Montag, 19. April 2010

Tag 365 - 1 Jahr England

Ein Jahr in Zahlen

1 Herz verloren
2 Lebensmittelvergiftungen eingefangen
3 Filme im Kino gesehen
4 Besucher aus Deutschland empfangen
5 Tage am Meer verbracht
6 Kilo zugenommen
7 Paar Schuhe gekauft
8 Bücher gelesen
9 Songs mit der Band einstudiert
10 Prozent Hörfähigkeit eingebüßt
20 verschiedene Thunfischsandwich-Kreationen gegessen
30 Tage in London City verbracht
40 Kohlköpfe aus dem Kühlschrank verbannt
50 Pfund auf der Straße gefunden
60 Episoden Top Gear geschaut
70 Schimpfworte gelernt
80 Konzerte besucht
90 Minuten beim Rugby zugesehen
100 Fahrten im Doppeldeckerbus oben vorne gesessen
200 Liter Snakebite getrunken
300 Lunchboxes gepackt
400 Emails bekommen
500 Hackfressen begegnet
600 Tassen Tee aufgebrüht
700 Kopfläuse getötet
800 Waschmaschinen angeschaltet
900 Meter mit dem Fahrrad zurückgelegt
1000 Stunden im Internet verbracht
2000 Mal dieselbe Mr. Maus Geschichte erzählt
3000 Fotos geschossen
4000 Pfund verdient… und ausgegeben
5000 Dezibel Kindergeschrei ertragen

Zu 1000000% glücklich


<3

Rauch und Asche

Der Eierfellknalljörgkuttel verhindert gerade ernsthaft, dass ich diese Woche Besuch aus Deutschland bekomme.

Na warte, im Oktober fliege ich nach Island und spucke zurück. Rache ist süß.

