Samstag, 30. März 2013

27 Dresses

Ich hatte den Fummel schon auf Nimmerwiedersehen in eine Ecke der Wäschekammer geschleudert, wo schon drei schwarze Müllsäcke stehen, die auf Abschiebung in den Altkleidercontainer warten.
Am Abend der Hochzeit klingelte plötzlich mein Telefon. "Ich hab übrigens deinen Schal!" zwitscherte eine Brautjungfernkollegin. Schal?
Anscheinend hatte die Braut bei der Hochzeitprobe - die ich urlaubsbedingt verpasst hatte - an alle Brautjungfern weiße Chiffontücher verteilt, mit denen in der Kirche Schultern und Dekolleté bedeckt werden sollte. Wahrscheinlich hatte sie schon eine leise Ahnung, dass das Kleid an manchen unmöglich aussehen würde. Die Brautjungfernkollegin versicherte mir auch noch, dass das lila Kleid an ihrem eher flachbestückten Oberkörper herumschlotterte wie die Haut an einem gekochten Hühnerbein. Sie würde sich nach Kirche und offiziellem Foto gleich umziehen.
Das war die Idee! Auf diese Weise könnte ich das Kleid dann doch für eine Stunde anziehen, mich schön mit dem Schal verhüllen, und danach ordentliche Klamotten anziehen.

27 Presswürste und Hühnerbeine versammelten sich am Tag der Hochzeit auf dem Kirchenparkplatz. Ich wusste nicht, dass es so viele Brautjungfern sein würden. Jede zupfte und zog am lila Stoff und versuchte so viel Haut wie möglich unter den weißen Schal zu bekommen. Vielleicht lag es am Schneesturm, aber so richtig wohl schien sich niemand zu fühlen. Kleider schleiften am Boden, ich hielt meines hoch bis zu den Knien und entblößte meine weinroten Schuhe, die ich schon in Vorbereitung für mein anderes Kleid angezogen hatte. Die Farbe biss sich mächtig mit dem Lila.
Etwas verwüstet liefen wir in der Kirche ein und besetzten die zwei ersten Reihen komplett. So viele Brautjungfern hatte noch nie jemand gesehen. Den Ministranten klappte die Kinnlade runter, beim Anblick so vieler gequetschten Brüste.
Es folgte die Zeremonie und sehr viel genestle mit Chiffon und billigem Chinesenstoff.


Danach die Fotos. In der Kirche, vor der Kirche, auf der Treppe, im Schneesturm, und endlich bekamen wir unsere Mäntel zurück. Alles schön abdecken und ab ins Lokal, wo die Feier stattfinden sollte.
Das Hotel war wirklich schön. Im alten Landhausstil eingerichtet, in jedem Raum gab es ein gemütliches Kaminfeuer, das wundervoll nach kaltem Wintertag duftete.
Aber auch hier wieder, SCHWEINSKRAM. Und daneben das Kruzifix, hihi.


Ich zog mich erst einmal um. Nichts wie weg mit dem Fummel. Danach erstand ich eine Flasche Wein und die Party konnte losgehen. Ich war übrigens sehr gespannt auf das Essen. 25 Pfund hatten wir pro Person dafür bezahlt, und ich hatte damit gerechnet, dass man vielleicht von einem Set-Menü wählen konnte. Dies war aber nicht der Fall. Die Vorspeise wurde serviert. Gebackener Camenbert, oh nee, mit Käse kann man mich jagen. Verschwand gleich im Magen vom Gawjus.
Hauptspeise war ein paar dünne Scheiben Rindfleisch mit Kartoffeln, Broccoli und einem Yorkshire Pudding. Ganz okay. Aber dann der Nachtisch war mein klarer Favorit - Ein riesiger, warmer Schokobrownie mit Vanilleeis. Oh yes, definitiv sein Geld wert. Ich kaufte mehr Wein und die Feier wurde immer lustiger. Es gab Tanz und Gesang, und irgendwann war ich total knülle und pleite, und der Gawjus brachte mich nach Hause. Schön war's.

Ein paar Tage später bekam ich die Nachricht, dass es Tantchens Hochzeit mit den 27 Presswürsten und Hühnerbeinen auf die Titelseite der Lokalnachrichten gemacht hatte. WAAAAAAS? Tatsächlich!


