Sonntag, 10. März 2013

Reif für die Insel

Auch als Inselbewohner fühlt man sich manchmal reif für die Insel. Wir hatten nicht sehr viel Sommer in 2012, unser letzter Urlaub in Cornwall fiel buchstäblich ins Wasser, und auch in 2013 hat es bisher selten mal aufgehört zu regnen oder schneien oder einfach nur grau und garstig zu sein.
Ein Urlaub in der Sonne muss her, aber schleunigst.
Wir wollten nicht zu weit weg, es sollte nicht zu teuer sein, aber trotzdem mit Warmwetter-Garantie. Unsere Wahl fiel auf die kanarischen Inseln. Aber welche? Teneriffa mit den Socken-in-Sandalen-tragenden TUI All-Inclusive Touristen, die den ganzen Tag ihre fetten, sonnenverbrannten Bierbäuche in die Sonnenliegen drücken und "Schackeline, nich wieder in den Puhl kacken, nä!" zetern? Gran Canaria? Fuerteventura? Wir waren uns einig, dass wir garantiert keinen Massentourismus und keine kotzenden Teenager in unserem wohlverdienten Erholungsurlaub wollten.
Wir gingen Insel für Insel durch, bis wir auf den Sandhaufen namens La Gomera stießen. "Die Insel, die der Massentourismus vergaß", stand da bei Wikipedia. Und: "Insel des ewigen Frühlings". Sehr verlockend. Ruhig und warm.

Im Reisebüro äußerten wir unser Wunschziel. "Oje, da geht nie jemand hin!" seufzte die Dame hinter dem Schalter und klickte durch ihr Programm. Sie fand kein einziges Angebot.
Okay, dann würden wir eben selbst buchen. Wir hatten uns Valle Gran Rey als Urlaubsziel ausgesucht, ein kleines Tal im Westen der Insel.
Erst buchten wir einen Flug nach Teneriffa. Von dort müssten wir einen Bus nehmen nach Los Christianos, von wo uns eine Fähre nach La Gomera bringen würde. In San Sebastian angekommen wäre es noch eine fast zweistündige Busfahrt auf die andere Seite der Insel. Mit dem Bus würden wir auf schmalen, kurvigen Straßen tausend Höhenmeter erklimmen und auf der anderen Seite wieder herunterfahren. Die Insel ist nämlich aufgebaut wie ein hoher Hut mit einer sehr schmalen Krempe. Wenn man von einer Seite auf die andere will, muss man zwangsweise über den Berg fahren. DAS also sortiert die bierbäuchigen Neckermann-Pauschalis aus.

Auf der Fahrt zum Flughafen London-Gatwick schneite es. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, dass uns in nur ein paar Stunden eine Temperaturunterschied von über 20 Grad Celcius erwarten sollte. Ich hatte mir das auch beim Packen schon nicht wirklich vorstellen können, weshalb ich lieber mehr Pullover als T-Shirts in meinen Rucksack stopfte.
Aber tatsächlich. Nach ewigen 4,5 Stunden Flug landeten wir in Teneriffa. Es war ein wenig windig, doch der Wind war WARM! Und als wir vor dem Flughafen hin und her liefen um einen Bus zu finden, da wurde es doch richtiggehend HEISS und ich musste mehrere Schichten Kleidung entfernen.

Wir hatten keinen blassen Schimmer, wo wir hin mussten. Das ist der Nachteil, wenn man nicht von Reiseveranstaltern betüttelt wird. Wir fragten ein paar Busfahrer nach dem Weg (sogar auf spanisch), wurden aber nur angeknurrt. Schließlich fiel uns drei deutsche Typen auf, die sich in ihrer hippiemäßigen Kleidung und den verratzten Rucksäcken irgendwie von den Flip-Flop-tragenden Pauschaltouristen unterschieden. Wir kamen ins Gespräch, und es stellte sich heraus, dass sie auch auf dem Weg nach La Gomera waren. Und die drei kannten den Weg. Super! Zusammen machten wir uns auf den Weg zur Fähre in Los Christianos. Wir durchquerten die Touristenhochburg zu Fuß. Mehrere Male wurden wir von den sogenannten Looky Looky Men angequatscht, die einem irgendeinen Schrott andrehen wollen und mit der anderen Hand Geldbeutel und Handy klauen. Nee, also Teneriffa war mir durch und durch unsympathisch.