Dienstag, 13. April 2010

Tag 358 - Roll on the Barrel

Wir waren im Urlaub! Wir, das heißt Mummy + Großsargnagel + Kleinsargnagel und ich. Es war eine ziemlich spontane Aktion. „Morgen fahren wir ans Meer!“, meinte Mummy am Mittwochabend. Zweimal Meer in einer Woche, ich konnte mein Glück kaum fassen. Allerdings, wenn ich eines in dieser Familie gelernt habe, dann niemals einen Plan zu ernst nehmen. Denn erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. So war ich doch überrascht, als ich am nächsten Morgen nach dem Aufstehen die Kids auf gepackten Taschen vorfand. Schnell noch ein paar Sachen in meinen Seesack gestopft, und in Rekordzeit von nur einer Stunde saßen wir auch schon im Auto… das sogar ansprang. „Wo fahren wir eigentlich hin?“, hab ich auf der Autobahn gefragt. „Keine Ahnung“, sagte Mummy und schob zwei, drei Audis von der Überholspur. „Ich dachte du wüsstest einen guten Ort am Channel für uns?“ Ich? Bisher war ich nur einmal in Broadstairs, einem niedlichen Dorf auf einem Landzipfel im Osten. Charles Dickens und Königin Victoria haben dort ihre Ferien verbracht. Allerdings recht langweilig dort und sehr Tennissocken-in-Sandalen-touristisch. Dann war ich in Bognor Regis, von dem mir außer dem eigentümlichen Namen eigentlich gar nichts in Erinnerung geblieben ist. Außer: es war kalt. Und ich hab nicht mal das Meer gesehen. Den Ostersonntag hab ich in Hastings verbracht. Dort ist es toll! Schöne Strandpromenade, Altstadt, Fischerdorf und hohe grasbewachsene Klippen in Inselgrün. Hastings hat auch eine Geschichte: Dort, bzw. in der Nähe, hat das berühmte Battle of Hastings stattgefunden. Im Jahre 1000schlagmichtot haben die Normannen dort mit der Eroberung Englands angefangen und den letzten angelsächsischen König – Harold II – getötet. Hatte ich mal erwähnt, dass die Engländer gar nicht gut auf die Franzosen zu sprechen sind? „Lass uns doch an einen Ort fahren, in dem du noch nicht warst“, schlug Mummy vor und brauste weiterhin ohne Ziel in Richtung Süden. Dann ist mir eingefallen, dass das letzte Mal im Charity Shop eine der alten Ladies von Folkestone erzählt hatte. Ein kleiner Ort in der Nähe von Dover. „Folkestone it is!“, beschloss Mummy und lenkte an der nächsten Abfahrt ein wenig mehr nach Osten. Sie sei dort auch noch nie gewesen. Dank Mummys Fahrstil passierten wir nur 40 Minuten später das Ortsschild. Und da! Das Meer! Ich weiß gar nicht mehr wer lauter jubelte… die Kids oder ich. Glitzernd blau lag es vor uns. Ich liebe das Meer. Wenn ich die Wellen höre und die Algenluft rieche, dann komme ich in einer anderen Welt an. Eigentlich eine Schande, dass ich im letzen Jahr nur einen Tag am Meer verbracht habe. Es ist so nah… nur eine Stunde mit dem Zug. 45 Minuten mit dem Auto. Folkestone war auf den ersten Blick nichts Besonderes. Ein schöner Hafen, viel Strand, aber egal in welche Richtung man sich drehte, ständig sprang einem dieser hässliche Gebäudeklotz ins Auge, der sich bei näherem Betrachten als Hotel herausstellte. Raus aus dem Auto, runter zum menschenleeren Strand. Das Wetter hätte besser nicht sein können. Strahlend blauer Himmel, Sonnenschein, bestimmt 15 Grad, T-Shirt-Wetter. Aber das Wasser! Lieber Himmel, ich konnte fühlen wie sich alle Gefäße zusammenzogen. Das tat so weh. Eiskalt. Egal, da muss man durch. Die Sargnägel haben sich gleich reingestürzt. Wir haben Stunden am Strand verbracht. Immer die gleichen Steinwerfspiele, die Felsen hochgeklettert, Sandburgen gebaut, vor den Wellen geflüchtet. „Hier könnte ich es ein paar Tage aushalten“, seufzte Mummy. Da wusste ich noch nicht, dass es gar nicht so unernst gemeint war. Hier, auf allen drei Bildern ist der Hotelklotz zu sehen. Zum Mittagessen sind wir dann tatsächlich in das Hässlichklotz Hotel, weil dort All you can eat für 5 Pfund pro Person angeboten wurde. Wenn das mal kein Angebot war? Mummy verschwand während des Desserts plötzlich. Nach einer halben Ewigkeit kam sie wieder… mit einem Zimmerschlüssel. ÜBERRASCHUNG! „Wir bleiben zwei Nächte!“, strahlte sie. Das war wirklich eine Überraschung. Insgeheim war ich sehr dankbar, dass ich am Morgen aus einem seltsamen Gefühl heraus mehr Sachen als eigentlich benötigt eingepackt hatte. Zusätzlich stellt meine Handtasche ein zweites Badezimmer dar, so dass ich damit eigentlich spontan zwei Wochen in Campingurlaub fahren könnte. Wir stellten ziemlich schnell fest, warum die Lady im Charity Shop so von diesem Ort geschwärmt hatte. Im Restaurant sah man ausschließlich weiß- und grauhaarige Köpfe. Am Abend wurde im Ballsaal ganz kreuzfahrtschifflike Bingo gespielt, unterrahmt von der Beer Barrel Polka für die alten Kriegsveteranen. Am ersten Abend sind wir lieber seeluftgesättigt ins Bett gefallen, aber am zweiten Abend haben die Kids in den Ballsaal gedrängt. „Can we watch the Bingo movie now?“, fragte Klein Sargnagel zur allgemeinen Belustigung. Können wir uns jetzt den Bingo Film ansehen? Noch kurz schick gemacht so gut es ging, eine Flasche Wein geordert und ab zum… Tanztee. Bingo fiel aus. In Rumba, Cha Cha und Foxtrott steppten die Senioren über die Tanzfläche. Ab und zu mussten sie dem einen oder anderen Gehwägelchen ausweichen. Wir haben mehr Wein bestellt. Woraufhin ich mit Groß Sargnagel auch noch das Tanzbein geschwungen habe. Eine kurze Runde Bingo folgte. Zu meiner Enttäuschung rief gar niemand BINGO. Die Alten meldeten sich mit einem knurrigen „Right!“, wenn sie eine Zahlenreihe hatten. Halbnackte Mädchen mit Glitzerlidschatten tanzten ein Cabaret, bevor die Disco gegen 22 Uhr losging. Das war das Stichwort für die Senioren, sich in Richtung Ausgang zu schieben. Wir belegten die vereinsamte Tanzfläche noch für eine ganze Stunde, bevor auch dieser Tag ausgepowert im Bett endete. Eigentlich hab ich nicht viel von Folkestone gesehen. Die Sargnägel haben nichts anderes als Strand akzeptiert. Nur am zweiten Tag hab ich mal einen langen Spaziergang mit Groß Sargnagel auf die Klippen unternommen, als Klein Sargnagel einen Mittagschlaf brauchte. Eigentlich ist Folkestone schon sehr schön gelegen. Wenn nur die Leute nicht so schlimm wären. Man hat das Gefühl in einem 80er Jahre Hooligan Film gelandet zu sein, in dem die Tracksuitträger bierflaschenwerfend durch die Straßen pöbeln und sich zum Ausschlafen des Vormittagsrausches auf die Felsen am Strand legen. Viel zu viel gelangweilte Jugendliche lungern auf den Bänken der Promenade herum, trinken Wodka aus der Flasche, während ihre ramsnasigen Bullterrier die Produkte der Teenagerschwangerschaften im Buggy bewachen. RTL würde hier Doku-Soaps finden. Die paar Tage Nichtstun waren sehr entspannend. Ich lag ewig am Strand und hab den Wellen zugehört. Dazu natürlich einen ordentlichen Sonnenbrand eingefangen, der mein Gesicht jetzt noch mit schönem Rotstich erstrahlen lässt. Egal, aus rot wird braun. Den Kids hat die Luftveränderung auch gut getan. Klein Sargnagel konnte sein Pinkelverhalten voll ausleben… wie ein Hündchen hat er jeden Felsen markiert. Ich glaube, er hat jetzt ein besseres Gespür dafür, wann er aufs Klo muss und verkneift es nicht immer so lange, bis es zu spät ist. Man wird sehen. Groß Sargnagel hatte in den letzten Wochen sowieso einen Wachstums- und Entwicklungsschub. Sie verbringt gerade total gerne Zeit mit mir alleine und wir reden über Gott und die Welt. Sie ist mit mir drei Stunden die Klippen rauf und runter gelaufen ohne jammern, quengeln oder zicken. Dafür hab ich ihr danach ein riesiges Eis spendiert. Übrigens rückt Tag 365 näher! Wobei ich denke, dass ich mich mal um drei Tage verrechnet habe, denn eigentlich bin ich letztes Jahr am 17. April hier angekommen. Das ist nach meiner Berechnung Tag 362. Den Jubiläumsbericht gibt’s dann einfach irgendwie so um den Dreh.

