Dienstag, 30. April 2013

Man ist was man isst

Als ich damals erzählte, dass ich nach England gehen würde, reagierten alle sofort gleich: "Buääääh, dort gibt es doch nichts anständiges zum Essen!"

Vier Jahre und 10 Kilo später muss ich jetzt endlich mal widersprechen: Britisches Essen ist ganz vorzüglich. Wenn man es nicht gerade selbst kocht, kriegt man es in Pubs und im Frühstücks-Café. Ansonsten ist Essen hier etwas ziemlich Internationales. Italienisch, Indisch und Chinesisch dominieren die Highstreet zusammen mit den üblichen Fast-Food-Ketten. Und wenn man lieber selbst kocht, dann kriegt man im Supermarkt so ziemlich alles zu kaufen, was es in Deutschland auch gibt.

Hin und wieder versuche ich mich selbst an britischer Küche - hier ein lecker Steak & Guinness Pie Kochvideo, das ich an einem kalten Samstag Nachmittag aufgenommen habe. Am Ende habe ich übrigens die Geduld mit dem doofen Blätterteig verloren, deswegen sieht er nicht gerade wunderschön aus, aber erfüllt den Zweck.



Falls sich jemand daran versuchen möchte, aber kein Guinness kriegen kann - man kann es auch weglassen... oder normales Bier verwenden. Hicks!


Dienstag, 23. April 2013

Tired of London - tired of life

Zwar lebe ich nur eine kurze Zugfahrt von London City entfernt, aber trotzdem zieht es mich eher selten in die große Stadt. Das liegt zu einem Teil daran, dass mein englischer Freundeskreis aus "Southeast" einfach nicht gerne den Fluss überquert. Nördlich der Themse und südlich der Themse vermischt sich wohl einfach nicht so gut. Zum anderen sind mir in letzter Zeit auch die Ideen ausgegangen, wie ich meinem Gawjus die große Stadt wieder etwas mehr schmackhaft machen könnte. Er begleitet mich nämlich, wenn er etwas geboten bekommt. Einfach so Sonntags in den Zug steigen und gemütlich ohne Ziel an der Southbank herumschlendern (obwohl südlich) ist überhaupt nicht sein Ding.

Aber letztens hatte ich einfach mal wieder Lust auf London. So habe ich unter der Woche abends am Computer recherchiert und uns ein Programm zusammengestellt. Am Samstag ging es los.

Der Stadtteil Shoreditch sollte es sein. Ich habe gelernt, dass ich meine Ziele nicht so weit auseinander legen sollte. Sonst verbringt man den ganzen Tag damit, von einer Gegend in die nächste zu hetzen und das powert aus, aber richtig. Nach einem Tag in London bin ich immer total am Ende. Kriege Pickel, meine Lippen brennen und meine Augen schrumpfen auf die Größe von Erbsen. Ich schiebe es auf die Tube. U-Bahn fahren und durch die langen Gänge von einer Linie zur anderen wechseln, und sich durch den Tumult zu schieben , das macht mich total kaputt. Also entdecke ich London von jetzt an lieber portionsweise als mir wie schon so oft die volle Dröhnung zu geben. Hab ja Zeit, bin ja nicht im Urlaub.

Punkt 1 des Shoreditch Tages brachte uns zunächst nach Bishopsgate. Dort steht der Heron Tower, eines der höchsten Gebäude Londons (vom Shard aber mittlerweile auf Platz drei verdrängt).  Ich wollte unbedingt den gläsernen Express Fahrstuhl in den 40sten Stock ausprobieren. Während ich noch darüber kicherte, dass es nur vier Knöpfe gab, nämlich 0, 38, 39 und 40, schloss sich auch schon die Tür und die Kabine schoss mit Raketengeschwindigkeit nach oben. Mein Bauch hüpfte, während sich die umstehenden Gebäude immer mehr im Boden versenkten und wir in Richtung Himmel aufstiegen. Ich habe den Videobeweis:


 Welch eine fantastische Aussicht! Oben erwartete uns eine moderne Bar mit Glasfenstern, die vom Boden bis zur Decke reichten. Diese Aussicht! Der Gherkin sah sehr kümmerlich neben/unter uns aus.




 Als uns der Erdboden wieder hatte, wanderten wir in Richtung Old Street, wo uns das nächste Abenteuer erwarten sollte. Ich war im Web auf eine Seite gestoßen, die alternative Touren durch London anbot. Das Alternative daran war, dass die Touren von Obdachlosen geführt wurden. Das klang so schräg, das musste ich einfach ausprobieren.