Und irgendwie scheint die Geschichte jetzt das Interesse der Nationalen geweckt zu haben - nicht so sehr wegen den Brautjungfern, sondern eher wegen dem Namen der Braut. Wenn sie sich für einen Doppelnamen entschieden hätte, dann würde sie jetzt nämlich "pulling your leg" heißen, was so viel bedeutet wie "veräppeln" oder "auf die Schippe nehmen". Hachja, englischer Wortwitz. Aber die Medien springen drauf an.


Ich bin übrigens sichtbar in der zweiten Reihe von hinten auf der linken Seite. Hihihihi, der lila Fummel war doch zu etwas nütze. Ich bin zum ersten Mal in meinem Leben in der Zeitung! Der Gawjus kriegt sich gar nicht mehr ein über das Happy End, das mein lila Drama jetzt doch noch genommen hat.

Samstag, 23. März 2013

Eine Frage der Perspektive

Als ich kürzlich die 360 Grad Aussicht vom Shard faszinierend fand, da kannte ich das Panoramafoto vom BT Tower noch nicht, das anlässlich der Olympischen Spiele produziert wurde.
Auch hier hat man wunderbare 360 Grad Aussicht auf London - aber mit einem kleinen Unterschied:
Man kann ranzoomen. Und zwar kann man so verteufelt nah zoomen, dass es schon an der Grenze zur Legalität liegen muss. Spannen vom Feinsten. Was haben denn die Bauarbeiter so auf ihren Pausenbroten? Zoom. Was machen die Leute denn in diesem Gebäude so? Zoom. Warum steht im Park jemand in einem gelben Vogelkostüm? Und ooooch, da hüpft ein Eichhörnchen durchs Gras.

Wahnsinn! Einfach nur Wahnsinn! Ich bin süchtig und kann gar nicht mehr damit aufhören in alle Himmelsrichtungen zu zoomen und Sachen zu entdecken.

Kleiner Ausflug nach London gefällig? Hier ist der LINK

Freitag, 22. März 2013

Der Fummel

Hach, Hochzeitseinladungen! Kostenlos trinken, tanzen und das Büffet leer essen. Braut und Bräutigam gratulieren, ein kleines Geschenk überreichen, und sich den ganzen Abend bei noch mehr Getränken und Tanz köstlich unterhalten lassen. Hochzeiten sind supi!
Dachte ich.

Jetzt ist es mal wieder so weit. Eine der alle paar Jahre wiederkehrenden Heiratswellen hat eingesetzt, und die Einladungen flattern ins Haus wie Harry Potters Eulenpost.

Und langsam werden die Hochzeiten immer kostspieliger. Kostenloses Büffet hat kaum jemand mehr. Getränke an der Bar müssen bezahlt werden, dazu kommen Übernachtungskosten und Anreise. Betriebsurlaub muss eingereicht werden, der Edelstahltoaster eingekauft, noch was schickes zum Anziehen, damit man im Fünf-Sterne Gutshaus auf dem Lande so angebracht wie möglich unter dem riesigen Kronleuchter am überteuerten Sektglas nippen kann.
Was ist mit den Hochzeiten heutzutage los?

Richtig teuer wird es, wenn man das glückliche Paar näher kennt. Dann wird man nämlich noch zu Jungesellenabschieden eingeladen, die sich gerne mal über drei Tage bis zu einer Woche ziehen - bevorzugt im Ausland.

Und jetzt wurde ich von Tante Gawjus gefragt, ob ich denn gerne eine Bridesmaid sein wollte. Schluck! Brautjungern. Das sind doch die Mädels, die auf Hochzeiten genau dieselben affigen Kleider tragen und sich verkatert am Altar festhalten. Ich habe noch nie den Sinn davon verstanden.
Aber ich habe trotzdem Ja gesagt. Tante Gawjus war schon einmal verheiratet und würde ja beim zweiten Mal bestimmt nicht so viele Traditionen einhalten.
Schon ein paar Tage später schickte mir die Tante einen Ebay-Link zu meinem Kleid. Ich dachte nur "Bitte sei nicht pink, bitte sei nicht pink" und klickte beim Anblick des dunklen Violetts vor Erleichterung gleich auf Sofortkauf. Hätte schlimmer kommen können. Der Preis überraschte mich. Nur zwanzig Ocken? Dafür wurde das gute Stück aus China eingeflogen. Das wurde bestimmt von Polyesterspinnerraupen im Akkord angefertigt.

Noch ein paar Tage später war es da. Lila und lang und trägerlos. Hinten klaffte es weit auseinander. Ein langes Band war noch beigelegt. Ich dachte mir schon, dass dies irgendwie durch die Laschen auf der Rückseite gezogen werden musste. Das würde ich ja nie im Leben selbst... "Gaaaaaawjuuuuuus!" brüllte ich. Der Guteste half mir ins Kleid.
Bestandsaufnahme: Zu lang. Zu ärmellos. Zu wenig Platz für meine Möpse. Es sah Scheiße aus, aber richtig.