Montag, 5. April 2010

Happy Easter!

Karfreitag: Think Floyd, Croydon





Karsamstag: Knole Park, Sevenoaks





Ostersonntag: English Channel, Hastings








Ostermontag: Toad in the hole

Donnerstag, 1. April 2010

Tag 346 - All I have to do is dream

Harte körperliche Arbeit… gut, Charity Shop ist nicht Kanalarbeit. Aber es bringt ein wenig Abwechslung in den Alltag.
Vier Vormittage habe ich bisher dort verbracht und bin von den Ladies recht freundlich, aber noch etwas zurückhaltend aufgenommen worden. Komisch, es sind dort komplett andere Englischkenntnisse gefragt, als wenn ich mich zum Beispiel mit jemandem im Pub unterhalte. Mir fehlen manchmal die Vokabeln zum super höflich und seriös rüberkommen. Ich merke, dass die Damen sich gerade noch sehr vorsichtig an mich herantasten, weil ich ihnen mit der trampelnden Hallo-hier-bin-ich-was-liegt-an-Einstellung wohl nicht ganz geheuer bin. Also schraube ich einen Gang zurück, rede nur, wenn es wirklich passt, höre zu, beobachte, lächle und versuche alles das ich erklärt bekomme gleich richtig umzusetzen. Ich vermeide jegliche Fluch- und Coolnesswörter und entschuldige mich höflich, wenn mir jemand auf den Fuß tritt.
Und ja, das Verhältnis wird wärmer.

Die Ladies sind faszinierend ladyhaft. Mit der Spitze des Löffels vermischen sie Milch mit Tee und nippen genießerisch an den geblümten Tassen, als wäre es ein Dom Pérignon. Die wichtigste Frage des Tages ist: „Hat jemand ein Bicky? Bicky? Anybody? No?“ Dann werden die koffergroßen Handtaschen gezückt und der Fragerin Kekspackungen in allen Farben und Größen angeboten. Hmm, Bickies! Von Oreo über Bourbon bis Mc Vities Digestive. Kekse!
Die Gesprächsthemen sind meistens die Kinder, die Enkel, und die werten Gatten. Nur Ayleen, die Älteste, redet gerne über Fußball und Tiere.
Sie sind nicht alle jenseits der 70, die Ladies. Eigentlich nur zwei oder drei. Der Rest befindet sich im Alter zwischen 40 und 60 und haben typische Namen wie Sheila, Jane und Maureen. Dann gibt es noch einen 19jährigen Arbeitssuchenden namens Kevin, der seine Langeweile ganz gerne mit den größten Keksen erschlägt. Er ist Gesprächsthema Nummer 4 – allerdings in Abwesenheit – weil er den Damen gerne Unordnung und Chaos hinterlässt.

