht zu vergessene Faux Pas waren, hier doch noch zum Missverständnis, das mir Anlass zu dieser Mail gegeben hat und noch eine Weile nachgehen wird:

Extrem peinlich ist mir diese Nachbar-Geschichte. Aus der letzten Mail erinnere man sich, dass mir der Nachbar nicht ganz geheuer ist.

Wir waren zusammen auf dem Spielplatz. Er mit seiner Tochter, ich mit meinen beiden Terrorgnomen. Während die Kinder miteinander spielten, betrieben wir Konversation. Smalltalk. Sein Southeast Dialekt ist höllenmäßig, ich muss immer ganz genau hinhören.

Jedenfalls fragte ich ihn irgendwann, was er denn beruflich mache.

„I teach“, so seine Antwort. „I teach to talk with death people.“ Er unterrichtet, wie man mit Toten sprechen kann. Aha.

Ich hab das volle Programm an Mimik aufgefahren, Augenbrauen fragend hochziehen, Mund aufgeklappt und mit sehr zweifelndem Tonfall noch mal nachgefragt:

„You can talk with death people??“

Seine Antwort sehr selbstsicher:

“Yes of course.”

„Eohw.“ Ich hab es wie eine Mischung aus AHA und IGITT klingen lassen, als Signal, dass das Thema für mich hier jetzt erledigt ist und ich keine Details darüber wissen will, weil ich das doch etwas zweifelhaft finde.

Der Rest des Nachmittags war dann doch ein wenig schweigsamer, weil ich ständig darüber nachdenken musste, was einen erwachsenen Mann dazu bringt, Geister zu beschwören. Oder wie ich mir das sonst vorstellen konnte.

Abends hab ich meiner Hostmum ganz schonend beigebracht, was ich an diesem Tag über ihren Nachbarn in Erfahrung bringen konnte.

„Yes, I know“, so ihre ungerührte Antwort.

Ob das hier wohl normal ist, mal kurz abends die verstorbene Urgroßmutter anzurufen? Irgendwie wollte mir das nicht in den Kopf gehen.

Einen Tag später dachte ich immer noch daran. Ob Jeff wohl gerade mit seinem Witchboard am Wohnzimmertisch saß und Gläser rückte? In einem Meer von Kerzen?

Noch einen Tag später hab ich abends immer wieder mal das Ohr an die Wand gelegt und rübergelauscht, ob ich irgendwelche Beschwörungsformeln hören kann. Ob er das wohl jeden Tag übte, oder im College dafür extra einen Geisterraum einrichten ließ?

Gestern Abend konnte ich es dann nicht mehr aushalten. Ich hab in einer ruhigen Minute meine Hostmum noch mal angesprochen, dass mir das nicht aus dem Sinn geht und ob sie nicht Näheres darüber weiß.

Ich könne ihn doch selbst fragen, meinte sie ganz irritiert. Was sei so seltsam daran? Es sei doch eine interessante Sache.

„HE’S TALKING WITH DEATH PEOPLE!“, hab ich irgendwann total verzweifelt gerufen. Mann, bin ich so spießig, dass ich das merkwürdig finde?

Zwei Sekunden später lag sie schreiend vor Lachen unter dem Tisch.

„He teaches talking with DEAF people!!!“, meinte sie, als sie wieder Luft bekam. DEAF!! Er unterrichtet Gebärdensprache für TAUBE Menschen, nicht für TOTE Menschen. Und hat sich extra Mühe gegeben, mir das so einfach wie möglich zu erläutern.

Englisch ist doch Scheiße. Manchmal.

Und Jeff denkt jetzt sicher, ich hab was gegen Taube.