Dienstag, 13. April 2010

Tag 358 - Roll on the Barrel

Wir waren im Urlaub! Wir, das heißt Mummy + Großsargnagel + Kleinsargnagel und ich. Es war eine ziemlich spontane Aktion. „Morgen fahren wir ans Meer!“, meinte Mummy am Mittwochabend. Zweimal Meer in einer Woche, ich konnte mein Glück kaum fassen. Allerdings, wenn ich eines in dieser Familie gelernt habe, dann niemals einen Plan zu ernst nehmen. Denn erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. So war ich doch überrascht, als ich am nächsten Morgen nach dem Aufstehen die Kids auf gepackten Taschen vorfand. Schnell noch ein paar Sachen in meinen Seesack gestopft, und in Rekordzeit von nur einer Stunde saßen wir auch schon im Auto… das sogar ansprang. „Wo fahren wir eigentlich hin?“, hab ich auf der Autobahn gefragt. „Keine Ahnung“, sagte Mummy und schob zwei, drei Audis von der Überholspur. „Ich dachte du wüsstest einen guten Ort am Channel für uns?“ Ich? Bisher war ich nur einmal in Broadstairs, einem niedlichen Dorf auf einem Landzipfel im Osten. Charles Dickens und Königin Victoria haben dort ihre Ferien verbracht. Allerdings recht langweilig dort und sehr Tennissocken-in-Sandalen-touristisch. Dann war ich in Bognor Regis, von dem mir außer dem eigentümlichen Namen eigentlich gar nichts in Erinnerung geblieben ist. Außer: es war kalt. Und ich hab nicht mal das Meer gesehen. Den Ostersonntag hab ich in Hastings verbracht. Dort ist es toll! Schöne Strandpromenade, Altstadt, Fischerdorf und hohe grasbewachsene Klippen in Inselgrün. Hastings hat auch eine Geschichte: Dort, bzw. in der Nähe, hat das berühmte Battle of Hastings stattgefunden. Im Jahre 1000schlagmichtot haben die Normannen dort mit der Eroberung Englands angefangen und den letzten angelsächsischen König – Harold II – getötet. Hatte ich mal erwähnt, dass die Engländer gar nicht gut auf die Franzosen zu sprechen sind? „Lass uns doch an einen Ort fahren, in dem du noch nicht warst“, schlug Mummy vor und brauste weiterhin ohne Ziel in Richtung Süden. Dann ist mir eingefallen, dass das letzte Mal im Charity Shop eine der alten Ladies von Folkestone erzählt hatte. Ein kleiner Ort in der Nähe von Dover. „Folkestone it is!“, beschloss Mummy und lenkte an der nächsten Abfahrt ein wenig mehr nach Osten. Sie sei dort auch noch nie gewesen. Dank Mummys Fahrstil passierten wir nur 40 Minuten später das Ortsschild. Und da! Das Meer! Ich weiß gar nicht mehr wer lauter jubelte… die Kids oder ich. Glitzernd blau lag es vor uns. Ich liebe das Meer. Wenn ich die Wellen höre und die Algenluft rieche, dann komme ich in einer anderen Welt an. Eigentlich eine Schande, dass ich im letzen Jahr nur einen Tag am Meer verbracht habe. Es ist so nah… nur eine Stunde mit dem Zug. 45 Minuten mit dem Auto. Folkestone war auf den ersten Blick nichts Besonderes. Ein schöner Hafen, viel Strand, aber egal in welche Richtung man sich drehte, ständig sprang einem dieser hässliche Gebäudeklotz ins Auge, der sich bei näherem Betrachten als Hotel herausstellte. Raus aus dem Auto, runter zum menschenleeren Strand. Das Wetter hätte besser nicht sein können. Strahlend blauer Himmel, Sonnenschein, bestimmt 15 Grad, T-Shirt-Wetter. Aber das Wasser! Lieber Himmel, ich konnte fühlen wie sich alle Gefäße zusammenzogen. Das tat so weh. Eiskalt. Egal, da muss man durch. Die Sargnägel haben sich gleich reingestürzt. Wir haben Stunden am Strand verbracht. Immer die gleichen Steinwerfspiele, die Felsen hochgeklettert, Sandburgen gebaut, vor den Wellen geflüchtet. „Hier könnte ich es ein paar Tage aushalten“, seufzte Mummy. Da wusste ich noch nicht, dass es gar nicht so unernst gemeint war. Hier, auf allen drei Bildern ist der Hotelklotz zu sehen. Zum Mittagessen sind wir dann tatsächlich in das Hässlichklotz Hotel, weil dort All you can eat für 5 Pfund pro Person angeboten wurde. Wenn das mal kein Angebot war? Mummy verschwand während des Desserts plötzlich. Nach einer halben Ewigkeit kam sie wieder… mit einem Zimmerschlüssel. ÜBERRASCHUNG! „Wir bleiben zwei Nächte!