Tatsächlich, da stand er, von ein paar jungen Leuten umringt, die ihn anstarrten wie ein seltsames Tier im Zoo. Unser Tourguide. Unser Obdachloser.
Was hatten wir erwartet? Einen müffelnden Penner, in Lumpen gekleidet? Das war Henri garantiert nicht. Saubere Jeans, schwarzer Anorak, glatt rasiert, gepflegter Haarschnitt. Aber doch konnte man ihm ansehen, dass er es in den letzten Jahren nicht leicht gehabt haben muss. Ich konnte es kaum erwarten, mehr zu erfahren.

Wir warer zu zwölft. Eine sehr gute Gruppengröße. Jeder bezahlte £10 und dann ging es auch schon los. "Mir nach!" rief der heimatlose Henri mit holländischem Akzent und marschierte voran. Wir klebten an seinen Fersen und auch seinen Lippen, denn nach zwei Minuten blieb er schon stehen und erzählte etwas über die Old Street U-Bahn Station und wie praktisch dieser Ort zum betteln sei, denn jeder Ausgang gehöre zu einem anderen Bezirk. Wenn die Polizei einen Platzverweis ausspräche, dann würden sich die Bettler eben ein paar Meter zum nächsten Ausgang bewegen, für den eine andere Polizeistelle zuständig war.

Henri erzählte so einiges über das Leben in Londons Straße. Er zeigte uns seinen ehemaligen Schlafplatz, oder sein "Dach", wie er es nannte (nichts weiter als der Überhang eines Betonbrockens) und führte uns durch die Straßen Shorditchs. Unweit der Hauptstraße lag ein Friedhof, auf dem John Bunyan, William Blake und der Robinson Crueso Autor, Daniel Defoe, vergraben liegen. Einfach so, ein historischer Friedhof inmitten des Lärm und Verkehrs.


 Wir spazierten auch an der Kirche vorbei, in der Margaret Thatcher damals heiratete.


Henri war ein wirklich erstklassiger Tourguide und machte es mit viel Witz und Wissen wirklich interessant. Er wusste alles. Manchmal zeigte er auf die unscheinbarsten Gebäude und erzählte mit viel Humor einen historischen Schwank.
Immer wieder traf er Bekannte auf der Straße. Begrüßte jeden im Vorbeilaufen mit Handschlag. Er war eindeutig bekannt in seinem Revier. "Ich kenne hier jeden einzelnen Polizisten", sagte er stolz.  Die Straßen von Shoreditch waren sein Zuhause.
Er hat nicht viel Glück gehabt, Henri. Einst ging es ihm gut. Er studierte Innenarchitektur, hatte großes Interesse an Kunst, gründete eine Familie.
Und dann kamen viele unglückliche Faktoren zusammen, die so weit gingen, dass er auf der Straße landete. Obdachlos. Mittellos. Hoffnungslos.

Henri führte uns in kleine Straßen hinter den alten, gemauerten Fabrikgebäuden. Diese Gassen würde man wohl niemals finden, wenn man alleine unterwegs wäre. Und genau dort sind die besten Verstecke für die unglaublichste Straßenkunst. Wir staunten.







Henri wusste Namen von Künstlern und sagte Sachen wie "oh, das war letzte Woche noch nicht da" oder "hier fehlt ein Stück - wurde geklaut". Er kannte jeden einzelnen Stil und die Geschichte hinter dem Kunstwerk. Was für ein gebildeter Mann das doch ist, dachte ich immer wieder. Und er wird wieder auf die Füße kommen, davon bin ich überzeugt. Er macht jedes Wochenende Touren, 60% vom Erlös darf er behalten, und er hat auch einen kleinen Fabrikjob gefunden. Davon kann er sich mittlerweile die Zimmermiete für ein billiges Bed & Breakfast leisten.

Nach zwei Stunden endete die Tour am Hoxton Square, wo sich jede Menge Leute auf der zertrampelten Wiese tummeln um die Sonnenstrahlen zu genießen. Kein Zutritt für Obdachlose, sagte Henri.

