Mittwoch, 21. November 2012

Der Fuchs geht um

Irgendwo sind sie ja doch ganz niedlich. Diese beiden Einbrecher hätte ich noch ewig aus dem Fenster beobachten können




Na, schmelzen die Herzen schon?

Stadfüchse. Sie sind überall. Leben aus der Mülltonne und was sie sonst noch so alles finden. Man sollte schon gelernt haben, dass man den Müll lieber erst am Tag der Müllabholung vor die Tür bringt, und nicht in der Nacht davor. Zumindest, wenn man keinen Deckel für die Tonne hat. Und wenn das doch jemand vergisst, dann sieht es am Morgen aus, als hätte in der Nacht zuvor ein Straßenfest stattgefunden. Alles zerkaut und in einem hundert Meter Radius verstreut. In der Sargnagelfamilie bin ich oft früh morgens mit Gummihandschuhen bewaffnet in der Einfahrt herumgelaufen und habe den abtrünnigen Müll wieder eingesammelt. Milchcontainer. Verpackungen. Windeln. Alles mit spitzen Zahnabdrücken versehen und penibel eingenebelt mit den fuchseigenen Markierdrüsen. Fuchspinkel stinkt!

Sie tun mir ja leid, die Spitzohren. Weil irgendwann einmal ihr natürlicher Lebensraum zerstört wurde, müssen sie sich jetzt in der Menschenwelt zurechtfinden. Wenigstens ist die Fuchsjagd nicht mehr erlaubt.

Scheu sind sie kaum noch. Schon oft bin ich so nahe an Füchse herangekommen, dass es ich war, die freiwillig die Straßenseite gewechselt hat. Die Fluffels auf den Fotos oben sehen ja noch sehr jung und kuschelig aus, aber so ein richtig ausgewachsener Fuchs kann einem doch ein wenig unheimlich werden.


Der hier hat mich vor der Haustür erwartet und mich angesehen, als wäre ich ein Braten auf zwei Beinen. Ist nicht einen Schritt zurückgewichen, als ich mit einem mulmigen Gefühl über den Kiesweg gelaufen bin. Mir sind sie manchmal nicht so geheuer. Die Nonna vom Gawjus war eine Fuchs-Fütterin.  Jeden Tag hat sie Essensreste und Küchenabfälle in den Garten getragen. "Für die little darlings". In diesem Garten gab es Dank ihr die gesündesten und fettesten Füchse des ganzen Viertels. Sie waren riesig. Manchmal haben sie sich an der Terassentür aufgestellt und mit ihren gelben, Licht reflektierenden Augen ins Haus gestarrt wie Zombies.

Es gibt keine richtigen Fuchsattacken, aber scheinbar doch ein paar Vorfälle. Wie der Fuchs, der in ein Kinderzimmer eindrang und das dort schlafende Baby ins Gesicht biss. Oder der Fuchs, der in das Zelt des am Strand schlafenden Anglers kroch und ihn ins Gesicht biss. Oder vor zwei Jahren hat ein Fuchs eine Babyleiche auf dem Battersea New Cemetery ausgegraben und aufgefressen. Na lecker. Vielleicht sollte man ja doch lieber das Füttern mit Küchenresten unterstützen.

Montag, 19. November 2012

Der Spar-Markt

"Lass lieber alle Türen verriegelt", mahnt der Gawjus noch, bevor er mit seiner Werkzeugtasche um die Ecke verschwindet. Ich drücke einen Knopf und alle Türen des Vans verriegeln automatisch. Durch den Spalt im Fenster dringt kühle Seeluft, und ich lehne mich im Beifahrersitz zurück. Ein seltsamer Ort ist das hier, nahe der Küste. Wie eine Geisterstadt. Alle Gebäude, die ich von meinem Platz aus erspähen kann, sind heruntergekommen und bei näherer Betrachtung geradezu zerstört. Ganze Wohnblöcke stehen leer. Scheiben sind eingeschlagen, Dächer beschädigt. Die Straßen wie leergefegt.

Und inmitten dieses Elends, neben dem, was mal ein Fish & Chips Shop gewesen war, da gibt es einen kleinen SPAR. Wie eine Oase in der Wüste. Wie ein Rettungsboot auf dem sinkenden Schiff. Wie das berühmte Licht am Horizont. Denn wie ich schnell herausfinde, leben hier in dieser gottverlassenen Gegend tatsächlich noch Menschen.

 

Vier Mädels schlendern vorbei. Ich schätze sie auf 13, 14 Jahre. Sie tragen blasspinke Fleece-Jogginganzüge und dicke Stoffstiefel. Die geöffneten Jacken geben Sicht auf ihre grellen Tops. Bauchfrei. Die Bäuche sehen noch richtig kindlich aus. Ihre Frisuren sind zu Vogelnestern gewickelt und irgendwie mitten auf dem Kopf befestigt. Eine schiebt den obligatorischen Kinderwagen. Darin sitzt ein kleiner Junge, gerade im Lauf-Alter mit blonden Haaren und wässrig blauen Augen. Er sabbert und sieht erstaunt aus. Als wenn er sich darüber wundern würde, wie er nur in dieser seltsamen Welt landen konnte. In seiner kleinen dicken Faust hält er ein Handy, aus dem laute Rapmusik schallt. 
Die Mädels verschwinden im Spar.

