Montag, 22. Februar 2010

Tag 309 - I won't!

Was mach ich eigentlich den ganzen Tag? Stimmt, ich bin viel unterwegs und auch oft im Pub. Aber hier muss ich doch betonen, dass mein Job als Au Pair ganz unbedingt an erster Stelle steht und mich auch ordentlich einspannt. Mummy hat im Oktober die Arbeitsstelle gewechselt und arbeitet keine Schicht mehr, sondern hat eine normale von-morgens-bis-abends Arbeitswoche. Sie macht zwar immer eine Menge Überstunden, aber die kann sie dann so abfeiern, dass ich alle zwei Wochen mal einen Tag frei habe. Auch die Wochenenden sind frei. Trotzdem ist das Leben als Au Pair nicht mit einem Urlaub zu vergleichen. Kinder sind Arbeit! Wenn ich in den Schulferien den ganzen Tag mit ihnen verbringe, bin ich am Abend geschreddert und habe einen Pfeifton im Ohr. Auch die normalen Schulwochen powern aus und saugen an den Energiereserven. Bei mir sieht ein normaler Wochentag so aus: 06.15 Uhr: Mummy verlässt das Haus 06:45 Uhr: spätestmöglichster Termin um aufzustehen, kurzer Besuch im Badezimmer 07:00 Uhr: Sargnägel wecken. Manchmal einfacher, manchmal schwieriger. Ist letzteres der Fall, krampfhaft nach Motivationsideen suchen. Warum gibt’s keine Adventskalender für die restlichen Monate des Jahres? 07:15 Uhr: Groß Sargnagels Duschwasser in die richtige Temperatur bringen und die Schuluniformen zurechtlegen 07:20 Uhr: Die Bettwäsche von Groß Sargnagel in die Waschmaschine stopfen (Bettnässerkind) und einschalten 07:25 Uhr: Klein Sargnagel ans Anziehen erinnern, Groß Sargnagel suchen und immer noch unter der Dusche vorfinden 07:30 Uhr: Groß Sargnagel ans Anziehen erinnern, Klein Sargnagels Hemd zuknöpfen und Gürtel einfädeln 07:35 Uhr: Groß Sargnagels Hemd zuknöpfen, ihre Haare einigermaßen ordentlich zu einer Frisur verwandeln 07:40 Uhr: Kids äußern ihre Frühstückswünsche 07:45 Uhr: Frühstück, Lunchboxes fertig machen 08:05 Uhr: Sargnägelchen zum Zähne putzen und Gesicht waschen ins Bad schicken 08:10 Uhr: Büchertaschen und Lunchboxes an der Haustür deponieren, Kids davon abhalten einen Zahnbürstenkampf auszutragen 08:15 Uhr: Schuhe und Jacke anziehen, Schal, Mütze, Handschuhe 08:20 Uhr: Wir verlassen das Haus 08:40 Uhr: Ankunft an der Schule. Jedem die richtige Büchertasche und Lunchbox mitgeben, winken 09:00 Uhr: Zurück Zuhause. Groß Sargnagels gewaschene Bettwäsche aufhängen. Das wäre jetzt allerdings der Idealfall. Aber meine Sargnägel wären keine Sargnägel, wenn sie sich nicht jeden Tag etwas Neues einfallen lassen würden um den Morgenablauf komplett durcheinander zu bringen. Da könnte es zum Beispiel vorkommen, dass die Kids vor mir aufwachen. Wecken würden sie mich niiiiie, es macht doch viel mehr Spaß auf Zehenspitzen nach unten zu schleichen, den Fernseher einzuschalten und alle Küchenschränke nach Süßigkeiten zu durchsuchen. Und wenn es nur die Schokolade für Kuchenglasur ist. Oder Kaba Pulver. Und wenn ich dann aufstehe, finde ich in der oberen Etage leere Betten und in der Unteren zwei TV-Zombies im Schlafanzug mit verschmierten Mündern. Und mindestens einer von ihnen bricht in lautes Geheule aus, wenn ich kurzerhand den Fernseher ausschalte und die Frühaufsteher nach oben schicke um sich für die Schule fertig zu machen. Meistens ist es der Kleine, der sich dann mit seinem im Zuckerrausch noch größeren Sturkopf weigert das Sofa zu verlassen. Erste Herausforderung des Tages. Allerdings springt er ganz gut auf Paradoxe Intervention an, das heißt, wenn ich ihm mit strengster Stimme BEFEHLE auf dem Sofa sitzenzubleiben und sich ja nicht davon wegzubewegen, dann ist er grundsätzlich der Erste auf der Treppe. Kleiner Sargnagel hat gerade das Weigern entdeckt. Und so weigert er sich momentan gegen alles. „I WON’T!