Jane ist die Managerin des Ladens. Eigentlich macht sie nichts anderes als die anderen auch – Tee löffeln und Bickies tunken – aber sie hat das Privileg, die Schaufensterpuppen anzukleiden. Und tut dies auch mit einer Leidenschaft, als würde sie für Dolce & Gabbana dekorieren und nicht für die Cancer Research.
Sie sieht immer aus wie aus dem Ei gepellt. Hohe Lackstiefel, trendige Longshirts, jede Menge Accessoires. So klimpert sie durch das Ladengeschäft, korrigiert hier und da die Position eines Kleiderbügels und strahlt kühle Autorität aus. Ich fühle mich immer unwohl, wenn sie über meine Schulter schaut. Was aber auch damit zusammenhängen kann, dass ich eine Vorgesetztenallergie habe. Ich hasse Chefs. Nie wieder will ich unter jemandem arbeiten, der das Weiße in seinen Pickeln noch menschlicher behandelt als mich.

Die eigentliche Arbeit ist recht entspannt. Jeden Tag werden mal mehr, mal weniger Plastiktüten hereingegeben, gefüllt mit den verschiedensten Dingen. Bücher, CDs, Kleidung, Haushaltsgegenstände, Müll. Die auszuräumen ist mein Lieblingsjob. Ich liebe das weihnachtsähnliche Gefühl, nicht zu wissen, was aus den Tüten zum Vorschein kommen wird. Das ist wie aus tiefer See eine Kiste zu bergen, und den spannenden Moment des Öffnens richtig auszukosten. Um dann einen Haufen zerkauter Schuhe zu finden. Aber die Aufregung war es Wert.
Alles Nippes – und Trödelzeug wird bric-a-brac genannt. Ich schau mir alles an, und werfe sofort weg, was irgendwelche Schäden oder eklige Verschmutzungen hat. Der Rest wird in ein überquellendes Regal gestellt und wartet auf weitere Verwendung.
Dann schreibe ich Preisschilder für Sachen, die sofort ins Verkaufsregal kommen. Beim bric-a-brac tu ich mich sehr schwer. Wenn eine scheusslich hässliche Vase dabei ist in Form eines pinken Truthahns im Taucheranzug, dann schießt mir in den Kopf… wer bitte bezahlt da Geld dafür? Und gerade wenn ich ein knappes Pfund auf das Preisschild schreiben will, kommt eine Lady um die Ecke geschossen „Oooooh, ist die aber schön! Maureen hast du die Vase gesehen? Ja? Hat Jane die Vase gesehen? Jane, hast du die Vase gesehen?“ Und dann stehen sie alle um mich versammelt mit Ooohs und Aaaahs und Jane sagt: „Schreib 4 Pfund für die Vase. Nein, mach 5.“
Okay. Geschmäcker gehen auseinander. Ich muss auch lernen, wie man Glas und Kristall unterscheidet. Da gibt es wohl eine Technik, das Objekt mit dem Fingernagel anzuschnipsen und auf das PING zu hören. Und warum eine Teekanne mit Rosenmuster mehr Wert ist, als Kannen mit Pfirsichen drauf.

Am Liebsten arbeite ich mit den Klamotten. Hier wird auch erst das Schlechte aussortiert, und das Gute verwendet. Mit einer Etikettierpistole schieße ich Preisschilder durch die Labels, beschrifte diese mit Größe und Tagescode und klippse ein farbiges Plastikwürfelchen für die jeweilige Größe an den Kleiderbügel. Wenn ich eine gute Menge beisammen habe, nehme ich die Sachen mit zum Dampfbügler. Und hier bin ich wirklich an meiner Lieblingsbeschäftigung angekommen. Steaming! Der Apparat sieht aus wie ein Staubsauger und auf dem Kopfteil strömt heißer Wasserdampf. Die Kleidungsstücke werden aufgehängt und ganz bequem bis zur Knitterfreiheit bearbeitet. Währenddessen einfach Hirn ausschalten und das befriedigende Gefühl genießen, wenn die Falten ganz ohne Widerworte, „I wont!“ oder „I wanna watch TV“ verschwinden. Herrlich.

Und auch wenn es unbezahlt ist, ich glaube die Charity Sache bringt mir auf jeden Fall etwas. Man sollte einfach jede Chance nutzen, neue Erfahrungen zu sammeln.

Übrigens hat mich meine neue Carpe-Diem-Lebenseinstellung dieses Wochenende einen Flug für Oktober buchen lassen. Jetzt ist einfach Schluss mit vor sich hinträumen… Handlung ist angesagt! Ich weiß, ich hab es schon einigen Leuten erzählt, aber vielleicht mag ja jemand raten, wo es in 6 Monaten und 23 Tagen hingeht.
Mal soviel: Es ist eine Insel. Es ist heiß. Trotzdem brauche ich warme Kleidung. Ich träume davon schon seit meiner Kindheit.
Na?