Änderungsschneiderei. Zwei Schneiderinnen schälten mich wieder in mein Alptraumkleid. "Oooh, aaaah, so schööön!" hauchten sie automatisch. Ha. Ha.
Ich äußerte meine Wünsche: Kürzen, ein paar Träger, mehr Platz für Möpse.

Tante Gawjus hatte mittlerweile Schecks eingesammelt für das Hochzeitsessen. Fünfunzwazig pro Person. Die Hochzeitsprobe hatte ich verpasst, wegen Urlaub. Den Jungesellinnenabschied auch (eine Woche Türkei). Ich musste die schlechteste Brautjungfer der Welt sein.

Ich holte aber zwei Tage vor der Hochzeit das Kleid wieder ab.

Und aus dem hier


hatten die Damen Scheiderinnen dies hier gemacht:



Und das war es. Ein paar Häschenohren für mein Kleid. Fünfundfünfzig Quid. Mittlerweile war aus meinem Zwanzig Pfund Brautjungferkleid ein 75 Pfund teurer Fummel geworden. Mit Häschenohren.
"Ja, und die Länge? Wurde das überhaupt gekürzt?" fragte ich entsetzt.
"Trägst du ja hohe Schuhe" lachte die osteuropäische Schneiderin und bleckte große Zähne. "Haben wir ein Zentimeter abgeschnippst"
"Und die hier?" Ich fummelte an den Funkelsteinchen herum. Wie soll ich da meine Möpse reinkriegen? "Da sind ja Polster drin?"
"Könne wir rausmache" sagte die andere Schneiderin. "In eine Woch fertig!"


Ich habe keine Woche mehr. Deswegen nahm ich das Kleid mit nach Hause. Gaaaaawjuuuuus!
Es war immernoch ziemlich schlimm. Es sah aus, als hätte ich in meinem Dekolleté zwei überdimensionale, aufgeblasene Pupskissen versteckt.
Diese verdammten Polster mussten weg! Das wäre die einzige Chance dieses Kleid wenigstens ansatzweise passend zu machen.
Schwere Zeiten erfordern drastische Maßnahmen.


Ganz vorsichtig machte ich mich an der ersten Naht zu schaffen. Das Scherenblatt stellte sich als zu dick heraus, deswegen holte ich das gute Filet-Messer aus der Schublade. Fädchen für Fädchen löste ich aus der Naht. Als ich gute zehn Zentimeter geschafft hatte, fiel mir darunter noch eine Naht auf. Und darunter noch eine. Die chinesischen Polyesterspinnerraupen hatten ziemlich gute Arbeit geleistet. Irgendwie kam ich nicht weiter. Wo war dieses bescheuerte Polster?

Fünf Minuten später setzte ich in der Mitte des Materials zum pathologischen Y-Schnitt an. Keine Rücksicht mehr auf Nähte, der Patient war sowieso schon tot.
Ich hätte Chirurgin werden sollen, denn gekonnt bekam ich das erste Polster zu greifen und entfernte es zielsicher mit einem kleinen Knacklaut aus der Hülle. Lief doch supi!
Brust Nummer zwei. Ich sparte mir den Umweg über die Naht und machte gleich meinen sauberen Schnitt durch zwei Lagen. Auch hier brachte ich ein gesundes Polster zur Welt.
Noch zwei längliche Plastikstützen musste ich herauspulen wie so zwei Nachgeburten und dann war das Kleid fertig.

 Gaaaawjuuus!! Zum dritten Mal pfriemelte er das Band durch die Laschen.

Das Kleid sah nicht mehr ganz so Kacke aus. Aber trotzdem... "Wie findest du es?" fragte ich den Gawjus, der automatisch mit "Guuut" antwortete. Aber nee, so nicht, mein Gutester. Ich bohrte so lange und stellte Fangfragen, bis er mit der Wahrheit herausrückte: Ich sehe aus wie eine Presswurst.
Endlich! Irgendwie fiel mir ein Stein vom Herzen. Meine Möpse werden am Samstag nicht wie Pupskissen aussehen und ich werde mich auch nicht der Länge nach hinlegen, weil das Kleid zu lang ist, und die Häschenohren muss ich mir auch nicht umschnallen. Und das Beste: die Y-Schnitte muss ich auch nicht mehr zunähen, weil in diesem Jahrhundert werde ich das Kleid ganz bestimmt nicht tragen.