“ bekomme ich am Morgen sehr oft zu hören. Geschrieen, geheult, gekreischt, mit trotzig vorgeschobenem Kinn, verschränkten Armen und stampfendem Fuß. Hemd anziehen? I WON’T! Frühstücken? I WON’T! Zähne putzen? I WON’T! I WANNA WATCH TV I WANT SUGAR IN MY CORNFLAKES I DON’T WANT TO GO TO SCHOOL Dann findet das statt, was ich einen Fight nenne. Nicht körperlich, sondern psychisch. Ich glaube, wenn Klein Sargnagel und ich Charaktere aus Ben 10 Alienforce wären, könnte man unsere Engergiefelder aufeinanderprallen sehen. Ich bin nämlich genau so stur wie der kleine 4-jährige Dickschädel und werde niemals zulassen, dass er sich durchsetzt, obwohl ich es so viel leichter haben könnte, wenn ich doch einfach diesen verdammten Zucker in die Cornflakes schütten würde und das Zähneputzen abschaffen und den Fernseher einschalten, damit ich einen regungslosen TV-Zombie in fünf Minuten kurz ankleiden könnte. Aber nee, Fight. Und ich gewinne grundsätzlich. Wenn ich dann allerdings um 9 Uhr von der Schule wiederkomme, dann fühle ich, wie viel Energie der Morgen gekostet hat, und muss mich kurz aufs Sofa fallen lassen. Nicht sehr lange, denn schon nach ein paar Sekunden spür ich bestimmt was Klebriges und finde ein angelutschtes Karamellbonbon an meiner Jeans kleben. Was mich dann genug motiviert, das Sofa auszuschütteln, den Staubsauger auszupacken und erstmal Ordnung zu machen. Eigentlich muss ich sagen, haben Mummy und ich keine Regelung wer was im Haushalt macht oder wie oft in der Woche was gemacht werden soll. Ich nutze die Zeit wenn die Kinder in der Schule sind, um eine gewisse Grundordnung herzustellen, in der man sich wohlfühlen kann. Mummy ist leider hoffnungslos chaotisch, das ist glaub ich auch der Grund, warum sie von mir nicht erwartet alles tip top auf Vordermann zu bringen. Ich mach halt jeden Tag etwas, manchmal mehr, manchmal weniger. Die Kids haben immer frische Wäsche im Schrank, die Küche ist sauber, das Klo geputzt. Das sind so meine Schwerpunkte fürs absolute Minimum. Ich habe keine richtigen „Arbeitszeiten“. Wenn Mummy arbeitet, dann bin ich für die Kinder da. Das ist die ganze Abmachung. Wenn die Kids in der Schule sind, kann ich putzen, in die Stadt fahren, schlafen, das Internet leersurfen, aufräumen, in die Bücherei gehen, einkaufen, schon mal für den Abend vorkochen… es ist mir selbst überlassen. Unglaublich, wie schnell 6 Stunden vorbeigehen. Pünktlich um 15:00 lauf ich dann los und hol die Sargnägelchen wieder von der Schule ab. Wenn das Wetter mitspielt, gehen wir oft noch für eine Stunde auf den in Schulnähe gelegenen Spielplatz. Zuhause wird dann gespielt, gebastelt, Hausaufgaben gemacht, Lesen und Schreiben geübt, bis ich um 17:30 anfange zu kochen. Währenddessen gibt es meistens eine halbe Stunde Fernsehen für die Sargnägel, wenn ich sie nicht zum helfen motivieren kann. Aber Ben 10 Alienforce ist ja viiiiiel spannender. So um 18:00 Uhr esse ich gemeinsam mit den Kids und wir machen so lange Quatsch am Esstisch, bis Mummy um 18:30 nach Hause kommt. Dann stellt sie sich noch kurz ihren Teller in die Mikrowelle und wir tauschen uns über den Tag aus. Die Sargnägel ziehen gegen 19:00 Schlafanzüge an und putzen ihre Zähne. Noch schnell die Küche sauber machen, dann bin ich ab 19:30 FREEEEI und Mummy macht die Bettroutine. Mittwochs geh ich dann in die Bandprobe und fast jeden Donnerstag in den Pub. So, vielleicht nicht ganz so unterhaltsam, aber mal ein kurzer Einblick in meinen Sargnagel-Alltag.