Gawjus und ich gingen mit unserem Tourguide noch ein Bier trinken. Wir saßen und redeten. Hörten noch mehr Geschichten von den Straßen Londons. Die Geschichten unglaublicher Brutalität, wenn irgendwelche Idioten einfach so aus Spaß Obdachlose zusammenschlagen oder sogar töten, weil sie den Kick suchen und ein Pennerleben ja sowieso nichts zählt. Das kommt leider immer öfter vor.
Er erzählte auch von der skurrilen Tatsache, dass Obdachlose mehr Unterstützung kriegen, wenn sie Drogen nehmen oder Alkoholiker wäre. Dafür hat die Regierung nämlich Zeit, da kann ma ja was daran verdienen. Aber Pechvögel wie Henri müssen selbst sehen wie sie klar kommen.
Er berichtete, wie für die Olympischen Spiele die Obdachlosen versteckt wurden, damit London nicht so schäbig aussah.
Schließlich schüttelten wir Hände und gingen jeder unseres Weges. Henri in Richtung Old Street, sein Zuhause, wir in Richtung U-Bahn. Es war spät geworden. London hatte mal wieder voll zugeschlagen und meine Augen waren so klein wie Erbsen.

Dieser Tag hat auf jeden Fall Eindruck hinterlassen. Nie wieder werde ich einen an der Straße sitzenden Bettler mit den selben Augen sehen können. In wievielen steckt ein Henri, der nur auf eine Chance wartet wieder auf die Beine zu kommen?

Ich hoffe, ich kann irgendwie damit helfen, dass ich über diese ungewöhnliche Tour schreibe und sie wärmstens weiter empfehle. Hier ist der Link, falls sich jemand informieren möchte, oder diese alternative Weise London kennenzulernen sogar ausprobieren möchte:






Mittwoch, 17. April 2013

Vier

Der Zahl Vier (4) - sprich Fier - wird schon immer große Bedeutung zugemessen.
Vier Jahreszeiten, Vier apokalyptische Reiter, Vier gewinnt, Vier Fragezeichen, Vier Himmelsrichtungen. Und wenn man oft genug Vier schreibt, sieht das Wort nach einer Weile total unwirklich aus. Vier. Vier. Vier.

Vier Jahre England. Und weil das auch so unwirklich aussieht, noch einmal mit Ziffer:

4 Jahre England

Vier Jahre ist es nun her, dass ich aufgeregt im Flugzeug saß und einer unbekannten Zukunft entgegen flog. Es fühlt sich noch gar nicht so lange an. Die Ankunft und der erste Schreck, als ich Mummy und die Kinder nicht gleich finden konnte. Und dann der erste Eindruck von den Sargnägeln, denen ich die nächsten 1 1/2 Jahre beim Wachsen und Gedeihen beistehen würde. Ich weiß noch, wie ich die niedlichen englischen Häuser in der Vorstadtidylle bestaunt habe. Und die roten Postkästen, und den Milchmann, und die Doppeldeckerbusse, und das Fehlen der Türklingeln, und einfach alles war so fremd und neu und wunderbar.
Dann nach einem Jahr der Entschluss - ich bleibe! Die Jobsuche. Auszug aus dem Sargnagelhaus. Mein erster katastrophaler Job in der Apotheke. Der Gawjus. Die neue Wohnung unter dem Dach. Ein neuer Job, der jetzt nach zwei Jahren immernoch Spaß macht.

Die Zeit ist an mir vorbeigerauscht. Ich habe mein dreijähriges England-Jubiläum gar nicht so bewusst mitbekommen. Und nun sind es schon vier Jahre.

Natürlich hat sich die Magie vom Anfang verändert. Ich zahle meine Steuern und mir fällt auf, dass sich sehr viel Geld von meinem Gehalt sehr schnell verflüchtigt. Das Leben ist teuer hier. Und auch nicht gerade sehr fair. Während man hier wohl alles in den Hintern gestopft kriegt, solange man von Sozialhilfe lebt, hat man als braver Arbeiter die Arschkarte gezogen. Obwohl der Gawjus und ich beide Vollzeit arbeiten - ich 40 Stunden, Gawjus des öfteren 60 Stunden und mehr - wir werden uns noch lange keine Anzahlung für ein Haus leisten können.
Der Gesundheitsdienst ist kostenlos, aber Arztbesuche stinken zum Himmel. Überfüllte Wartezimmer, fließbandmäßige Abfertigung von übermüdeten und übelgelaunten Doktoren, die selbst niemals ein Werkzeug in die Hand nehmen, sondern einen nach achteinhalb Sekunden Begutachtung zur Blutabnahme in ein abgelegenes Krankenhaus schicken. Die Wartezeiten dort möchte ich nicht einmal erwähnen. Ach ja, und natürlich muss niemand für Rezeptgebühren aufkommen, außer wieder einmal das arbeitende Volk.
Die Transportkosten werden jedes Jahr erhöht, im längsten Winter der Geschichte schießt der Gaspreis in die Höhe, eigentlich alles wird ständig immer teurer, aber die Zahl auf dem Lohnzettel bleibt trotzdem die gleiche.
Das Wetter... kein Sommer in 2012 und der offizielle Winter überzieht auch noch um zwei Monate. Es ist weniger der Regen als die Kälte, die so auf das Gemüt schlägt.