Tut mir nur leid um das Geld. Jetzt werde ich es entweder in einem Charity-Shop abgeben... oder wenn es von Euch irgendjemand möchte... ich schick's. (Fortgeschrittene Nähkenntnisse empfehlenswert wegen unsachgemäßem Herumgeschnippel mit Filetmesser). Die Polster und Nachgeburten kommen auch mit.

Und Tante Gawjus? Die ist schon okay. Sie hat ja noch andere Brautjungfern.

Sonntag, 10. März 2013

Reif für die Insel

Auch als Inselbewohner fühlt man sich manchmal reif für die Insel. Wir hatten nicht sehr viel Sommer in 2012, unser letzter Urlaub in Cornwall fiel buchstäblich ins Wasser, und auch in 2013 hat es bisher selten mal aufgehört zu regnen oder schneien oder einfach nur grau und garstig zu sein.
Ein Urlaub in der Sonne muss her, aber schleunigst.
Wir wollten nicht zu weit weg, es sollte nicht zu teuer sein, aber trotzdem mit Warmwetter-Garantie. Unsere Wahl fiel auf die kanarischen Inseln. Aber welche? Teneriffa mit den Socken-in-Sandalen-tragenden TUI All-Inclusive Touristen, die den ganzen Tag ihre fetten, sonnenverbrannten Bierbäuche in die Sonnenliegen drücken und "Schackeline, nich wieder in den Puhl kacken, nä!" zetern? Gran Canaria? Fuerteventura? Wir waren uns einig, dass wir garantiert keinen Massentourismus und keine kotzenden Teenager in unserem wohlverdienten Erholungsurlaub wollten.
Wir gingen Insel für Insel durch, bis wir auf den Sandhaufen namens La Gomera stießen. "Die Insel, die der Massentourismus vergaß", stand da bei Wikipedia. Und: "Insel des ewigen Frühlings". Sehr verlockend. Ruhig und warm.

Im Reisebüro äußerten wir unser Wunschziel. "Oje, da geht nie jemand hin!" seufzte die Dame hinter dem Schalter und klickte durch ihr Programm. Sie fand kein einziges Angebot.
Okay, dann würden wir eben selbst buchen. Wir hatten uns Valle Gran Rey als Urlaubsziel ausgesucht, ein kleines Tal im Westen der Insel.
Erst buchten wir einen Flug nach Teneriffa. Von dort müssten wir einen Bus nehmen nach Los Christianos, von wo uns eine Fähre nach La Gomera bringen würde. In San Sebastian angekommen wäre es noch eine fast zweistündige Busfahrt auf die andere Seite der Insel. Mit dem Bus würden wir auf schmalen, kurvigen Straßen tausend Höhenmeter erklimmen und auf der anderen Seite wieder herunterfahren. Die Insel ist nämlich aufgebaut wie ein hoher Hut mit einer sehr schmalen Krempe. Wenn man von einer Seite auf die andere will, muss man zwangsweise über den Berg fahren. DAS also sortiert die bierbäuchigen Neckermann-Pauschalis aus.

Auf der Fahrt zum Flughafen London-Gatwick schneite es. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, dass uns in nur ein paar Stunden eine Temperaturunterschied von über 20 Grad Celcius erwarten sollte. Ich hatte mir das auch beim Packen schon nicht wirklich vorstellen können, weshalb ich lieber mehr Pullover als T-Shirts in meinen Rucksack stopfte.
Aber tatsächlich. Nach ewigen 4,5 Stunden Flug landeten wir in Teneriffa. Es war ein wenig windig, doch der Wind war WARM! Und als wir vor dem Flughafen hin und her liefen um einen Bus zu finden, da wurde es doch richtiggehend HEISS und ich musste mehrere Schichten Kleidung entfernen.

Wir hatten keinen blassen Schimmer, wo wir hin mussten. Das ist der Nachteil, wenn man nicht von Reiseveranstaltern betüttelt wird. Wir fragten ein paar Busfahrer nach dem Weg (sogar auf spanisch), wurden aber nur angeknurrt. Schließlich fiel uns drei deutsche Typen auf, die sich in ihrer hippiemäßigen Kleidung und den verratzten Rucksäcken irgendwie von den Flip-Flop-tragenden Pauschaltouristen unterschieden. Wir kamen ins Gespräch, und es stellte sich heraus, dass sie auch auf dem Weg nach La Gomera waren. Und die drei kannten den Weg. Super! Zusammen machten wir uns auf den Weg zur Fähre in Los Christianos. Wir durchquerten die Touristenhochburg zu Fuß. Mehrere Male wurden wir von den sogenannten Looky Looky Men angequatscht, die einem irgendeinen Schrott andrehen wollen und mit der anderen Hand Geldbeutel und Handy klauen. Nee, also Teneriffa war mir durch und durch unsympathisch.