Schwitzend kauften wir Tickets für die Fähre. Sonntags gibt es nur drei Fähren nach La Gomera. Um drei Uhr Nachmittags würden wir auf der Insel ankommen. Es gab nur ein kleines Problem. Der nächste Bus nach Valle Gran Rey fuhr abends um halb neun. Fünfeinhalb Stunden Wartezeit? Das klang so unglaublich, dass ich den Gedanke gleich wegschüttelte. Uns würde schon was einfallen, wenn wir erst einmal angekommen waren.

Die Fähre war so bequem, dass wir in den Sesseln mit verstellbaren Rückenlehnen fast einschliefen. Was für ein Luxus nach dem engen Flugzeug. Eine Stunde dauerte die Überfahrt, dann waren wir in San Sebastian, der kleinen Hauptstadt von La Gomera. Hatte ich vorher noch die Hoffnung gehabt, dort wären jede Menge Busse, die uns an unser Endziel bringen würden, dann wurde diese sofort im Keim erstickt. Fünf Stunden warten oder in den sauren Apfel beißen, und ein Taxi nehmen? Hm, lieber Letzteres.
Die Taxizentrale war schon gründlich gestürmt worden. Nur noch wenige Fahrzeuge waren vorhanden. Während ich im Kopf noch nach ein wenig Spanisch kramte, wurden wir plötzlich von zwei Typen aus Nordeutschland angesprochen. Ob wir nach Valle Gran Rey gingen, und ob wir gerne ein Taxi teilen würden? Juhuuu!

Die Straße war tatsächlich schmal und kurvig, aber ziemlich gut gebaut. Höher und höher ging es, die Vegetation veränderte sich alle zehn Minuten. Mal wuchs am Straßenrand nichts als Kakteen, und plötzlich fuhren wir durch einen saftig grünen Märchenwald. Wenig später veränderte sich der dichte Wald, die Bäume sahen schwarz und abgestorben aus. Hier hatte letztes Jahr ein Waldbrand getobt. Wir fuhren in eine Wolke und sahen auf einmal nichts als Nebel. Und dann schienen wir den höchsten Punkt erreicht zu haben und es ging steil hinab. Meine Ohren knisterten, und mein Magen fühlte sich ein wenig seltsam an.
Und dann konnten wir über die Betonblöcke am Straßenrand den ersten Blick auf das Tal werfen.


Nach zwölf Stunden, seit wir unsere Wohnung unter dem Dach verlassen hatten, waren wir endlich angekommen. Urlaub! Es gab Palmen!


Wir bezogen unser Apartment direkt an der Strandpromenade, zogen frische T-Shirts und kurze Hosen an, und machten uns sogleich auf Wanderschaft.


Einen Hafen gab es, den der Gawjus sogleich als perfekten Angelplatz erklärte.Es war so herrlich ruhig. Nur wenige Menschen waren auf der Straße unterwegs. 


Wir folgten der Straße an einem langen Kiesstrand und kamen an einern Bananenplantage vorbei.


Wir erreichten das Örtchen La Playa, wo wir den größten Menschenauflauf trafen, den wir in der ganzen Woche sehen sollten. Es war Sonnenuntergang, und überall saßen entspannte Urlauber am Strand und der Mauer, tranken mitgebrachten Wein oder Bier und aßen Brot mit Oliven und Avocados.


Wir lernten ziemlich schnell, dass Gomera seltsamerweise eine Hippie-Insel ist. In den Siebzigern kamen deutsche Touristen auf die Insel - und blieben einfach dort. Auch jetzt ist es noch eine Insel der Alternativen und der Aussteiger. Es gibt jede Menge Leute - Deutsche - die dort leben und teilweise nicht einmal ein Dach über dem Kopf haben. Sie schlafen am Strand. Dreadlocks, Bärte, bare Füße, wir fühlten uns wie auf einer Reise zurück in die Zeit der Blumenkinder.
Ein paar Hippies hatten Bongo-Trommeln dabei und verabschiedeten die Sonne. Nach Sonnenuntergang jonglierten sie mit Fackeln und leuchtenden Hoola Hoop Reifen.