Zeigt her eure Füße...

Vor gut zwei Wochen hab ich hier mit einem Besucherzähler aufgerüstet, weil mich einfach interessiert hat, wie viele Leute sich täglich auf meinen Blog verirren. Das Ding ist wirklich ein nettes kleines Spielzeug. Ich seh nicht nur, wie viele es sind, sogar auch von welcher Seite weitergeleitet wurde oder ob es eine Direkteingabe oder Lesezeichenlink war.
Im Schnitt sind es pro Tag so 8 Besucher, von denen 6 über das Lesezeichen oder Eingabe reinschneien. Und immer wieder kommt es vor, dass jemand über Google bei mir landet.

Sehr beliebt bei Bloggern ist von Zeit zu Zeit die seltsamsten Suchbegriffe zu posten, über die der Blog gefunden wurde.
Ich werde das jetzt auch ab und zu machen, obwohl ich mich jetzt nicht wirklich als "Blogger" bezeichnen würde. Ich glaube dazu sind meine Einträge zu unregelmäßig, und vor allem... ZU LANGGGGGG! Hut ab, wer sich da durchliest.

Hier jetzt jedenfalls meine aktuelle Seltsam-Suchbegriffsammlung:

- fressflash englisch (hah, da kann ich weiterhelfen: munchies)
- gay aupair (da kann ich leider nicht weiterhelfen...)
- streit zwischen indira und ross anthony (warum auch immer)

Montag, 15. Februar 2010

Tag 304 - Comfortably Numb



Diesen Bericht will ich dem Pub widmen.
Meinem Pub.
Anlaufstelle für Leute, die irgendwie aus der Reihe fallen. Eine Ansammlung von Freaks, die alle etwas gemeinsam haben, das aber nicht genau einzuordnen ist. Es ist der Pub, den ich an Tag 9 betreten habe und irgendwie nie wieder verlassen konnte. The Railway.
Ich weiß noch ganz genau, wie ich das erste Mal fasziniert am Tresen saß und dieses unglaublich seltsame Publikum beobachtete. Nicht ahnend, dass ich schon sehr bald jeden Namen zu jedem Gesicht kennen würde. Dass ich all diese Geschichten hören würde, so viele Drinks ausgegeben bekäme und tatsächlich an den Lock Ins nach der Sperrstunde teilnehmen dürfte. Dass ich Freundschaften schließen würde, die auch außerhalb des Pubs bestünden. Und dass ich mir hinten in der Küche meinen Kaffee selbst kochen würde.

Bis auf wenige Ausnahmen hab ich bisher jeden Donnerstagabend in The Railway verbracht. Die beste Entspannung während einer stressigen Woche. Kraft tanken, um am Freitag noch einmal 100% Au Pair zu sein, bevor das Wochenende anfängt.
Jedes Mal wenn ich im Pub ankomme, hab ich das Bedürfnis die Schuhe auszuziehen, weil es wie nach Hause kommen nach einem Arbeitstag ist. Allerdings sitzen und stehen in meinem Wohnzimmer jede Menge seltsame Gestalten.
Hier mal eine kleine Auswahl:

Der Landlord
Seit ein paar Monaten der neue Eigentümer des Pubs. Es gibt ja diese farbigen Kontaktlinsen mit dem Dollarsymbol. Die Vorlage dafür waren bestimmt die Augen des Landlords. Er steht den ganzen Abend steif wie ein Stock irgendwo in der Ecke mit guter Übersicht über das Geschehen, verzieht keine Miene und macht aber trotzdem einen unglaublich gestressten Eindruck. Ich hab das Gefühl, jedes Mal wenn Getränke über den Tresen gehen, rechnet er im Kopf die Einnahmen aus. Seine Frau ist eine rassige Südamerikanerin mit endlos langen Beinen. Sie hasst den Pub und diese ungepflegten Gäste. Sie hätte lieber eine schicke kleine Weinbar. Doch der Landlord bleibt in diesem Fall stur. Hat er doch schon lange erkannt, dass sich hier nur mit den Freaks Umsatz machen lässt.