Zwei Jungs auf Skateboards nähern sich. Sie scheinen im selben Alter wie die Mädchen zu sein. Einer trägt einen Fußball unter dem Arm. Beim Spar angekommen, springen sie von ihren Boards und fangen an den Ball gegen Lous Fishbar zu kicken. Der Aufprall des Balls auf dem Blech schallt durch den Nachmittag. 

Eine Verkäuferin kommt aus dem Spar-Markt gelaufen. "Stop it Ryan!" brüllt sie. Ihre dunklen Haare sind strähnig, und sie hustet krächzend. 
"Shut up, Mum!" meint Ryan nur, und kickt weiter den Ball gegen das Blech. Sein Kumpel lacht. Die Mutter zündet sich eine Zigarette an und lehnt sich erschöft gegen die Hauswand.

Die Mädels sind auch wieder aufgetaucht. Das Kind hat jetzt eine Tüte Kartoffelchips und stopft mit jedem Chip gleich die ganze Faust in den Mund. Die Mädels nehmen Kurs auf die Jungen. Wiegen ihre nicht vorhandenen Hüften hin und her, und wackeln mit den Köpfen.

Ryan kickt den Ball gegen den Kinderwagen. Der kleine Junge kaut ungerührt seine Chips. Seine Teenie-Mutter brüllt eine Obszönität. Ryan lacht. 

Die Verkäuferin lässt ihre Zigarette auf den Boden fallen, wischt ihre Hände am T-Shirt mit Spar-Aufdruck ab und geht hustend wieder in den Laden. Die Mädels verschwinden.

Ein altes Mütterchen steuert auf den Supermarkt zu. Ihr Rücken ist gekrümmt, die Knochen zerfressen, wahrscheinlich Osteoporose. Sie läuft langsam und trägt einen für die Jahreszeit viel zu warmen Mantel. Immer wieder bleibt sie stehen um zu verschnaufen, und stellt ihre Augen auf die Umgebung scharf.

Ryan kickt den Ball gegen die alte Frau. Er trifft ihren Arm. Als ihr die Einkaufstasche entgleitet, ertönt ein lautes "Oi!!! You!!!" von der anderen Straßenseite. Ein Skinhead kommt angelaufen. Er ist fast so breit wie hoch, sein Oberkörper von jahrelangem Gewichtheben aufgepumpt. Seine tattowierten Arme stehen durch die dicken Bizepse vom Körper ab und machen eine rudernde Bewegung, als er sich schwerfällig nähert. Unter seinem rechten Auge ist eine Träne eintattowiert. Auf seinem Hals eine Schwalbe.

"Fuck!" rufen Ryan und sein Kumpel und springen auf ihre Skateboards. Doch dann erinnern sie sich an den Ball. Ryan läuft noch einmal zurück, krallt sich den Fußball, der nicht weit von der alten Frau entfernt liegt, und schon will er wieder auf das Board springen. Doch der Skinhead hat den Jungen erreicht und packt ihn am Kragen seines T-Shirts. Er zieht ihn gefährlich nahe an sein rundes, gerötetes Gesicht und spricht mit leiser und warnender Stimme. Das Wort "Respekt" kommt darin vor. Ryan zieht eine Grimasse und nickt. Als der Skinhead los lässt, dreht sich Ryan zu der alten Frau und entschuldigt sich flappsig. Sie sieht aus, als würde sie gleich anfangen zu weinen. Ryan trollt sich. Der Skinhead hebt die Stofftasche auf. "Sorry darling" sagt er, und hakt sich bei dem Mütterchen unter. Zusammen laufen sie zum Sparmarkt. In ihrer Geschwindigkeit. Er muss sich bücken, weil sie so klein ist. Als sie am Van vorbeilaufen, sehe ich die Tattoos auf seinem Arm. Fünf Namen stehen untereinander. Einer davon ist Ryan.

Der Gawjus wirft seine Werkzeugtasche in den Laderaum. Wir fahren und lassen die Geisterstadt und den Sparmarkt zurück. Ich frage mich, wie Ryans Zukunft aussieht. 



Samstag, 17. November 2012

Pommes

Also ich weiß nicht, aber irgendwie sieht diese zugedröhnte Chipstüte ein wenig verstörend aus. Wer designt so etwas? Und warum?


Mittwoch, 14. November 2012

Pot Noodles und Novembersonne

"Hurraaaa!", schreit meine Abenteuerlust. "Oh Gottogott, bitte nicht!", flüstert mein Schweinehund und möchte am liebsten in eine Decke verkrochen unter den Heizkörper kriechen. Gemischte Gefühle. Warum? Weil der geehrte Herr Gawjus einen Angeltrip ans Meer inklusive campen am Strand vorschlägt. Im November. Die spinnen, die Angler.

Die Abenteuerlust gewinnt. Obwohl der Schweinehund während der Fahrt immer wieder mahnend an meinem Ärmel zupft. Es ist kalt und dunkel, und dicker Nebel liegt auf der Autobahn. Ich habe das Gefühl, dass ich diesen Ausflug bereuen werde.

