Montag, 30. Mai 2016

I'm no Supermum

Geburtsvorbereitungskurs, pah! Säuglingsklassen, buah! Wer hat schon Zeit für so etwas, und vor allem hat Mutter Natur uns nicht mit einem Instinkt versorgt? Die Vogeleltern machen keine Kurse, sie wissen genau wie man ein Nest baut, wie man die Eier warm hält, was man den Nachwuchs in den Schnabel würgt, und wie man die kleinen Racker flügge kriegt. Vor allem ist die Tierwelt so gut durchorganisiert, da kann das als Mensch, als intelligente Rasse, doch nur ein Klacks werden. Oder? Oder?

Ich war mir sicher, dass sich nach der Geburt von Voldi alles von selbst ergeben würde.
Jedoch hatte ich nicht bedacht, dass irgendwelche Instinkte bisher bei mir nur eingesetzt hatten, wenn es darum ging nicht noch einen Tequila nach dem fünften Bier zu bestellen (Überlebensinstinkt), beim Anblick einer Spinne kreischend wegzulaufen (Fluchtinstinkt), und im Badezimmer Raumspray zu benutzen (Urin stinkt).

Jedenfalls hatte ich plötzlich ein Baby, und mein erster und für eine Weile einziger Mutterinstinkt war: Oh Gott. Muss beschützen. Egal wie, aber muss beschützen. Dieses Gefühl setzte mich sowas von unter Druck und Stress, dass mir die ersten paar Wochen nur noch sehr unscharf in Erinnerung sind, außer das Gefühl des absoluten Terrors. Alle paar Minuten überprüfte ich, ob Voldi noch atmete. Ich schlief mit offenen Augen, bei jedem Geräusch aufschreckend, und verbrachte die erste Zeit jede Nacht mit Kind im Arm auf dem Sofa sitzend. Ich aß nicht, ich trank nicht, weigerte mich alleine das Haus zu verlassen, ich starrte nur mit Argusaugen das Baby an und wartete darauf, dass er etwas brauchte. Und ich hatte mich für "cool Mama" gehalten. Tja.

Meine Milchbar war nach wie vor außer Betrieb. Ich ging sogar zu einer Beratungsstelle für Brustfunktionsstörungen, doch auch dort konnte Mutter Natur nicht auf die Sprünge geholfen werden. Erst als ich mich offiziell zur Formula-Mutter erklärte, die Melkmaschine in den Schrank packte und mein Sortiment an Babyflaschen vergrößerte, konnte ich mich endlich etwas entspannen. Ich übte auch das Voldi Hochnehmen und Kleiderwechsel, denn in den ersten zwei Wochen kam einige Male eine Hebamme zu Besuch und beobachtete mich dabei, wie ich das Baby entkleidete, auf eine Waagschale legte, und anschließend wieder anzog. Ich leide an "Ich kann nicht wenn jemand guckt". Wenn ich weiß, dass mir jemand bei etwas zusieht dann werde ich zum motorischen Volltrottel. Zum Glück gibt es Babybodies, die Knöpfe haben und nicht über den Kopf gezogen werden müssen. Das hätte ich unter Aufsicht nämlich nicht geschafft.

Unerwartet schwierig war auch der Positionswechsel von Voldi. Wenn ich ihn fütterte, in der Armbeuge, und danach zum Rülpser aufrichten und gegen mich lehnen wollte, dann krachte er immer Kopf voran an meinen Hals. Zum Glück war er von Anfang an sehr geduldig und nahm es mit Würde, während ich mich Entschuldigungen stammelnd schämte. Was war dieser Winzling aber auch unhandlich. Der baumelnde Kopf, die dünnen Gliedmaßen, es dauerte einige Zeit bis ich den Bogen raus hatte.

Zum Glück beherrscht Voldi Zeichensprache. Wenn er Hunger hat machte er immer eine Pantomime, die einen alten Mann darstellt, der Suppe löffelte. Ohne Witz. Wenn er Bauchschmerzen hat zieht er die Knie an. Wenn er eine volle Windel hat... naja, das riecht man. Formula Kaka ist sehr geruchsintensiv. So brachte mir zu meiner Schande das Kind alles bei, das ich wissen musste.

Ich habe das Glück, dass Voldi kein Schreibaby ist. Er macht sich bemerkbar wenn er Hunger hat, eine frische Windel möchte oder übermüdet ist. Letzteres kann auch mal in eine längere Quengelattacke resultieren. Und die paar Mal, die ich ihn volle Kanone schreien hören habe, kann ich an einer Hand abzählen. Einmal davon war beim Impfen.

Ich habe mir vor der Geburt nicht groß Gedanken darum gemacht, wie ich welche Situationen einmal regeln werde. Ich mache was sich richtig anfühlt. Am Anfang wurde ich sowas wie kritisiert, weil ich Voldi Tag und Nacht auf dem Arm hatte. Er schlief auf mir, ich immer nur im Halbschlaf, sofort hellwach bei der kleinsten Regung. So verbrachten wir die ersten 6,7,8 Wochen auf dem Sofa. "Du verwöhnst ihn ja schon sehr...", eine gedankenschwere Pause. "Ob er so lernt, dass er mal alleine schlafen muss?"

Kann man einen Säugling wirklich verwöhnen, dachte ich mir. Die arme kleine Kreatur, die keine Ahnung hat wie ihr geschieht. Viertes Trimester nennt man die Zeit nach der Geburt. Es dauert einige Wochen, bis das Baby merkt, dass es vom Körper der Mutter separiert wurde. So lange konnte ich Voldi doch noch größtmöglichen Körperkontakt geben. Oder würde ich eines Tages zurückblicken und mir wünschen, ich hätte ihm weniger Nähe gegeben? Eher nicht.

Ich behielt klein Voldi beharrlich am Körper. Und siehe da, seit der 9. Woche habe ich nun - zu meiner eigenen Überraschung - ein Baby, das jeden Abend friedlich und problemlos in seinem Bett einschläft. Aber auch hier kommt es wohl immer auf das Baby an, aber ich freue mich, dass sich ein Instinkt gemeldet und bewährt hat.

Voldi wächst wie Unkraut. Momentan wird er wieder etwas unhandlich und sehr stark. Mit den Beinen stößt er sich ab, macht sich steif wie ein Brett, und versucht sich im Flachköpper von meinem Arm zu stürzen. Das ist sehr anstrengend und morgens um halb fünf habe ich ihm aus Versehen schlaftrunken beim Abfangen einen Kratzer mit meinem Fingernagel verpasst. Oh Gott, ich fühle mich so schlecht, jedes Mal wenn ich die rote Linie an seiner Schläfe sehe. Beschützen. Muss beschützen.

Mein Instinkt sagt mir, wenn er das hier mal liest, dann kriegt er ein großes Eis spendiert.

Ultimativer Körperkontakt und The Mama hat die Hände frei



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