Dienstag, 17. August 2010

Tag 484 - Starry starry night

Das Nachtleben in London.
Dazu kann ich nur den einen Satz zitieren, der von Reiseführern bestimmt schon für jede größere Stadt der Welt verwendet wurde:

London – die Stadt, die niemals schläft.

Natürlich ist es nachts in der Innenstadt bedeutend ruhiger als tagsüber, aber trotzdem bevölkern erstaunlich viele Leute die Straßen, singen und trinken, stehen in Warteschlangen für Clubs, oder frieren sich an Bushaltestellen halbnackt den Arsch ab.
Mich zog es nachts bisher kaum nach London. Allein schon der Begriff „Clubbing“ behagt mir nicht. Nachtclubs sind einfach nicht mein Ding. Die Getränke sind teuer (für eine 0,3 L Flasche Becks zahlt man zum Beispiel locker 4-5 Pfund), die Musik meistens Scheiße, aufgetakelte Tussen in Miniröckchen halten sich auf dem Klo beim Kotzen gegenseitig die Haare aus dem Gesicht, und alles geht nur ums aufreißen und aufgerissen werden. Wie rotierende Brathähnchen im Fenster von Kochlöffel bewegen sich die selbstgebräunten Girrrrrls auf der Tanzfläche und warten darauf, von den mutangetrunkenen Boyyyys verspeist zu werden. Manche sind zu heiß, die armen Spunde verbrennen sich die Finger daran. Manche sind schon zu ausgetrocknet und müssen ewig warten, bis sich doch ein ausgehungerter Abnehmer erbarmt. Andere nehmen sich ein Take-away mit nach Hause und bringen den Kumpels auch eins mit.

Ich brauche ewig bis ich mich von einer durchgemachten Nacht erholt habe, auf was es aufgrund der Transportmöglichkeiten nachts in London einfach hinausläuft. Ich glaube ich werde alt. Oder mein Körper ist zu sehr an den Pub-Rhythmus gewöhnt. Da fängt man eben nachmittags schon an zu feiern um dann gegen Mitternacht volltrunken und zufrieden mit dem letzten Bus, Zug oder zu Fuß nach Hause zu gehen. Oh, ich liebe meine Pubs.

Neulich bin ich aber doch mal in Camden Town versumpft. Davor war ich auf einer Grillparty eingeladen gewesen, die in der Nähe der Morden U-Bahn-Station stattfand. Ganz spontan haben gegen zehn Uhr ein paar Leute beschlossen noch zu einem Konzert in Camden Town zu fahren. Ich mit dabei.
So um 23 Uhr sind wir auch angekommen und hatten natürlich die Band gerade verpasst, die dort in einem Pub aufgetreten war. Dafür fanden wir Ginger, einer der verrückten Freaks aus „meinem“ Pub. Er war schon sehr gut dabei und konnte kaum mehr gerade laufen. Das Gewicht seiner Gitarre, die er auf dem Rücken trug, ließ ihn immer wieder ein paar gefährliche Ausfallschritte nach hinten machen. Seine Cowboystiefel klackerten auf dem Asphalt, und er strich sich alle paar Sekunden über seinen kupferroten Haarbusch, der wild in alle Richtungen stand.
Ginger war begeistert uns zu sehen. Er wolle jetzt noch mit der Band feiern gehen, und wir sollten ihn unbedingt begleiten. Damit hakte er sich unter und schlug den Weg in Richtung Camden Lock ein. Die bekannte Chalk Farm Road sieht im Dunkeln mit den geschlossenen Geschäften und ohne Menschenmassen total fremd aus. Ich verlor auch das Zeitgefühl, wie lange wir tatsächlich liefen. Wir bogen kurz in ein Off-Licence ein, so werden Spirituosengeschäfte genannt, und kauften jeder ein paar Dosen Bier um die Nacht so kostengünstig wie möglich zu überstehen. Ich war mir sicher, wir würden in einem Nachtclub enden und versteckte meine Bierdosen in Hand- und Jackentasche.
Doch ich lag falsch.

Nach ein paar Mal abbiegen kamen wir an einen recht versteckten Hauseingang, öffneten zwei dicke Stahltüren, und standen… in Mitten einer Party. Das ganze geschah so plötzlich, als wenn die Leute eben gerade aus dem Boden gewachsen wären. Nichts hatte von außen darauf hingedeutet, dass sich dort gut zweihundert Leute auf engstem Raum zu gutem altem Punkrock tümmeln würden. Jeder eigene Getränke dabei und Stühle bastelnd aus allem, das nur irgendwie belastbar war.
Erst dachte ich, es sei ein Privathaus. Aber mit jedem weiteren Schritt ins Innere wurde klar, dass dies nicht der Fall war. In jedem der angrenzenden Räume gab es Musikinstrumente. Der erste Raum hatte ein Klavier, eine Orgel und ein Schlagzeug. Der nächste Raum Gitarren und Bongo Trommeln. Im riesig ausgebauten Dachgeschoss ein weiteres Schlagzeug und ein gigantisches Soundsystem. Überall saßen und standen musizierende Leute, die mehr oder weniger miteinander harmonierten. Im Außenbereich spielte jemand Violine auf der Feuertreppe. Der durchdringende Geruch von Weed war überall und gab einem das Gefühl in eine fremde Welt eingetaucht zu sein. Alle Leute waren so überzeugt individuell, dass sie eigentlich schon fast gleich aussahen mit ihren Skinny Jeans und hautengen T-Shirts. Aber hier erlebte man wieder das aus meinem Pub so bekannte Freak-Phänomen: Alle hatten sich lieb. Jeder lachte, teilte, redete, musizierte mit jedem.
Das war für mich der interessanteste Ort seit Langem. Und so langsam fiel auch der Groschen, dass es sich bei dem Haus um ein Aufnahmestudio handelte. Irgendjemand „Berühmtes“ war in dieser Nacht auch dort, aber der Name war mir kein Begriff. Ein Schlagzeuger.

Ginger schlief irgendwann rücklings auf seiner Gitarre liegend ein. Man konnte schon die Vögel zwitschern hören, als wir uns zu viert ein Taxi nach Hause nahmen. Das Nachtleben in London… empfehlenswert!

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