Der Gawjus redet unterbrochen. Er leidet am "Fishing-Fever". Vor jedem Angeltrip gerät er so dermaßen aus dem Häuschen, dass kaum eine Unterhaltung möglich ist, bei der es nicht um Auswerftechnik, Fischarten, Köder und irgendwelchen technischen Kurbeldetails geht. Ich nicke artig und murmle von Zeit zu Zeit zustimmend. Ich brauche gar nicht zu versuchen, mit einem anderen Thema anzukommen. Es würde gnadenlos am Fever abprallen.

Gegen zehn Uhr abends erreichen wir Dungeness - eine kleine Landzunge, die in den English Channel hineinragt, als wenn ein Sandhaufen vor vielen Jahren mal versucht hätte, sich in Richtung Frankreich auszudehnen. Es gibt nicht viel zu sehen dort: Ein stillgelegtes Atomkraftwerk, ein paar wenige Wohnhäuser an der einzigen Straße, viele Fischerboote und zwei Leuchttürme. Englische Nichtsigkeit. Wunderbare Abgeschnittenheit und Ruhe.

Ich atme noch einmal tief durch, bevor ich die Autotür öffne. Das große Frieren kann losgehen. Aber zu meiner Überraschung scheint es in Dungeness milder zu sein, als in London. Außerdem ist totale Windstille, was temperaturmäßig einen bedeutenden Unterschied macht.

Wir schultern unsere Tonnen an Gepäck und stapfen durch den Kies noch ungefähr zehn Minuten zum Ufer. Kiesstrand ist sehr anstrengend. Ich fange in meinen Thermoklamotten an zu schwitzen.

Während der Gawjus seine Angeln zusammenbastelt, baue ich das Zelt auf. Ich finde es immernoch faszinierend, dass nur mit drei Stangen und ein wenig Plane wenig später ein perfektest Iglu-Zelt vor mir steht. Zelthersteller sind genial.
Ich richte mich häuslich ein. Erst eine Picknick-Decke mit Plastikunterlage, darauf die Schlafsäcke. Ich deponiere Wasserflaschen und Kekse griffbereit und staple noch ein paar Extraklamotten in einer Ecke, die ich bestimmt später noch drüberziehen muss. Fertig. Eingezogen.

Mittlerweile hat der Gawjus die erste Angel ausgeworfen. An der Spitze hängt ein kleiner Leuchtstab, damit man im Dunkeln sehen kann, ob etwas angebissen hat. Wir setzen uns mit einer Dose Cider in den Zelteingang und sehen nach oben auf die Angelspitze. Alle Lampen sind ausgeschaltet und fernab von jeglicher Lichtverschmutzung fällt uns plötzlich der Sternenhimmel auf. Der Nebel hat sich verzogen und Millionen von Sterne blinken auf uns herab. So einen Himmel habe ich zum letzten Mal in Island gesehen. Wunderschön. Wie auf Kommando sehen wir Sternschnuppen. Eine nach der anderen. Wie unüblich für November. Wir staunen.

Nach Mitternacht ist es bedeutend kälter. Ich ziehe noch eine Jacke drüber und ein extra Paar Socken. Wickle mich in meinen Schlafsack und lese mit Taschenlampe in meinem Buch. Richtig gemütlich. Die Trauben-Nuss-Schokolade leistet mir Gesellschaft, obwohl sie so kalt ist, dass ich kaum etwas abbrechen kann.


Weitere zwei Stunden vergehen. Zeit für heißes Wasser. Sofort als ich den Kocher anzünde, scheint es wärmer zu werden. Wahrscheinlich ist es der Anblick der Flamme, der einem ein wärmendes Gefühl vermittelt. 


Wir essen Pot Noodles. Mit heißem Wasser auffüllen, und schon hat man eine kräftige Nudelsuppe. Am Ende noch die Brühe aus dem Plastikbecher trinken und es wärmt bis in die Zehen.


Ich fülle noch eine Wärmflasche mit heißem Wasser und wickle mich damit wieder in meinen Schlafsack. Zwei Sternschnuppen später schlafe ich ein.
Immer wieder wache ich auf, zumeist weil der Gawjus sich über Fisch freut. Gegen fünf Uhr weckt mich Kälte und Feuchtigkeit. Ich habe auf früheren Angeltrips gelernt, dass die Stunde vor Sonnenaufgang immer am kältesten ist. Feuchte Luft versucht durch jede Faser der Kleidung an die Haut zu gelangen. Die Wärmflasche leistet grandiose Arbeit in Kälteabwehr.

Als ich das nächste Mal wach werde, geht die Sonne auf. Es ist Flut und die ruhige See ist nahe an unser Zelt geklettert. Noch immer ist es windstill.


Auf dem Wasser tanzen Nebelschwaden in der Morgensonne.


 Fähren und Frachtschiffe sind schon von Dover nach Calais unterwegs



Seltsame Dinge tauchen am Horizont auf und verschwinden wieder, wie Fata Morganas.




 Die Möwen sind aufgewacht und fliegen die erste Runde auf der Suche nach ihrem Frühstück. 



Neben uns wird ein Fischkutter ausgeparkt und ins Meer geschoben.



Ich döse wieder ein, und als ich das nächste Mal aufwache fühle ich mich warm und ausgeruht. Die Sonne hat sich wohl in der Jahreszeit geirrt und brutzelt munter auf mein Gesicht.



Ich kann nicht glauben, wie blau der Himmel ist. Ich muss zwei Jacken und meine Thermo-Hose ausziehen, so warm ist es. Ich ziehe meinen Schlafsack ins Freie, lege mich darauf und döse in der Sonne. Wie im Urlaub. 