Der Dealer
Ein gerissener Fuchs, der sich immer ein wenig im Hintergrund hält auf der Suche nach einem guten Geschäft. Er hat eine Million Bekanntschaften, kann alles besorgen von der blauen Mauritius bis zum Papstgolf. Außerdem bietet er einen inoffiziellen 24 Stunden Fahrservice und nimmt dafür unter dem Taxipreis… wenn auch nur gering. Es gibt niemandem im Pub, der nicht die Telefonnummer des Dealers hat und hin und wieder seine Dienste in Anspruch nimmt. Für Geld würde er alles tun, was ihn einerseits unheimlich macht, aber andererseits ganz lächerlich berechnend.

Der Knacki
13 ½ Jahre Gefängnis hat er hinter sich. Fast schon stolz hat er mir seinen Gefängnisausweis präsentiert, als ich diese Info erst ungläubig weggelacht habe. Was er denn ausgefressen hatte, wollte ich wissen. Jemanden umgebracht hat er, meinte er, entschuldigend lächelnd.
Es ist recht schwierig, sich diesen Kerl als Mörder vorzustellen. Gut, ihm fehlt oben vorne ein Schneidezahn und die grauen Zottelhaare stehen wirr in alle Richtungen vom Kopf, was ihn doch ein wenig radikal aussehen lässt. Doch vom Wesen her ist er ein bisschen ein… wie soll ich sagen… Gespräche mit ihm sind irgendwie:

Knacki: (aufgeregt) „Fühl mal meine Haare!“
Ich: „Oh, schön weich. Was hast du gemacht?“
Knacki: (begeistert) „Ich hab sie gewaschen!“

Das hat jetzt nichts mit englischem Humor zu tun. Er meinte es so.
Vor einiger Zeit hab ich ihn mal gefragt, ob er mir seine Geschichte erzählt. Klar, gerne, meinte er. Leider hat sich bisher aber noch keine Gelegenheit ergeben.

Der Rock Opi
Ich hatte schon einmal über ihn geschrieben. 63 Jahre ist dieses winzige Männchen mit der Damenfrisur alt. Mit Jeansjacke und Cowboystiefel steht er fast jeden Donnerstag mit Gitarre auf der Bühne und singt lallend einen selbst geschriebenen Countrysong. Die Leute im Pub respektieren ihn. Er kriegt eine Menge Applaus und Schulterklopfer. Letztere lassen ihn aber fast zu Boden gehen.
Ich hab schon mehrmals versucht ihn über den Marquee Club auszufragen, in dem er scheinbar oft zu Rolling Stones Anfangszeiten zu Gast war. Seine Augen leuchten dann immer kurz auf und er kichert über irgendetwas. Leider ist er jedes Mal so dermaßen betrunken, dass seine Geschichte immer an derselben Stelle auf das Lieblingsthema zurückkommt: Whiskey.

Specs
Ist glaub ich der größte Pink Floyd Fan der Welt. Sein Markenzeichen ist die Sonnenbrille, die er niemals abnimmt. Ein schweigsamer Typ, der nur dann das Wort ergreift, wenn jemand eine schlechte Pink Floyd Cover Version spielt. Schlecht findet er dann aber auch schon, wenn nur eine Kleinigkeit im Text nicht stimmt.

Whistleman
Dieser seltsame Typ tauchte eines Tages auf, setzte sich an den Tresen und begann Querflöte zu spielen. Nicht wahllos, sondern er begleitete die Songs der Jukebox. Auf ihn wurde Specs aufmerksam, der Typ mit der Sonnenbrille. Seitdem spielen sie zusammen Pink Floyd Songs und ergänzen sich super. Specs redet kaum und Whistleman redet niemals.

So viel für heute, Fortsetzung folgt.