“, strahlte sie. Das war wirklich eine Überraschung. Insgeheim war ich sehr dankbar, dass ich am Morgen aus einem seltsamen Gefühl heraus mehr Sachen als eigentlich benötigt eingepackt hatte. Zusätzlich stellt meine Handtasche ein zweites Badezimmer dar, so dass ich damit eigentlich spontan zwei Wochen in Campingurlaub fahren könnte. Wir stellten ziemlich schnell fest, warum die Lady im Charity Shop so von diesem Ort geschwärmt hatte. Im Restaurant sah man ausschließlich weiß- und grauhaarige Köpfe. Am Abend wurde im Ballsaal ganz kreuzfahrtschifflike Bingo gespielt, unterrahmt von der Beer Barrel Polka für die alten Kriegsveteranen. Am ersten Abend sind wir lieber seeluftgesättigt ins Bett gefallen, aber am zweiten Abend haben die Kids in den Ballsaal gedrängt. „Can we watch the Bingo movie now?“, fragte Klein Sargnagel zur allgemeinen Belustigung. Können wir uns jetzt den Bingo Film ansehen? Noch kurz schick gemacht so gut es ging, eine Flasche Wein geordert und ab zum… Tanztee. Bingo fiel aus. In Rumba, Cha Cha und Foxtrott steppten die Senioren über die Tanzfläche. Ab und zu mussten sie dem einen oder anderen Gehwägelchen ausweichen. Wir haben mehr Wein bestellt. Woraufhin ich mit Groß Sargnagel auch noch das Tanzbein geschwungen habe. Eine kurze Runde Bingo folgte. Zu meiner Enttäuschung rief gar niemand BINGO. Die Alten meldeten sich mit einem knurrigen „Right!“, wenn sie eine Zahlenreihe hatten. Halbnackte Mädchen mit Glitzerlidschatten tanzten ein Cabaret, bevor die Disco gegen 22 Uhr losging. Das war das Stichwort für die Senioren, sich in Richtung Ausgang zu schieben. Wir belegten die vereinsamte Tanzfläche noch für eine ganze Stunde, bevor auch dieser Tag ausgepowert im Bett endete. Eigentlich hab ich nicht viel von Folkestone gesehen. Die Sargnägel haben nichts anderes als Strand akzeptiert. Nur am zweiten Tag hab ich mal einen langen Spaziergang mit Groß Sargnagel auf die Klippen unternommen, als Klein Sargnagel einen Mittagschlaf brauchte. Eigentlich ist Folkestone schon sehr schön gelegen. Wenn nur die Leute nicht so schlimm wären. Man hat das Gefühl in einem 80er Jahre Hooligan Film gelandet zu sein, in dem die Tracksuitträger bierflaschenwerfend durch die Straßen pöbeln und sich zum Ausschlafen des Vormittagsrausches auf die Felsen am Strand legen. Viel zu viel gelangweilte Jugendliche lungern auf den Bänken der Promenade herum, trinken Wodka aus der Flasche, während ihre ramsnasigen Bullterrier die Produkte der Teenagerschwangerschaften im Buggy bewachen. RTL würde hier Doku-Soaps finden. Die paar Tage Nichtstun waren sehr entspannend. Ich lag ewig am Strand und hab den Wellen zugehört. Dazu natürlich einen ordentlichen Sonnenbrand eingefangen, der mein Gesicht jetzt noch mit schönem Rotstich erstrahlen lässt. Egal, aus rot wird braun. Den Kids hat die Luftveränderung auch gut getan. Klein Sargnagel konnte sein Pinkelverhalten voll ausleben… wie ein Hündchen hat er jeden Felsen markiert. Ich glaube, er hat jetzt ein besseres Gespür dafür, wann er aufs Klo muss und verkneift es nicht immer so lange, bis es zu spät ist. Man wird sehen. Groß Sargnagel hatte in den letzten Wochen sowieso einen Wachstums- und Entwicklungsschub. Sie verbringt gerade total gerne Zeit mit mir alleine und wir reden über Gott und die Welt. Sie ist mit mir drei Stunden die Klippen rauf und runter gelaufen ohne jammern, quengeln oder zicken. Dafür hab ich ihr danach ein riesiges Eis spendiert. Übrigens rückt Tag 365 näher! Wobei ich denke, dass ich mich mal um drei Tage verrechnet habe, denn eigentlich bin ich letztes Jahr am 17. April hier angekommen. Das ist nach meiner Berechnung Tag 362. Den Jubiläumsbericht gibt’s dann einfach irgendwie so um den Dreh.

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