 Der Gawjus fängt Abendessen. Mein Gesicht glüht. Ein Sonnentag im November.




Montag, 12. November 2012

The Shard

Kürzlich hatte ich mal erwähnt, dass in London jetzt das höchste Gebäude Europas erbaut wurde. Erst im Februar 2013 für die Öffentlichkeit zugänglich, aber hier kann man schonmal einen Eindruck der Aussicht im 360 Grad Winkel bekommen. Da kann das London Eye einpacken. Beeindruckend, echt jetzt!

Samstag, 10. November 2012

Ein Klavier, ein Klavier!

Neulich stehe ich so am Bahnhof herum und denke: Da spielt jemand Klavier. Beethoven.

Ich hatte noch ein paar Minuten bis zur Ankunft des Zuges übrig, also lief ich einfach den Klängen der Mondscheinsonate nach, und dann sah ich das hier:


Diese Bahnhofsunterführungen sind die ungemütlichsten, kältesten und lieblosesten Orte der Welt, aber trotzdem stand da ein quietschbuntes Klavier. Und erst dachte ich, der Typ sammelt Spenden, aber dann wurde mir klar, dass das nur ein Passant war, der da ganz fantastisch vor sich hinspielte.
Das Klavier gehört zum Projekt der Street-Pianos und es gibt fünfzig davon in London und Umgebung (Und 600 davon weltweit). Dies ist die Webseite dazu, auf der man Fotos und Videos hochladen kann. Finde ich wirklich eine schöne Sache.

Jedes Mal wenn ich an diesem Bahnhof bin, juckt es mich in den Fingern. Aber dann trau ich mich doch nicht. Naja, vielleicht erst mal wieder meine Klassik Stücke auffrischen. Mit dem Flohwalzer mag ich da doch nicht antanzen.



Donnerstag, 8. November 2012

Remembrance Day

Juliane hat in den Kommentaren gefragt, wofür die rote Blüte steht, die ich und viele anderen Inselbewohner momentan an Jacke, Kleid oder sonstiger Klamotte befestigt tragen.

Die rote Blume wird Poppy genannt und jedes Jahr anlässlich des Volkstrauertages am 11. November zu Gedenken der im Krieg gefallenen Soldaten getragen.

Erst sieht man gegen Ende Oktober vereinzelte Poppies auf der Straße, aber ab dem ersten November geht es erst richtig los. Vor allem für Personen von öffentlichem Interesse ist es gut, Poppy zu zeigen. Deswegen sieht man plötzlich im Fernsehen die ganzen Nachrichtensprecher, Politiker, Schauspieler und Sänger alle mit ihrer roten Papierblüte. Seht her, ich gedenke. Und ich spende. Das ist auch der Grund, warum ich eine bei den Pride of Britain Awards getragen habe. Obwohl ich natürlich keine Person des öffentlichen Interesses bin, aber die Poppies wurden vor der Veranstaltung ausgeteilt und es wurde einem nahegelegt, die Blüte doch bitte anzustecken. Seht her, wir gedenken!

Als Normalsterblicher kriegt man die kleinen Papierblumen gegen eine Spende bei diesen hübsch angezogenen Herren, die in der ganzen Stadt verteilt einladend mit ihren Spendeneimern klappern:



Die lächeln auch noch freundlich, wenn man ganz scheinheilig fragt "gibt es die auch in anderen Farben?"

Am 11. November dann - bis dahin hat man schon einige Poppies durch, denn durch das ganze an der Kleidung herumgetrage lösen sich die Papierdinger gerne mal in ihre Bestandteile auf - ist Remembrance Day. Um 11 Uhr werden zwei Schweigeminuten eingelegt und an Kriegerdenkmälern ganze Kränze aus Poppies niedergelegt. Ist es nicht ein wenig ironisch, dass in manchen Teilen von Deutschland genau dann der Karneval losgeht, wenn England die Schweigeminute einlegt, und ganze Bürogebäude in Jubel ausbrechen und mit Tröten und Luftschlangen wedeln? Auch schon erlebt. Okay, wegen der Stunde Zeitverschiebung treffen die beiden Gegensätze dann doch nicht zum selben Zeitpunkt ein. Aber der Gawjus war doch ein wenig erstaunt, als er mich gefragt hat, ob denn eigentlich in Deutschland am 11.11. um 11 Uhr auch geschwiegen wird.

Martinstag ist am 11. November ja auch noch. Kennt man das überhaupt noch heutzutage?

Naja, jedenfalls, immer wenn es einen schönen und augenscheinlich harmlosen Brauch gibt - ich rede jetzt wieder von den Poppies - da sind natürlich die Kritiker und Spielverderber nicht weit. Die Nordiren wollen keine Poppies wegen dem Nord-Irland Konflikt. Die Schotten - oder wohl besser die Green Brigade (Fans vom Fußballclub Celtic) - finden die Poppies zu scheinheilig, weil die Britische Armee ihrer Meinung nach keine Helden sind, sondern kaltblütige Zivilistenkiller, dann kommen auch noch die Chinesen an, und sagen die roten Mohnblüten seien eine Anspielung auf die Opium-Kriege, die vor keine Ahnung wieviel Hundertfünfzig Jahren, ewig lange vor dem ersten Weltkrieg, stattgefunden haben... und zu guter letzt fühlen sich jetzt auch noch die Muslime angepisst und versuchen die Schweigeminute mit Protestschreien zu verderben.