Schwitzend kauften wir Tickets für die Fähre. Sonntags gibt es nur drei Fähren nach La Gomera. Um drei Uhr Nachmittags würden wir auf der Insel ankommen. Es gab nur ein kleines Problem. Der nächste Bus nach Valle Gran Rey fuhr abends um halb neun. Fünfeinhalb Stunden Wartezeit? Das klang so unglaublich, dass ich den Gedanke gleich wegschüttelte. Uns würde schon was einfallen, wenn wir erst einmal angekommen waren.

Die Fähre war so bequem, dass wir in den Sesseln mit verstellbaren Rückenlehnen fast einschliefen. Was für ein Luxus nach dem engen Flugzeug. Eine Stunde dauerte die Überfahrt, dann waren wir in San Sebastian, der kleinen Hauptstadt von La Gomera. Hatte ich vorher noch die Hoffnung gehabt, dort wären jede Menge Busse, die uns an unser Endziel bringen würden, dann wurde diese sofort im Keim erstickt. Fünf Stunden warten oder in den sauren Apfel beißen, und ein Taxi nehmen? Hm, lieber Letzteres.
Die Taxizentrale war schon gründlich gestürmt worden. Nur noch wenige Fahrzeuge waren vorhanden. Während ich im Kopf noch nach ein wenig Spanisch kramte, wurden wir plötzlich von zwei Typen aus Nordeutschland angesprochen. Ob wir nach Valle Gran Rey gingen, und ob wir gerne ein Taxi teilen würden? Juhuuu!

Die Straße war tatsächlich schmal und kurvig, aber ziemlich gut gebaut. Höher und höher ging es, die Vegetation veränderte sich alle zehn Minuten. Mal wuchs am Straßenrand nichts als Kakteen, und plötzlich fuhren wir durch einen saftig grünen Märchenwald. Wenig später veränderte sich der dichte Wald, die Bäume sahen schwarz und abgestorben aus. Hier hatte letztes Jahr ein Waldbrand getobt. Wir fuhren in eine Wolke und sahen auf einmal nichts als Nebel. Und dann schienen wir den höchsten Punkt erreicht zu haben und es ging steil hinab. Meine Ohren knisterten, und mein Magen fühlte sich ein wenig seltsam an.
Und dann konnten wir über die Betonblöcke am Straßenrand den ersten Blick auf das Tal werfen.


Nach zwölf Stunden, seit wir unsere Wohnung unter dem Dach verlassen hatten, waren wir endlich angekommen. Urlaub! Es gab Palmen!


Wir bezogen unser Apartment direkt an der Strandpromenade, zogen frische T-Shirts und kurze Hosen an, und machten uns sogleich auf Wanderschaft.


Einen Hafen gab es, den der Gawjus sogleich als perfekten Angelplatz erklärte.Es war so herrlich ruhig. Nur wenige Menschen waren auf der Straße unterwegs. 


Wir folgten der Straße an einem langen Kiesstrand und kamen an einern Bananenplantage vorbei.


Wir erreichten das Örtchen La Playa, wo wir den größten Menschenauflauf trafen, den wir in der ganzen Woche sehen sollten. Es war Sonnenuntergang, und überall saßen entspannte Urlauber am Strand und der Mauer, tranken mitgebrachten Wein oder Bier und aßen Brot mit Oliven und Avocados.


Wir lernten ziemlich schnell, dass Gomera seltsamerweise eine Hippie-Insel ist. In den Siebzigern kamen deutsche Touristen auf die Insel - und blieben einfach dort. Auch jetzt ist es noch eine Insel der Alternativen und der Aussteiger. Es gibt jede Menge Leute - Deutsche - die dort leben und teilweise nicht einmal ein Dach über dem Kopf haben. Sie schlafen am Strand. Dreadlocks, Bärte, bare Füße, wir fühlten uns wie auf einer Reise zurück in die Zeit der Blumenkinder.
Ein paar Hippies hatten Bongo-Trommeln dabei und verabschiedeten die Sonne. Nach Sonnenuntergang jonglierten sie mit Fackeln und leuchtenden Hoola Hoop Reifen.