Wir saßen, tranken Bier und genossen das Feriengefühl, die Wärme und das Schauspiel der Sonne.


Wir hatten die herrlichste Zeit. Die Strände waren vor allem am Morgen geradezu wie ausgestorben


Wir standen auf, wann auch immer wir aufwachten, aßen, wann auch immer wir Hunger hatten, gingen ins Bett wenn wir müde waren, und hingen ständig am Hafen oder der Küste herum. Natürlich auch immer auch mit einer Angel im Wasser. Der Gawjus fing viele farbenfrohe Fische während ich gemütlich gegen die Hafenmauer lehnte und mein Buch las. 


Wir entdeckten ein Fischrestaurant. Die Einrichtung war vergleichbar mit einem großen Badezimmer, aber der Fisch war genial. Wir beschlossen am nächsten Tag zurückzugehen und bestellten im Voraus eine Meeresfrüchte-Paella.


Absolutes Higlight des Urlaubs!
Auswärts essen gehen war so billig im Vergleich zu England. Jeden Tag probierten wir ein anderes Restaurant und wurden nie enttäuscht. Mein neues Lieblingsgericht war doch tatsächlich Kaninchen. Und immer bekam man köstliche Runzelkartoffeln, die in der Schale in sehr salzigem Wasser gekocht werden, bis sie eine leichte Salzschicht haben. Dazu gab es Mojos aus Paprika und Avocado.


Wir sahen von Hippie-Hand angelegte Merkwürdigkeiten und frühstückten fast jeden Tag in einem Hippie-Café, wo es frischgepresste Fruchtsäfte gab, selbstgemachte Marmelade und hauseigen gebackene Vollkornbrötchen.


Eigentlich hatten wir eine Wanderung in die Berge geplant, aber wir konnten uns nicht dazu aufraffen. Die Herrlichkeit des Nichtstuns eintauschen gegen fette Blasen an den Füßen und nicht einschätzbare Wetterbedingungen? Nöööö. Wir gingen auf Nummer sicher und blieben im Tal. Immer wenn wir mit Leuten ins Gespräch kamen, die schon seit zig Jahren nach Gomera in Urlaub gehen, bekamen wir Geschichen über unvorsichtige Touristen zu hören. Jedes Jahr ertrinken welche oder werden von Gerölllawinen erschlagen oder von Monsterwellen weggerissen. Die Naturgewalten auf der Insel sind wirklich nicht zu unterschätzen. Als Flachländler blieben wir dann doch lieber weg von den Bergen.



Um doch nicht ganz so untätig zu wirken gingen wir auf ein Whale-Watching Boot. Der Wellengang war heftig, und ich bereutse es auch schon nach fünf Minuten. Ich sah schon die ersten Kinder auf ihre Eltern erbrechen und war mir ziemlich sicher, dass ich dies nicht überleben würde. Aber dank der Seekrank-Tablette, Atemübungen und Horizont anstarren brachte ich die drei Stunden dann doch unbeschadet herum (Trotzdem spürte ich Tage später noch die Bewegungen des Bootes) Wir sahen natürlich wieder keine Wale, wie schon damals in Island, aber wir stießen auf jede Menge Delphine, die sich an einem Schwarm Sardinen satt fraßen. Allein die Sardinen waren schon sehenswert! Es waren so viele, dass das Wasser aussah, als würde es brodeln.


Die Delphine sprängen aus dem Wasser wie Flipper. Ein super Schauspiel.


Einmal hüpften wir sogar in unseren Pool - einfach um das Urlaubsgefühl perfekt zu machen. Sommer im Februar, ich könnte mich sofort daran gewöhnen.