Menschenskinder gehts noch? Wie im Kindergarten. Ein bißchen rotes Papier und solch eine große Wirkung.


Dienstag, 6. November 2012

Stars und Sternchen

Dieser Eintrag hat mir ein wenig Kopfzerbrechen bereitet. Ich wusste nicht, und weiß immernoch nicht, wie ich in Worte fassen soll, was mir letzte Woche passiert ist.

Da war ja dieses Gala Dinner, an dem ich vor etwas mehr als drei Wochen teilnehmen durfte. Es war das Event des Jahres. Nie dachte ich, dass irgendetwas diesen Abend jemals übertreffen könnte.
Aber dann kaufte ich dieses Ticket für eine Verlosung. Fünf Pfund kostete es und der Erlös wurde an eine Charity gespended. Und während ich das Geld übergab und das kleine Fetzchen Papier mit Nr. 3 entgegennahm, da hätte ich im Traum nicht gedacht, zu was für einer anderen Welt es mich katapultieren könnte:
Ich gewann ein Ticket zu einer Fernsehshow, in der Helden des Alltags für ihre Tapferkeit ausgezeichnet werden. Die Pride of Britain Awards.


Aber nicht nur für die Awardverleihung, sondern auch für den Sektempfang, 3-Gänge-Menü, und die Party danach. Woop woop, ich war geschockt.
Zum Glück war die was-soll-ich-anziehen-Frage schnell geklärt, ich zog einfach das Kleid vom Gala Dinner noch einmal an, bekam meine Haare irgendwie hingezwirbelt- und geflochten, kaufte noch eine elegante Handtasche, in die ich so gut wie nichts hineinbekam, einen Über-die-Schulter-werf-Schal, und dann ging es auch schon los. Ich wurde per Taxi von der Arbeit abgeholt und machte mich mit acht weiteren Ticketgewinnern auf den Weg zum Grosvenor Hause in London. Zufälligerweise hatte das Gala Dinner dort auch stattgefunden. Ich fühlte mich schon wie ein Stammgast.

Das Taxi hielt allerdings nicht am Haupteingang in der Park Lane, sondern umrundete das Gebäude. Ach so, der Hintereingang war eigentlich der Haupteingang. Dort war ein roter Teppich, vor dem das Taxi zum Stehen kam. Ein roter Teppich!
Es regnete, aber das nahm ich kaum wahr.  Ich fühlte mich plötzlich wie in einer anderen Welt. Hinter uns auf der Straße waren Absperrungen angebracht, hinter denen zumeist jüngere Menschen standen und kreischten. Entlang des roten Teppichs befanden sich Kamerateams und Fotografen, die wild herumblitzten.
Kurz die Einladung und Ausweis vorgezeigt, und dann wurde ich auf Reise über den Teppich geschickt. Oh Gott, ich war so nervös. Jemand machte Fotos. Von mir? Bloß nicht stolpern.



Ich schaffte es ins Gebäude. Noch einmal Einladung vorzeigen, Sicherheitskontrolle - in meine Tasche passte ganz bestimmt keine Bombe - und los zum Sektempfang.
Hunderte LED-Lichtpunkte waren im Boden angebracht und blinkten hypnotisierend. Genauso hypnotisierend waren die weißgekleideten Servierleute, die in einer Reihe standen und einladend den Sekt hinhielten. Sekt! Nie hatte ich ein Glas des sprudelnden Nervenreparierers nehr nötig gehabt. Ich trank das erste Glas viel zu schnell und ging gleich für Runde zwei.
Ich beobachtete Leute. Viele hübsch gekleidete Mädels mit Funkgeräten und Headset liefen wichtig und irgendwie total ausgestresst hin und her. "Robbie zieht sich gerade um", hörte ich jemanden  erklären.

Wirklich viele Menschen waren mittlerweile eingetroffen. Ich sah Gesichter, die mir irgendwie bekannt vorkamen, aber mein Gehirn konnte so viel Information gar nicht auf einmal fassen. Nach etwas Smalltalk mit einer Herausgeberin irgendeiner Frauenzeitschrift - sie sah aus wie Meryl Streep in "Der Teufel trägt Prada" - wurden wir zum Saal gebeten, in dem die Awards und das Dinner stattfinden würden. Tisch 40.
Wir hatten nicht die beste Bühnensicht von unserem Platz, aber dafür hatte ich perfekte Aussicht auf diese Treppe.


