Mittwoch, 10. November 2010

Island - Tag 1

Nichts mehr konnte mich bei der Landung in Keflavik auf dem Sitz halten. Umständlich versuchte ich an dem mit weit offenem Mund schnarchenden Fensterplatzschläfer vorbei einen ersten Blick auf die Insel zu erhaschen. Verdammt, warum durfte der Typ ans Fenster? Der war noch vor dem Abflug eingeschlafen und hatte den ganzen dreistündigen Flug durchgepennt. Und mir die Sicht versperrt. Dem hätte auch ein Gangplatz genügt.
Ich musste mich jedenfalls mit dem ersten Blick noch gedulden. Durch die geschlossene Gangway wurden wir ins Gebäude gelotst, das wie jeder gewöhnliche Flughafen aussah. Aber da, der Blick aus dem Fenster… waren das Berge? Oh, die Farben! Grüntöne, Brauntöne, Gelbtöne, Gras und Moos, Felsen und Steine… nur ein kurzer Blick, dann schob sich die Herde schon weiter durch den Gang in Richtung Gepäckausgabe.

Der erste Eindruck

Zwanzig Minuten später war es soweit. Wir traten durch den Ausgang ins Freie und taten den ersten Atemzug isländischer Luft. Oh, wie tat das gut! Es war, als hätte ich mein Leben lang verbrauchten, schmutzigen und ungesunden Second-Hand-Mief geatmet und wäre zum ersten Mal mit richtiger Luft in Kontakt gekommen. Kristallklar! Ich atmete so tief ein, dass mir fast schwindelig wurde. Alles fühlte sich so frisch an. Strahlend blauer Himmel, Temperatur gerade um den Gefrierpunkt. Sonnenschein. Aber war für einer. Es war 14:30 Uhr am Mittag, aber die Sonne befand sich schon so in Tieflage, als würde sie jeden Moment vom Himmel fallen.
Das ist wohl der Preis, den man in Island zahlt. Im Sommer Tag und Nacht Helligkeit, im Winter nur ein paar wenige Stunden Tageslicht, bevor die Sonne auch schon wieder die Biege macht.

„Jaggaögurthougtherthagethageröthü“, sagte die Frau am Ticketschalter freundlich. Oh Gott, isländisch hört sich ja so was von ungewohnt an. „Takk“ sage ich brav, was hoffentlich so was wie Danke bedeutet, und nehme die Bustickets für den Transfer nach Reykjavik entgegen. 3900 Isländische Kronen kostet das für den Gawjus und mich. Der Preis im Tausenderbereich lässt mich erst kurz zusammenzucken, aber dann erinnere ich mich wieder an die Umrechnung. 175 Kronen sind 1 Pfund.

„Hier stinkt es ja schon wieder nach Klo!“ sage ich im Bus. Wir hatten nicht nur keine Fensterplätze im Flieger bekommen, sondern auch noch die Sitzreihe neben der Toilette. Prima.
Dass es nicht im Bus nach Klo roch, sondern auf der ganzen Insel, realisierte ich erst später. Natürlich war es der Geruch nach Schwefel. Island ist eine Vulkaninsel, in deren Inneren es brodelt und siedet. Die dabei freigesetzten Gase riechen recht aufdringlich nach verfaulten Eiern.

Am Busbahnhof in Reykjavik erwartete uns Nick. Er würde uns für diese Woche gegen eine kleine Summe sein Apartment zur Verfügung stellen. Wir hatten echt Glück, dass dieser Kontakt zustande kam. Nick – gebürtiger Neuseeländer – hatte einige Zeit in England gelebt, und war froh, sich mal wieder austauschen zu können. Er sieht schon von weitem wie ein Abenteurer aus. Blonde Dreadlocks, wettergegerbte Haut. Er hat schon jedes Land der Erde bereist und fotografiert. Davon erzählten die zahlreichen Souvenirs und Fotos in seiner kleinen Dachwohnung.

Nick ging mit uns noch auf eine Blitz-Sightseeing-Tour in seinem 25 Jahre alten Jeep. Reykjavik ist aber mit 120.000 Einwohnern recht überschaubar, vor allem das Zentrum in dem wir uns vorwiegend aufhalten würden. Seine Wohnung lag direkt zwischen Haupteinkaufsstraße und Hafen.
Wir besuchten kurz Perlan, den städtischen Warmwasserspeicher, um von dort aus den ersten isländischen Sonnenuntergang zu genießen. Wasserspeicher klingt
unromantisch, aber das Gebäude ist ziemlich eindrucksvoll und super modern, mit einem sich drehenden Restaurant und künstlichem Geysir.

Seht ihr den Vulkan links im Bild?

Mount Esja

Wasser ist hier ja eine geniale Sache… es kostet fast nichts, weil alles Leitungswasser entweder direkt aus den Bergen (Kaltwasser) oder aus der Erde (Heißwasser) kommt. Das kalte Wasser ist köstlich! Das Heiße dagegen riecht sehr schweflig, und schießt mit einer Temperatur von 70-80 Grad aus der Leitung. Äußerste Vorsicht beim Duschen! Aber meine Haare seufzten vor Erleichterung, als sie zum ersten Mal mit dem wunderbaren Wasser in Berührung kamen. Kein Vergleich zum Londoner Leitungswasser, das mehr Chlor als Wasser beinhaltet.

