Donnerstag, 19. Mai 2016

Das Inselbaby IV - A star is born

Meine Erinnerung lässt mich hier etwas im Stich. Ich bin davon überzeugt, dass man nach der Geburt geblitzdingst wird, um alles zu vergessen. Das ist das große Geheimnis der Krankenhäuser, dafür zu sorgen, dass die Menschheit nicht ausstirbt und auch noch nach der traumatischsten aller Geburten fleißig Nachkommen zeugt.

Aber viele der Geschehnisse sind mir auch jetzt noch frisch in Erinnerung, oder wurden mir nachträglich vom Gawjus erzählt. Der Ärmste war ja nicht auf Droge, sondern musste alles live miterleben. Nach so einem Ereignis hat man wirklich überhaupt keine Geheimnisse mehr voreinander.

Falls jemand nicht so gut mit Berichten über Nadeln oder Blut umgehen kann, lasst das Lesen lieber bleiben.

Die Wehen mussten mittlerweile wirklich schlimm sein, denn ich spürte trotz PDA einen furchtbaren Druck auf mein Hinterteil. Fast fürchtete ich, das Kindelein würde den falschen Ausgang nehmen.

Dr. W-W war mit meinem Geburtskanal zufrieden. Weniger zufrieden jedoch mit den kindlichen Herztönen. Sie rief noch ein paar Leute dazu, und verkündete mir, dass es jetzt ans Eingemachte ginge. Ich hätte zehn Minuten um das Baby rauszupressen. Wenn es nicht gelänge würde das Baby mit der Geburtszange zu seinem Glück gezwungen werden.

Der Gedanke an Whoopi-Wanda, wie sie mit einer Grillzange in mir herumstocherte beflügelte mich ganz ungemein. Ich Pssscchhhhte noch etwas Wundersirup in mein Rückenmark, spuckte gedanklich in die Hände und presste mal probeweise ein wenig herum. "Halt, jetzt doch nicht!" rief eine der Hebammen. "Erst mit der nächsten Wehe!" Na, das hätte ja einem mal jemand erklären können.

"Don't tell the girl how to push! Girl knows how to push, hmm mmh!" wies Dr. W-W die Hebi zurecht und wackelte mit dem Kopf. Und zu mir: "Go, gimme a push." Und ich pushte. Ich pushte so sehr, wie ich in meinem Leben noch nicht gepusht hatte. Ich pushte so sehr, dass Babys Kopf innerhalb von wenigen Sekunden am Fenster erschien und erstaunt ins Licht blinzelte (ok, das mit dem Blinzeln ist erfunden. Von meiner Position aus konnte ich das unmöglich sehen). Einen Atemzug später kam auch schon der Rest ganz von alleine rausgerutscht, und bevor ich mich versehen konnte hatte ich ein blutiges, verschmiertes Bündel auf meinem Bauch liegen.

Im Film sieht man ja immer, wie tiefstes, inniges Glück durch die verschwitzte Gebärende flutet und sie sofort das perfekt geformte, rosa farbene Baby abknutscht.
In Realität war es bei mir eher so:

Gedanke Nummer 1 - Oh mein Gott, ein Baby!
Gedanke Nummer 2 - Iiih, was ist das schmierige Zeug, das will ich eigentlich nicht an meine Hände bekommen, deswegen halte ich das Baby mal besser nur mit meinen Handgelenken fest, bis es ein wenig abgeputzt ist.
Gedanke Nummer 3 - Ob ich wohl genäht werden muss?

Der Gawjus kappte die Nabelschnur, während ich einfach nur diesen mir komplett unbekannten kleinen Menschen anstarrte. Und der kleine Mensch starrte mit riesigen, wachen Augen zurück.
"Imma gonna get this placenta out!" rief Dr. W-W und schon bekam ich eine Spritze in den Schenkel, presste noch einmal und mein Inneres stülpte sich buchstäblich nach außen. Mir fiel irgendwann auf, dass an meinem anderen Ende geschäftiges Schweigen und schnelle Handgriffe stattfunden.
"Muss ich genäht werden?", fragte ich.

"Ähmm", antwortete eine junge Hebi, "Das wissen wir noch nicht." Anscheinend war die Sicht versperrt, da sich mit der Plazenta noch ein Sturzbach an Blut abgelöst hatte. Mehr Leute betraten bemüht langsam den Raum und an meinem Fußende hatte sich eine beachtliche Zuschauermenge eingefunden, die mein Trümmerfeld betrachtete als wäre ich ein Flachbildschirm auf dem eine Naturkatastrope live gesendet wurde. Noch während ich "Wie geht's uns denn?" fragen wollte, wurde mir schwummerig und kalt. So kalt. Ich bat Gawjus schnell das Baby zu nehmen, denn sollte ich ohnmächtig werden, dann sicher nicht mit meinem Kind im Arm.