Und das war die Treppe, die jeder Gast hinunter schweben musste, um in den Saal zu gelangen. Und jeder, der die Treppe hinunter ging, musste auch an unserem Tisch vorbei. Ziemlich schnell wurde klar, dass wir damit den Hauptgewinn gezogen hatten. Meine Tischnachbarin stieß immer wieder unkontrollierte Quietscher aus, denn plötzlich kamen die Promis. Ehrlich gesagt, erst war ich ein wenig unbeeindruckt. Ich kannte die meisten Leute nicht. Schauspieler und Möchtegern-Stars von schrecklichen Fernsehprogrammen, wie "The only way is Essex" und "X-Factor"... Sachen, die ich niemals gucken würde. Aber dann fing ich doch an, das eine oder andere Gesicht zuzuordnen. Schauspieler von "EastEnders" (sowas wie die englische Lindenstraße), Peter Andre, der Ex-Mann von Katie Price, Gok Wan, alles Trash TV.
Die Gesichter wurden bekannter und bekannter. Ich sah Susan Boyle, die ungewöhnliche Gewinnerin einer dieser Talentshows, Ed Milliband, der Oppositionschef, ich sah einen Typen bei dem ich zweimal hingucken musste, und dann als Bon Jovi identifizierte - mönsch, ist der alt geworden - zwei von den Spice Girls, und plötzlich quetschte sich der Primeminister an unserem Tisch vorbei. Er sah in meine Richtung, und ich konnte es nicht aufhalten, meine Hand schnellte plötzlich in die Höhe zu einem fuchtelnden Winken und mein Mund öffnete sich automatisch und brüllte "Hello Mister Cameron!!!!" Und was machte der Primeminister? Er lächelte und winkte zurück. So, jetzt konnte ich mich endlich auf mein Essen konzentrieren. Zubereitet von Fernsehkoch Nick Nairn natürlich eine Wucht.


Alles ging jetzt ziemlich schnell. Wenn der Teller leer war, wurde er einem gleich entrissen und der nächste Gang hingestellt. Die Awardszeremonie musste pünktlich um acht Uhr anfangen. Dessert, Kaffee, und dann die Chance nochmal kurz aufs Klo zu gehen. Ich schwang mich die berühmte Treppe hinauf und bekam erstmals einen Überblick. Wow, so viele Leute. Tisch 40 war ganz unten rechts in der Ecke.


Die Show ging los. Carol Vorderman, die Moderatorin trat auf die Bühne. Ihre Haare wie eine Löwenmähne. Über unserem Tisch fing ein Kamerakran an lebendig zu werden und machte halsbrecherische Schwinger durch den Saal.

Und die Show war ganz unglaublich. Die Helden des Alltags waren allesamt so wundervolle Leute. Da war das kleine Mädchen, das ihre noch kleiner Schwester aus dem Weg schubste, als ein Auto unkontrolliert auf sie zugerast kam. Da war der Soldat, der sein Leben riskierte um drei kleine Buben aus dem Kreuzfeuer zu retten. Da war das 16-jährige Mädchen mit Blutkrebs, das so viele Leute dazu inspierierte, sich für Knochenmarkspenden zur Verfügung zu stellen. So viele inspirierende Menschen, es blieb kaum ein Auge trocken. Robbie Williams kam auf die Bühne, um einen Award zu verleihen (mönsch, ist der alt geworden). Und Piers Brosnan (mönsch, ist der...), Prince Charles (mönsch...), Sir Ian McKellen (Gandalf!!!)
Es waren drei herrliche Stunden. Obwohl unserem Tisch nach zwei Stunden alle Getränke inklusive Wasser ausgingen.

Nach der Show mischten sich alle Gäste wild untereinander. Ich machte mich auf die Suche nach Ian McKellen, weil ich ihn nach einem Foto fragen wollte, konnte ihn aber nicht finden. Dafür stieß ich auf Jimmy Carr, der ein wenig abseits an einem Tisch saß und mir zulächelte. Jimmy ist ein englischer Comedian und hat dieses Jahr ein wenig an Beliebtheit eingebüßt, weil er in irgendsoein "Steuervermeidungssystem" verwickelt war. Naja, wenn ich die Chance hätte irgendwie das Steuernzahlen zu vermeiden, dann würde ich das wohl auch machen.
Auf jedenfalls wollte ich gerade ein paar Worte mit ihm wechseln, als mir auffiel, wer da noch an seinem Tisch saß. Und da verschlug es mir die Sprache. Es war Stephen Hawking. DER Stephen Hawking. Einer der brilliantesten Köpfe unserer Zeit.
Für eine Minute oder so stand ich einfach nur da und kam mir total blöd vor. Offensichtlich kann sich der ganzkörpergelähmte Hawking nur durch einen Computer verständlich machen - und ich hatte keine Ahnung, wie oder ob ich ihn begrüßen sollte. Ich muss sagen, dass Jimmy Carr mal kurz die Situation rettete. Er fragte, ob ich gerne ein Foto machen würde - ich nickte so heftig, dass meine Nackenwirbel knackten - und dann übernahm er das Ruder. Gab meine Kamera zu irgendjemandem und zog mich in die Mitte zwischen sich und Stephen Hawking. Das Foto des Jahrhunderts.


UN-GLAU-BLICH!!!!

Ich hatte später, als ich meine Sprache wiederfand, noch kurz die Gelegenheit mich bei Jimmy Carr zu bedanken. Was für ein netter, netter Mann.
Der Rest des Abends verlief irgendwie in einem nebligen Schleier für mich. Ich holte mir einen Drink und schwang das Tanzbein auf der Afterparty


Gegen halb zwei Nachts taten meine Füße weh, aber richtig. Gut, dass die Taxis draußen bereitstanden. Noch eine halbe Stunde fahrt durch das nächtliche London, dann hatte ich die kunterbunte Bonbonwelt von Stars und Sternchen endgültig verlassen, und schloss ein wenig erleichtert die Tür zur Wohnung unter dem Dach auf. Viel zu nervenaufreibend, diese Promiwelt. Aber gut, es einmal erlebt haben zu dürfen.