Nick brachte uns noch zu einem Supermarkt, in dem wir uns mit den nötigsten Lebensmitteln für die Woche eindecken konnten.
Das dauerte ewig, war es doch viel interessanter, sich erst einmal ausgiebig durch das Sortiment zu stöbern. Es war auf den ersten Blick nicht so sehr spektakulär. Island importiert fast alles. Sehr viele deutsche Marken konnte ich entdecken. Aber dann fanden wir doch die kleinen kulturellen Unterschiede. Eine Gefriertruhe, randvoll gefüllt mit abgepackten Schafsköpfen. Komplett, mit Augen und Gehirn. „Delikatesse“, schmatzte Nick. „Vor allem die Augen.“ Würg.
Daneben Flaschen mit abgefülltem Schafsblut. Für Suppe.

Schafsköpfe, na lecker

„Lass was typisch isländisches mitnehmen“, sagte der Gawjus und beäugte neugierig Blut und Kadaver. Ich schob ihn gleich mal weiter zum nächsten Tiefkühler. Dort waren die Köpfe gleich vergessen, beim Anblick von Wal-Steaks. Also gut, warum nicht. Nur schauen, dass Greenpeace mich niemals findet.
Die Preise haben mich jetzt nicht ganz so vom Hocker gehauen, wie im Reiseführer angedroht. Wahrscheinlich hat mich das Leben in London da schon ein wenig abgehärtet. Oder ich habe Fehler im Umrechnen gemacht, das würde sich am Ende der Woche, und vor allem am Ende des Geldes dann herausstellen.

„Ach ja, übrigens“, sagte Nick, als er uns wieder bei der Wohnung absetzte und den Schlüssel aushändigte. „heute stehen die Chancen gut, die Aurora Borealis zu sehen!“

4 Stunden später stiegen wir wieder in einen Bus am Hauptterminal. Nicks Prognose hatte uns dazu bewegt, spontan eine kleine Polarlicht-Tour zu buchen. Wäre das nicht der Hammer, gleich am ersten Abend dieses unglaubliche Naturschauspiel zu sehen? Die Tour hatten wir deswegen gebucht, weil wir uns aus der Stadt entfernen wollten, wo die Lichtverschmutzung einfach ein wenig die Chance auf eine gute Sichtung nahm.
Tourleiterin Ragna war nicht ganz so zuversichtlich. „Es ist Vollmond!“ sagte sie sorgenvoll und wiegte ihren Kopf hin und her. Der helle Mondschein könnte uns echt einen Strich durch die Rechnung machen.
Aber schon ein paar Kilometer südlich von Reykjavik stoppte der Bus am Straßenrand. „Da ist ein Band!“ rief Ragna entzückt, und löste ein riesiges Chaos aus, bei dem sich bestimmt dreißig Personen gleichzeitig durch die schmale Tür des Busses pressen wollten. „Ein Band!“ wiederholte Ragna, und ihre Stimme überschlug sich. Blindlings rannte sie in ein Lavafeld. Ein Rudel Touristen folgten ihr auf der Ferse, mit gezückten Kameras, wild in den Himmel blitzend.
Und dann sahen wir es.
Wie ein hellgrünes Nebelband erschien ein Polarlicht genau über unseren Köpfen. Es war unbeschreiblich. Immer wieder wechselte es die Form, wurde schwächer und stärker und teilte sich schließlich in mehrere Lichtpunkte, die im Sekundentakt verschwanden und an anderen Orten wieder auftauchten.
„Sie tanzen für uns.“ hauchte Ragna.



Wir standen noch zwei Stunden mit in den Nacken zurückgelegten Köpfen und beobachteten die Lichter am Himmel. Kaum jemand redete, wirklich jeder war vom Anblick gefesselt. Und trotz der Kälte konnten wir uns fast nicht mehr davon trennen.

Als wir durchgefroren wieder beim Apartment ankamen, konnten wir sogar vom Balkon aus noch vereinzelte Grünschimmer am Himmel sehen, was wie eine Bestätigung für das war, was wir eben in diesem Lavafeld gesehen hatten.
Was für ein gelungener Abschluss des ersten Tages in Island.

4 Kommentare:

  1. Oh! Wie schön - jetzt habe ich auch die Lust nach Island zu fliegen.

    Bitte schreib öfters, ich freue mich immer so darüber. :)

    AntwortenLöschen
  2. All right Sarah!
    O wow, ich dachte du meinteste Irland mit einem Rechtschreibungsfehler!
    Island!! Sprechen die Leute ganz absonderlich? Dort spricht man echte Wikingersprache, nicht wahr!?
    Und du sahest die Polarlichten, du glückliches Schweinchen!
    Liebe Grüße aus BORING OLD LONDON!!!
    Gledwood

    AntwortenLöschen
  3. Brecht der notorische Vulkan Eigüflökenschnäppelbjörnbjörkschweinscheißepißputt nicht mehr aus...?

    AntwortenLöschen
  4. Ach Gledwood, deine Kommentare sind immer so putzig :-)
    Die Isländische Sprache war für mich sehr fremdartig. Beim Versuch etwas nachzusprechen, hab ich mir des Öfteren fast die Zunge abgebrochen. Die Aussprache des Vulkans Eyjafjallajökull hab ich jetzt aber geübt und kann es! Man sagt "Eija-fjatla-jökütl. Und das ganz schnell heruntergerattert.
    Ansonsten ist die Sprache faszinierend, weil sie sich in den letzten tausend Jahren fast nicht verändert hat. Natürlich sind Sachen hinzugekommen, die auch benannt werden mussten... wie zum Beispiel "Telefon" oder "Computer". Aber da bedienten sich die Isländer einfach abgelegtem Vokabular, das sie sozusagen recycelten. Das Wort "sími" für Telefon ist ein altes Wort für Schnur. Das Wort für Computer wurde aus den isländischen Vokabeln für Zahl und Wahrsager gebastelt.
    Okay, sorry, ich komme ins Faseln. Hoffe es geht dir gut. London ist doch nicht BORING! :-)

    AntwortenLöschen