Wir saßen, tranken Bier und genossen das Feriengefühl, die Wärme und das Schauspiel der Sonne.


Wir hatten die herrlichste Zeit. Die Strände waren vor allem am Morgen geradezu wie ausgestorben


Wir standen auf, wann auch immer wir aufwachten, aßen, wann auch immer wir Hunger hatten, gingen ins Bett wenn wir müde waren, und hingen ständig am Hafen oder der Küste herum. Natürlich auch immer auch mit einer Angel im Wasser. Der Gawjus fing viele farbenfrohe Fische während ich gemütlich gegen die Hafenmauer lehnte und mein Buch las. 


Wir entdeckten ein Fischrestaurant. Die Einrichtung war vergleichbar mit einem großen Badezimmer, aber der Fisch war genial. Wir beschlossen am nächsten Tag zurückzugehen und bestellten im Voraus eine Meeresfrüchte-Paella.


Absolutes Higlight des Urlaubs!
Auswärts essen gehen war so billig im Vergleich zu England. Jeden Tag probierten wir ein anderes Restaurant und wurden nie enttäuscht. Mein neues Lieblingsgericht war doch tatsächlich Kaninchen. Und immer bekam man köstliche Runzelkartoffeln, die in der Schale in sehr salzigem Wasser gekocht werden, bis sie eine leichte Salzschicht haben. Dazu gab es Mojos aus Paprika und Avocado.


Wir sahen von Hippie-Hand angelegte Merkwürdigkeiten und frühstückten fast jeden Tag in einem Hippie-Café, wo es frischgepresste Fruchtsäfte gab, selbstgemachte Marmelade und hauseigen gebackene Vollkornbrötchen.


Eigentlich hatten wir eine Wanderung in die Berge geplant, aber wir konnten uns nicht dazu aufraffen. Die Herrlichkeit des Nichtstuns eintauschen gegen fette Blasen an den Füßen und nicht einschätzbare Wetterbedingungen? Nöööö. Wir gingen auf Nummer sicher und blieben im Tal. Immer wenn wir mit Leuten ins Gespräch kamen, die schon seit zig Jahren nach Gomera in Urlaub gehen, bekamen wir Geschichen über unvorsichtige Touristen zu hören. Jedes Jahr ertrinken welche oder werden von Gerölllawinen erschlagen oder von Monsterwellen weggerissen. Die Naturgewalten auf der Insel sind wirklich nicht zu unterschätzen. Als Flachländler blieben wir dann doch lieber weg von den Bergen.



Um doch nicht ganz so untätig zu wirken gingen wir auf ein Whale-Watching Boot. Der Wellengang war heftig, und ich bereutse es auch schon nach fünf Minuten. Ich sah schon die ersten Kinder auf ihre Eltern erbrechen und war mir ziemlich sicher, dass ich dies nicht überleben würde. Aber dank der Seekrank-Tablette, Atemübungen und Horizont anstarren brachte ich die drei Stunden dann doch unbeschadet herum (Trotzdem spürte ich Tage später noch die Bewegungen des Bootes) Wir sahen natürlich wieder keine Wale, wie schon damals in Island, aber wir stießen auf jede Menge Delphine, die sich an einem Schwarm Sardinen satt fraßen. Allein die Sardinen waren schon sehenswert! Es waren so viele, dass das Wasser aussah, als würde es brodeln.


Die Delphine sprängen aus dem Wasser wie Flipper. Ein super Schauspiel.


Einmal hüpften wir sogar in unseren Pool - einfach um das Urlaubsgefühl perfekt zu machen. Sommer im Februar, ich könnte mich sofort daran gewöhnen.


Nach einer Woche hieß es Abschied nehmen. Wir machten uns auf den umständlichen Weg nach Hause. Der Rückweg dauerte 16 Stunden! Wir hatten mehrere Stunden Aufenthalt in Teneriffa, die wir eigentlich am Strand verbringen wollten - es stürmte aber wie verrückt. Wären wir einen Tag später abgereist, hätten wir es wahrscheinlich nicht über die Berge geschafft und würden jetzt noch im Paradies festsitzen. Das wäre aber auch eine Schande...

Zurück auf der britischen Insel - es schneit gerade wieder - fühlen wir uns aber immernoch ganz herrvorragend erholt. Und planen schon den nächsten Urlaub in den Sonnenschein. Wenn der Sommer nicht zu uns kommt, dann gehen wir ihn eben holen.