Sonntag, 4. November 2012

Immer wieder Sonntags...

...isst der Engländer Roast Dinners.

Mit nichts kann ich dem Gawjus eine größere Freude machen, als mit einem Roast Dinner. Der Sonntagsbraten ist Tradition. Damit wächst man hier auf.

Hier die genauen Bestandteile:


 Das Fleisch ist austauschbar mit Huhn, Truthahn oder Lamm, aber die Beilagen sind im Großen und Ganzen immer dieselben. Naja, bei uns jedenfalls. Pastinaken, yum!

Natürlich hat man nicht jeden Sonntag Zeit und Lust sich in die Küche zu stellen und aufwendig ein gutes Roast Dinner zusammenzubrutzeln. Vor allem die Röstkartoffeln sind eine Kunst für sich. Erst für einige Zeit kochen, und zu irgendeinem geheimen Zeitpunkt - den ich immer verpasse - in heißes Gänsefett schütten - das ich nie verwendel - und werden dann noch für geheime Zeit im Ofen gebacken und immer wieder gewendet und mit dem heißen Fett/Öl beträufelt... viel zu anstrengend... und das waren dann nur die Kartoffeln. Auch die Pastinaken wollen im Ofen zur Perfektion geröstet werden. Das Gemüse muss gekocht werden, die Yorkshire Puddings aufgebacken - wenn man ganz viel Zeit und Utensilien hat, kann man die bestimmt auch selbst machen, aber so weit bin ich noch nicht - das Fleisch zerlegt, die Soße gekocht - auch wenn der herkömmliche Engländer da nur ein paar Löffeln Soßengranulat in heißem Wasser auflöst. Und Stunden später hat man es dann endlich geschafft, um innerhalb weniger Minuten das Kunstwerk wieder zu vernichten. Mampf.

Viele Pubs bieten Sonntagsbraten an. Und dann gibt es noch sogenannte Carveries. Das heißt in diesen Pubs bekommt man eine Art Sonntagsbuffet für erfreulich wenig Geld. Man bekommt einen Teller, stellt sich an einer Theke an, und sucht sich erstmal sein Fleisch aus. Hinter der Theke stehen Kerle mit riesigen Messern und säbeln das Gewünschte von gigantischen Tierhintern ab und klatschen es auf den entgegengestreckten Teller, der damit schonmal fast halbvoll ist. Ein Würstchen wird noch dazugesteuert und ein Klumpen Stuffing. Meistens besteht die Füllung aus Stärke mit Zwiebel und Salbei. Mensch, klingt das unappetitlich, ist aber lecker. Ach ja, und ein himmelschreiend riesiger Yorkshirepudding, der wie ein unförmiger Pfannkuchen gleich mal die andere Seite des Tellers einnimmt.
Man begibt sich dann zum Rest des Buffets, wo die Beilagen angerichtet sind: Blumenkohl in Käsesoße, Kartoffeln auf allen erdenklichen Zubereitungsarten, Möhren, Pastinaken, Bohnen... irgendwie wird noch ein wenig Gemüse auf den proppevollen Teller verteilt, und Bratensoße darüber geleert. Wenn man es dann schafft, seinen Teller zu einem Tisch zu schaffen, dann kann das Fest losgehen. Aber diese Fresserei ist echt übel, und ich esse doch lieber selbstgemachtes Roast Dinner.

Den (nicht vorhandenen) Sommer über hatten wir fast nie Sonntagsbraten, aber jetzt geht die Saison wieder los. Kalte und Nasse Sonntagnachmittage auf dem Sofa während der Bratengeruch durch das Haus zieht. Hach. Bald ist Weihnachten.

Freitag, 2. November 2012

Choo Choo, I'm a train!

Commuting. Eines der wichtigsten Worte der arbeitenden Beschäftigten in England. Es ist das Wort, das einen morgens zur Arbeit und abends wieder nach Hause bringt. Ob mit Bus, Bahn, oder Fahrrad, jeden Tag wird hier gependelt was das Zeug hält. Die meisten Menschen, die in London arbeiten, wohnen nicht zwangsläufig dort. Somit ist die Pendeldistanz in England erschreckend weit. Ich habe Leute getroffen, die sind jeden Tag insgesamt vier Stunden unterwegs. Erst ein Bus, dann ein Zug, dann eine U-Bahn, noch ein Bus.... am Abend das Ganze wieder zurück. Da geht es mir gar nicht so übel, ich verlasse das Haus genau anderthalb Stunden vor Arbeitsbeginn und brauche nur zwei Züge und dazwischen etwas Wartezeit. Und einen strammen Fußmarsch zum Bahnhof, den ich abends gerne durch einen Bus ersetze.

Commuter sein ist gar nicht so schlecht. Jedenfalls wenn die Verbindungen gut sind, es keine Verspätungen gibt, die Züge sauber und nicht überfüllt... okay dies ist niemals der Fall. Fast jeden Tag gibt es Signalprobleme, Ausfälle, Verspätungen, lange Züge mit 8 Wagons werden gegen kurze 4-Wagon-Züge ausgetauscht, müssen aber irgendwie dieselbe Menge an Personen fassen... es gibt immer irgendwelche Überraschungen, mit denen man als Berufspendler klar kommen muss.