Nach einer Woche hieß es Abschied nehmen. Wir machten uns auf den umständlichen Weg nach Hause. Der Rückweg dauerte 16 Stunden! Wir hatten mehrere Stunden Aufenthalt in Teneriffa, die wir eigentlich am Strand verbringen wollten - es stürmte aber wie verrückt. Wären wir einen Tag später abgereist, hätten wir es wahrscheinlich nicht über die Berge geschafft und würden jetzt noch im Paradies festsitzen. Das wäre aber auch eine Schande...

Zurück auf der britischen Insel - es schneit gerade wieder - fühlen wir uns aber immernoch ganz herrvorragend erholt. Und planen schon den nächsten Urlaub in den Sonnenschein. Wenn der Sommer nicht zu uns kommt, dann gehen wir ihn eben holen.

9 Kommentare:

  1. Das sieht wirklich toll aus! Freut mich für Euch, dass Ihr so ein schönes und vor allem ruhiges Urlaubsinselchen gefunden habt.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Hihi, und vor allem kein REGEN! (Okay, ein paar Tropfen haben wir schon abgekriegt, aber das war entweder früh morgens oder spät abends)

      Löschen
  2. Sarah, dieser Artikel macht dich mir gerade extrem sympathisch!! :D
    Gomera ist für mich so was wie mein "Sehnsuchtsort", ich fahre dort hin seit ich wenige Zentimeter lang war und jeder, der die Insel auch nur mag, hat bei mir einen Stein im Brett :D
    Die tollen Bilder würden mich jetzt ganz "och nö, ich will auch wieder da hin"-neidisch werden lassen, würde ich nicht in den Ferien da sein.
    Wart ihr zufälligerweise auch in La Calera? :)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Huhu, eine Gomerin, wie cool! La Calera - wir sind mal ein Stück den Hügel raufgelaufen, als wir zum Rathaus mussten um eine Angellizenz zu beantragen. Das gehört schon zu La Calera, oder? Verbringst du dort immer deine Ferien? Dann kennst du das Valle ja bestimmt in- und auswendig! Hach, ich würde jetzt so gerne in La Playa bei Maria ein Dorada bestellen und an den Strand sitzen :-)

      Löschen
  3. Das klingt wirklich nach einem schönen Urlaub.All-in ist auch nicht so unser Ding,lieber die Überraschungen genießen die einem in nem fremden Land begegnen können und etwas von Land und Leuten kennen lernen.Entspannung steht eher hinten an wenn wir mit dem Wohnmobil unterwegs sind,eher Spannung,was alles am nächsten Tag passiert.
    Zu Zeit planen wir ne Tour durch Irland,natürlich mit Stopp in London um die Stadt mit den Kindern zu erkunden.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ooooh Irland, da möchte ich auch irgendwann mal hin. Mit dem Wohnmobil reisen stelle ich mir wunderbar vor. Man sieht auf diese Weise so viel wie möglich vom Land, und am Abend parkt man sich einfach vor einen schönen Sonnenuntergang. Hach! Irgendwann mal...
      Ich drücke jedenfalls die Daumen für gutes Wetter. Wann geht's denn los? In den Sommerferien?

      Löschen
    2. Genau,4 Wochen Zeit um uns bezaubern zu lassen.Es ist immer wieder spannend wo man abends parkt und sein Abendessen kocht.Wir hoffen auf viele Sonnenuntergänge,wär besser als Regenwolken.

      Löschen
  4. Das klingt echt nach dem perfekten Urlaub für euch. Und ganz ehrlich, dich im Massentourismus mit AI kann ich mir auch so überhaupt nicht vorstellen. Da streikt sich alles. ;)
    Traumhafte Fotos. Jetzt will ich auch Sonne. Vor allem, wenn ich aus'm Fenster schaue. 10cm Schnee seit gestern. :( Sooonne!! Früüüühling! Wo seid ihr??

    AntwortenLöschen
  5. Ja, bitte, lass mal den Frühling ganz laut rufen! Es war so bitterkalt hier diese Woche, ich wollte gar nicht aus dem Haus. Bittebittebitte schönes Osterwetter, och büdde!
    Danke noch mal für die wirklich tollen Postkarten. Die hänge ich in den Flur zu meiner Weltkarte!

    AntwortenLöschen