England hat mich in den letzten zwei Jahren öfter mal frustriert. Aber ich kann die Gedanken derer hören, die den oberen Absatz gerade gelesen haben. Sie denken: "Das alles ist in Deutschland ja auch nicht viel besser."
Und England ist immernoch der Ort, an dem ich leben möchte. Auch wenn sich der Alltag eingeschlichen hat, im letzten Jahr sind so viele tolle Sachen passiert:

Die Queen gesichtet


In Jamie Oliver's Italian Restaurant zu Abend gegessen


Urlaub in Cornwall gemacht


"Yes" gesagt


Mit David Walliams geschäkert


Und diversen anderen Briten


Ein Oktoberfest veranstaltet


Dem schlechten Wetter getrotzt mit Wohnzimmer-Camping


Auf die Kanaren geflogen


In der Zeitung erschienen


Ob das im fünften Jahr zu toppen ist? Ich hoffe doch.

Aber es gibt noch viel zu sehen und erleben auf der Insel. Werde berichten.

Dienstag, 16. April 2013

Der Ding Dong Song

Margaret Thatcher ist tot.

Natürlich habe ich als Nicht-Britin und Unter-Dreißig-Jährige nicht viel von der Thatcher-Ära erlebt. Aber dass die Meinungen über die rigorose Ex-Premierministerin auseinandergehen, das habe ich nach ihrem Tod sehr schnell mitgekriegt.
Ich habe es heute so erklärt bekommen: Maggie hat aufgeräumt in einem Großbritannien, das vorher jahrelang von einer schlechten Regierung heruntergewirtschaftet wurde und kurz vor dem Kollaps stand. Nicht alles hat sie zum Positiven verändert, aber sie stand felsenfest mit einem unglaublich eisernen Willen, an dem sich so mancher die Zähne ausbeißen konnte. Und so stellte sie Ordnung her, genau so wie es ihren Vorstellungen entsprach. Allerdings eine sehr kontroverse Ordnung. Sie war genau so beliebt wie sie verhasst war.
Die Hassgründe sind einleuchtend. Steuern und Privatisierungen, Falkland Krieg, Abschaffung der kostenlosen Schulmilch, Schließung der Kohlminen, daraus resultierende Arbeitslosigkeit... die Anklagepunkte sind endlos.

Ich kann die Frustration und auch den Hass irgendwo auch verstehen. Aber eines muss ich mich doch fragen, und dies gab auch den Anlass für diesen Artikel. Ist es wirklich nötig, aufgrund Margaret Thatchers Tod in Jubel auszubrechen? Parties und Freudenfeste zu veranstalten? Ist es wirklich notwendig das olle Lied vom Wizard of Oz "Ding Dong, the witch is dead" auf Platz 2 der Charts zu katapultieren?
Ich finde dieses Verhalten ziemlich erbärmlich. Heute Morgen hat ein Handy im Zug auf dem Weg zur Arbeit geklingelt. Der Klingelton war eben genanntes Lied. Die Handybesitzerin war vielleicht gerade einmal Zwanzig Jahre alt und muss zu Thatchers Zeiten noch in Adams Wurstkessel geschwommen sein.

In den letzten zehn Jahren war sie doch nur eine perfekt frisierte alte Dame mit Demenz, die einen ruhigen Lebensabend verbrachte. Sie war Mutter, bestimmt auch Großmutter. Und ihr Tod muss für ihre Angehörigen unfassbar traurig sein. Was muss ihre Familie empfinden, wenn die Trauerprozession diesen Mittwoch am Trafalgar Square vorbeiführt, wo zur selben Zeit eine riesige Anti-Thatcher Party stattfindet. So etwas ist in höchstem Maße respektlos und einfach inakzeptabel.

Stress vorprogrammiert. Aber ich hoffe, dass die Beerdigung ohne Zwischenfälle über die Bühne geht. Ohne Krawalle von hormongeschwängerten Raufbolden, die solche Ausnahmesituationen für ihre ganz persönlichen Sekunden des Ruhmes nützen. Ohne Ding Dong Song.
Ich wünsche Margaret einen würdigen Abschied, denn den hat sie verdient - ungeachtet dessen, was in der Vergangenheit passiert ist. Am Ende war sie doch nur ein Mensch.