Trotzdem finde ich gut, dass zwischen Haus verlassen und Arbeitsbeginn ein wenig Zeit liegt, in der man den Übersprung schafft. Einfach gemütlich da sitzen und lesen. Jeden Morgen gibt es an den Bahnhöfen eine kostenlose Zeitung - die Metro.



Sehr unterhaltsam - obwohl sehr trashig. Immer wenn man auf ein Foto stößt, das einen jungen glücklichen Menschen in der Blüte seines Lebens zeigt, dann kann man schon sicher sein, dass der dazugehörige Artikel irgendein furchtbares Schicksal enthüllt. Am Besten sind die Leserbriefe, oder eigentlich nur Leser-Sms, bei denen sich manchmal Diskussionen über mehrere Tage hinziehen. Wenn man dann mal einen Tag ohne Metro hat, verliert man den Faden.

Metro dient allerdings nicht nur dem Lesen. Die Zeitung ist ein wahrer Allrounder. Man kann

- sich gegen übelriechenden Atem gegenübersitzenden Commutern abschirmen.
- Blickkontakt vermeiden.
- so tun, als wenn man in die Zeitung vertieft wäre und so seinen Sitz nicht dieser Frau anbieten muss, bei der schlecht erkennbar ist, ob sie schwanger ist oder einfach nur einen dicken Bauch hat.
- schmutzige Sitze vor dem Hinsetzen abdecken, vor allem wenn man sich nicht sicher ist, ob da wirklich ein Kaugummi klebt oder nur jemand mit den Feuerzeug das Polster angesengt hat
- bei vergessenem Regenschirm einfach die Metro über den Kopf legen.

Jeden Tag zur selben Zeit im selben Zug bringt mit sich, dass man langsam die Leute kennenlernt. Natürlich nicht jeden auf angenehme Weise.

Erst gestern hat sich der Schnarcher auf den Sitz mir gegenüber fallen lassen, fiel sofort in seinen allmorgendlichen Tiefschlaf und schnarchte mir mit jedem Atemzug üblen Morgenatem entgegen. Gleich Zeitung für erstgenannten Punkt verwendet.

Dann gibt es noch Sniffer-Man. Ein notorischer Nasehochzieher. Mit festen Schritten kommt er jeden Morgen angerannt, setzt sich in unmittelbare Nähe und lässt das Schnüffelkonzert starten. Alle paar Sekunden ein nervtötendes Schniefgeräusch, bei dem ich innerlich zusammenzucke. Irgendwann habe ich es nicht mehr ausgehalten und meinen Sitzplatz um eine Tür nach hinten verlegt. Dort habe ich jetzt aber die Schminktrulla. Ihre Haare sind jeden Morgen klatschnass. Egal, wie kalt es draußen ist. Sie braucht immer mindestens zwei Sitze. Einen für sich selbst und einen für ihre überdimensionale, koffergroße Handtasche. Aus selbiger zieht sie einen pinken Waschbeutel hervor, und dann kann die allmorgendliche Schminksession auch schon losgehen.
Erst mal Grundierung auftragen und mit so allerlei Püderchen und Cremes eine Basisleinwand schaffen. Es folgen perfekt gerader Lidstrich, Lidschatten und Mascara. So viele Schichten Mascara, dass ihre Wimpern wie tote Spinnenbeine vom Augendeckel abstehen. Danach sind die Haare dran. Brutales Ausbürsten der verknoteten Locken, und Haarüberschuss auf den Boden des Zuges sprinkeln. So jeden zweiten Morgen werden auch noch kurz die Fingernägel gefeilt, und dann sind wir auch schon an der Endstation angekommen.

Schminken. Definitiv auf der Liste der beliebtesten Aktivitäten im Berufsverkehr. Einmal hatte ich jemanden hinter mir sitzen, der im Zug seine Fingernägel geklippst hat. Das war eklig. Ich habe die ganze Zeit gerechnet, dass ich gleich die Nägel durch das ganze Abteil spritzen sehe. Da bin ich schon etwas traumatisiert, seit mir im Bus mal jemand aus Versehen einen künstlichen Fingernagel ins Gesicht geschnippst hat.

Aber dann lernt man einige der lieben Mitpendler dann doch etwas Näher kennen. Man kommt ins Gespräch, meistens durch irgendeine Frechheit der Bahnbetreiber, redet nächstes Mal ein wenig mehr, redet mehr, trifft sich jeden Tag immer im selben Abteil, redet mehr, und dann entsteht so etwas wie eine Pendlerfreundschaft. Wir nennen uns 'Train Buddies'. Andere Pendler schließen sich an - frustriert sein über Verspätungen verbindet - und plötzlich waren wir fünf Leute, alle mit dem selben Zielbahnhof, die sich jeden Morgen gegenseitig aus der Metro vorlasen und von ihren Wochenenden erzählten. Lustig, wie man manchmal Leute kennenlernt. Eines Freitags sind wir alle miteinander ausgegangen, haben auch die nicht zugfahrenden Partner mitgebracht, und so saßen wir da zu zehnt im Pub und haben uns super amüsiert.
Mittlerweile haben drei der Buddies den Job und damit auch die Pendelroute gewechselt, aber wir sind noch in Kontakt - und von einer sogar zur Hochzeit eingeladen!