Es kam Bewegung in die Zuschauer. Mit einer dicken Nadel stach mir jemand mitten in den Arm zwischen Handgelenk und Ellbogeninnenseite. Ich weiß noch, dass ich entgeistert die Kanüle betrachtete, die an solch ungewöhnlicher Stelle platziert zu sein schien. Mein Blutdruck hatte ich wohl zur Abwechslung mal in die andere Richtung begeben und ich fing an zu faseln. Laut Gawjus sagte ich: "Nein danke, ich möchte wirklich keinen Nachtisch."
Ein fremder Typ betrachtete nachdenklich meine Füße. Ich trug schicke Trombosestrümpfe, doch mein linker großer Zeh hing aus dem Loch an der Fußspitze. "Och wie süß, er rückt mir die Strümpfe zurecht", dachte ich noch. Da hatte er schon zugestochen. Mit einer Nadel. In meinen großen Zeh. Blutzucker wollte er messen, das weiß ich jetzt. Aber im Halbdelirium fand ich das einfach nur gemein.

Ich lag für gefühlte Ewigkeiten da, die Beine immernoch in Geburtsposition, Leute auf- und ab laufend. Die junge Hebi flickte mit Nadel und Faden ein paar Risse in meinem Hautanzug. Meine Augen fielen zu, doch ich hielt mich krampfhaft wach. Was für eine Rabenmutter wäre ich, die ersten Lebensstunden meines Kindes zu verschlafen?
Gawjus hatte den brandneuen Inselbewohner gesäubert. Er wurde gewogen, mickrige 2370g und gemessen, mickrige 46cm. Der erste Strampler, den ich in irgendeiner weiser Voraussicht extra eine Größe kleiner als Neugeboren gekauft hatte, war trotzdem viel zu groß.

Als mein Blutdruck wieder in normalen Sphären schwebte konnte ich wieder das Baby halten. Er war perfekt. Alles dran, nur mickrig. Die Beine wie so Hühnerfüße mit Falten. Als wenn die Haut noch viel zu groß für das kleine Wesen wäre.

Herr Hühnerfüß
 Aus Nacht wurde Tag, Dr. W-W ging nach Hause, also waren endlich meine Lady Bits sicher. Der Gawjus holte Kaffee und Baby lag auf dem Wärmebett, als plötzlich sein Wimmern an mein Ohr drang. Dieses Baby brüllte nicht, es war nur zu einem winzigen Wimmern fähig.
Da-da-da, Super-Mum! Mein Kind brauchte mich. Wie ein geölter Blitz altes Mütterchen schälte ich mich aus dem Bett. Siehe da, mein linkes Bein hatte den Betrieb wieder aufgenommen. Es war durch die PDA in der Nacht zeitweise komplett nutzlos gewesen. Langsam schlurfte ich in Richtung Wimmern, wurde aber durch etwas zurückgehalten. Ach ja, der Katheter. Umständlich löste ich den Urinbehälter vom Bettgestell, wickelte noch eine Decke um meinen Körper, mir fiel nämlich auf dass ich splitterfasernackt war. So machte ich mich auf den Weg und erreichte nach ein paar Metern, die sich wie Kilometer anfühlten, meinen Sohn.

Die Hebamme, die den Raum betrat staunte nicht schlecht. Da stand ich, das Leintuch wie eine römische Toga um mich gewickelt, mit dem Urinbehälter, dämlich grinsend mein Baby betrachtend. Kopfschüttelnd scheuchte sie mich zurück zum Bett und befahl mir ja liegen zu bleiben. Ich würde erst noch ein paar Bluttransfusion benötigen, bis ich zu Ausflügen irgendeiner Art in der Lage sein würde.

Ich weiß nicht wessen Blut es war, das in meinen Arm gepumpt wurde, aber ich stellte mir vor es sei das eines Extremsportlers. Mit jeder Minute fühlte ich mich nämlich kräftiger und fitter. Außerdem war ich am verhungern. Ich stopfte eine ganze Rolle Pringles in meinen Hals, danach beantragte ich eine Dusche. Es klebte immernoch Geburtsblut an meinen Handgelenken, vom ersten Kontakt mit dem Baby. Auf den Zustand meiner Beine und generellen Unterkörpers möchte ich mal gar nicht eingehen, aber als ich endlich ins Badezimmer unter die ersehnte Dusche durfte, zog ich eine Blutspur hinter mir her.

"Jetzt sollten wir aber mal das Baby füttern", meinte die Hebamme, als ich wieder in meinem Bett geparkt war. Oh Gott, Rabenmutter des Jahres. Es war mir gar nicht aufgefallen, dass mein Kind noch überhaupt nichts zu sich genommen hatte. War das normal? War das schlimm? Die Hebamme schien sich jedoch nichts dabei zu denken. Sie nahm das Baby und trat an meine Seite.
"Links oder Rechts?" fragte sie.
Ich hatte nichts die gerinste Ahnung, was sie meinte.

Fortsetzung folgt.

3 Kommentare:

  1. Yippieh - da isser!
    Herzlichen Glückwunsch euch Dreien!

    Lese gerade nägelkauend deine Geburtsberichte, und jetzt hab ich auch Blutdruck :-)

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    1. Ja, da isser :-) Auch wenn ich nach dem Erlebnis für einige Tage nur traumatisiert die Raufasertapete anstarren konnte, das Endergebnis war die Mühe wert!

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